Der Staatsschutz rüstet auf gegen links

Facts Nummer: 18

Ein neues altes Feindbild vereint private Schnüffler und Bundesbehörden. Der rechtslastige «Schweizerische Vaterländische Verband» funktioniert völlig illegal als ziviler Arm der Sicherheitsdienste von Armee und Bundesanwaltschaft im Kampf gegen die vermeintliche «rote Gefahr».

Am 17. Mai 1945 schreibt der Zollbeamte Jean Rutishauser aus dem thurgauischen Romanshorn dem Zentralsekretariat des «Schweizerischen Vaterländischen Verbandes» (SVV) in Zürich. Mittels unvorteilhafter Kurzporträts denunziert er angebliche Nazis, Hitler-Sympathisanten und braune Angeber. Bis zum 2. August ergänzt er dreimal seine Listen der Deutschen, «die nun prinzipiell hinausgehören». Je mehr die Gefahr abklingt, um so vernehmlicher regt sich der Volkszorn.

Die Adresse für solche «vertraulich zu behandelnde» Hetze ist der SVV, ein Zusammenschluss rechtsbürgerlicher Kreise. Er funktioniert als starker ziviler Arm der Sicherheitsdienste der Armee und der Bundesanwaltschaft. In beiden Richtungen werden Anfragen zu Personen und Organisationen gestartet und bereitwillig Auskünfte erteilt. Aus einem diskreten Bürgertip an die Rechtsaussen wird so rasch eine offizielle Handlung der Politischen Polizei; und die vertraulichen Aufzeichnungen und Dossiers der Staatsschützer des Bundes landen stets im Zürcher Sekretariat des privaten Schnüfflerverbandes. Der direkte wechselseitige Informationsfluss ist zwar völlig illegal, aber eingespielt und vor allem effizient.

Die Verfolgung von Faschisten ge hört allerdings nicht zur engeren Domäne der Vaterländischen. Noch 1941 feierte ein SVV-Papier die «grossartige, existenzielle Bedeutung» des Hitler-Feldzuges gegen den Bolschewismus, gegen die Sowjetunion, «die Macht Asiens». Gründer und geistiger Vater des mächtigen Schattenverbandes ist Eugen Bircher, Aargauer SVP-Nationalrat, Chefarzt und Oberstdivisionär. Er leitete 1941 die umstrittene Ärztemission an die deutsche Ostfront und dankte «dem Führer, dass wir, die Schweizer Ärztemission, haben teilnehmen dürfen am Kampfe gegen den Bolschewismus».

Nachdem das Blatt sich jetzt definitiv gewendet hat, beteiligt sich der Verband an den unvermeidlich gewordenen Aufräumarbeiten. «Es ist heute wichtiger denn je, alle verdächtigen und unliebsamen Elemente, die der Gastfreundschaft unseres Landes nicht würdig sind, bekanntzugeben, damit die nötigen Mass nah men getroffen werden können», ermuntert SVV-Sekretär Arnold Huber die späten Nazi-Jäger Rutishauser und Co.

Mit gleich verzögertem Reflex reagiert die offizielle Schweiz. Am 1. Mai 1945 fasst die Landesregierung, die unter dem Vorsitz von Bundespräsident Eduard von Steiger tagt, einen «vertraulichen» Entschluss: 13 Nazi-nahe Organisationen, von der NSDAP-Landesgruppe Schweiz (1373 Mitglieder) über die auslanddeutsche Frauenschaft, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bis zum Deutschen Ruderverband und Männergesangsverein, werden aufgehoben. «Dieser Beschluss», heisst es vorsichtig im bundesrätlichen Protokoll, «tritt in dem Zeitpunkt in Kraft, in welchem die Beziehungen der Schweiz zu der heutigen nationalsozialistischen deutschen Reichsregierung aufhören.» Ein früheres Eingreifen «hätte zu einer solchen stimmungsmässigen Ent schluss fas sung Hitlers im Sinne einer Aktion gegen unser Land führen können», rechtfertigt die Landesregierung den späten Termin.

Am 8. Mai schlagen Bundesrat und Bundesanwaltschaft zu (siehe Seite 19). Und es kann ein Erfolg gemeldet werden: «Die Gefahr, die uns (…) von seiten des Nationalsozialismus drohte, ist für heute gebannt.» Als Grundlage für diese Aktion nennt der Bundesrat notrechtliche «Demo kra tie schutz ver ord nun gen», die im Laufe des Krieges viermal verschärft worden sind. Der Friede bringt allerdings kein Aufatmen und kein Ende des Miss trauens. Die Landesregierung und mit ihr die überwältigende Mehrheit des Parlaments (inklusive Sozialdemokratie) wollen die rechtsstaatlich bedenklichen Erlasse nicht ersatzlos streichen. Im Gegenteil: Die Überwachung der Bürger soll ausgeweitet und im ordentlichen Recht verankert werden. Sogar die «Herabwürdigung der verfassungsmässigen Behörden» – ein «Majestätsbeleidigungsparagraph», höhnen die wenigen Kritiker zwar – solle strafbar werden.

Denn der neue und alte wahre Feind der Eidgenossenschaft, daran haben Bundesbehörden und bürgerliche Kreise auch in den Zeiten der Verwirrung von rechts festgehalten, sitzt und wühlt links. Im «Bericht über die anti demo kra tische Tä tig keit von Schweizern und Ausländern im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen 1939-1945» weist der Bundesrat die Strafverfolgungsbehörden an, sich «für die Abwehr der Gefahren einzusetzen, die aus der Tätigkeit der Linksextremisten entstehen können». Mehr als ein Drittel der offiziellen Schrift zur Bewältigung der Kriegszeiten und der Nazi-Bedrohung ist der roten Gefahr gewidmet.

Den gleichen Ton schlägt seit geraumer Zeit der SVV an. Während des Krieges hat der Verband sich geweigert, an nationalen Widerstandskundgebungen teilzunehmen. Dafür arbeitete er an der längerfristigen Entwicklung. «Ostwind über Europa», konstatiert besorgt am 10. Dezember 1944 in einem Referat vor den SVV-Delegierten Samuel Haas, Direktor der nach ultrarechts offenen Mittelpresse. Per Separatdruck wird die mitten in der nationalsozialistischen Bedrohung entwickelte Optik auf die linksgesteuerte Weltpolitik verbreitet.

Aus dieser vaterländischen Versammlung erwächst das «Arbeitsprogramm 1945» des SVV. An die oberste Stelle der zu bekämpfenden «staatsgefährdenden Umtriebe» werden die Partei der Arbeit (PdA), die Sozialistische Jugend, die Freunde der Sowjetunion, die Naturfreunde und der extreme Sozialismus gesetzt. Jahresteilziel unter der Rubrik «gegen gefähr liches staat liches Nachgeben» ist die Verhinderung der Wahl des Sozialdemokraten Robert Grimm als Nationalratspräsident. Die via «Presse und Zirkular an die Parlamentarier» geführte Kampagne schlägt zwar fehl, doch in der allgemeinen Marschrichtung folgen die Behörden und die Ficheure dem SVV.

Im Februar 1945 will die Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion ein Plakat mit folgendem Text anschlagen lassen: «Wir erstreben freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehungen zwischen unserm Lande und der Sowjetunion.» Der via Plakatgesellschaft in Bern und Bundesanwaltschaft alarmierte Bundesrat untersagt den Aushang. «Propaganda für eine kriegsführende Macht» sei «aus Gründen der Neutralität unzulässig», meint er.

Je näher der Friede rückt, um so grössere Angst geht um im Bürgertum. Fast scheint es, als bedaure SVV-Präsident Otto Heusser, Gefängnisdirektor in Regensdorf, den Niedergang des Deutschen Reiches. «Die sich überstürzenden kriegerischen Ereignisse wirken sich auf die schweizerische Politik aus, wobei sich insbesondere die Linkstendenzen immer mehr bemerkbar machen», warnt er im April 1945 in seiner Präsidialadresse.

Im gleichen Monat noch verabschiedet der SVV die hochbrisanten «Richtlinien für Vertrauensleute», nichts weniger als eine Anleitung zur rechtzeitigen Bildung von Bürgerwehren. «Die heutige innenpolitische Lage», mahnen sie, «ist derjenigen von 1917/18 ähnlich. Das kritische Stadium dürfte erreicht werden beim Zusammenbruch Deutschlands, bei umfangreicher Demobilisation unserer Armee und bei drohender Arbeitslosigkeit. In einer weitverzweigten Vertrauensmännerorganisation müssen daher die vaterländisch gesinnten Bürger sofort zur Abwehr gegen revolutionäre Umtriebe gesammelt werden.»

1918, erinnert das SVV-Papier, habe die Revolution durch «starkes Auftreten von vaterländisch gesinnten Leuten» abgewendet werden können. Der Verband weiss, wovon er schreibt: Er selbst hatte damals Privattrupps rekrutiert und für die paramilitärischen Verbände sogar hochoffiziell Gewehre und Munition besorgt. Der damalige EMD-Chef Camille De coppet hatte diese Aktion ausdrücklich gutgeheissen und unterstützt.

Jetzt bereitet der SVV zumindest die logistische Basis für ähnliche Einsätze vor. Die Vertrauensleute werden angewiesen, die Gegner unter dem Deckmantel der Demokratie zu enttarnen, mit der Presse Fühlung aufzunehmen, die Spitzen der Parteien und Organisationen (SAC, Turn-, Sänger-, Schützen-, Unteroffiziers- und Offiziersvereine) zu bearbeiten sowie die für Ruhe und Ordnung zuständigen Territorial-Orts chefs zu orientieren.

«Zur Ermöglichung eines sofortigen Eingreifens» sei weiter «die Kontrolle von Strassen, Brücken und Bahnhöfen hinsichtlich des Verkehrs unzuverlässiger Elemente zwischen wichtigen Zentren» sicherzustellen. Ebenfalls müsse die «Herausgabe der Zeitungen eventuell durch Notzeitungen und vorherige Verständigung mit zuverlässigeren Verlegern und Redaktoren» garantiert werden. Der letzte Befehl des Merkblatts lautet: «Besuch und Überwachung gegnerischer Veranstaltungen.» Vor Kriegsende ist der Staatsschutz wieder, was er immer war: Abwehr vor allem nach links.

«In weiten patriotisch denkenden Kreisen ist daher mit Genugtuung aufgenommen worden, dass die Vaterländische Vereinigung ihre warnende Stimme gegen das herausfordernde Treiben links extremistischer Kreise unseres Landes erhoben hat», offizialisiert Bundesrat Walter Stampfli (FDP, SO) am 9. September 1945, am «Volkstag» der Aargauer Sek tion, die dunklen Machenschaften des Verbandes: «Man ist versucht zu sagen, dass heute eine ähnliche Organisation geschaffen werden müsste, wenn sie nicht bereits vorhanden wäre.»

Die Schnüffler im Land, die Ficheure zu Bern und ihre Leiter haben die Wende geschafft. «Unser Land und Volk stehen mitten in der gewaltigen Ausmarchung zwischen Ost und West», schreibt der spätere Bundesanwalt Werner Lüthi, «hundertfältig sind die Ermahnungen zur Wachsamkeit.» Der verstärkte Staatsschutz erfasst nun das «Vorfeld», die «Vorphase», macht bereits «Vorbereitungshandlungen» strafbar, will linke «Mineure» «unschädlich» machen. Justizminister Eduard von Steiger, verantwortlich für das Anziehen der Daumenschrauben, bringt das Programm der permanenten Prävention auf die Formel: «Die neuen Staatsschutzbestimmungen müssen «solchen Freunden» das Handwerk legen, die mit uns … ins feuerrote Loch hinunterrutschen möchten.»

Autor: Urs Paul Engeler

Der Ruf nach Säuberung

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches startet die Polizei massive Durchsuchungsaktionen gegen deutsche Einrichtungen – viele meinen, viel zu spät.

Am 8. Mai 1945 – Tag der Waffenruhe. Sie kommen im Morgengrauen, mehrere hundert Polizisten, auf Geheiss des Bundesrates und der Bundesanwaltschaft durchsuchen sie in der ganzen Schweiz nicht weniger als 364 Häuser: die «Deutschen Heime», die Botschaft und die Konsulate des nunmehr zerstörten Deutschen Reiches und Privatwohnungen von Leuten, die der sogenannten Fünften Kolonne zugerechnet werden.

Diese Polizeiaktion, eine der grössten in der Geschichte der Schweiz, kommt spät, viele meinen, viel zu spät. Tagelang vorher sei der Rauch aus den Kaminen der deutschen Botschaft gequollen, schreibt die Zeitschrift «Die Nation»: der «unmissverständliche Beweis dafür, dass das Gesandtschaftspersonal ein brennendes Interesse daran hatte, Dokumente zu vernichten». Bundesrat Eduard von Steiger erklärte auf Vorwürfe im Nationalrat, man habe sich an eine «sehr korrekte Interpretation» des Völkerrechts gehalten und gewartet, bis das Deutsche Reich de jure nicht mehr existierte. Diese Vorsicht war die logische Konsequenz der schweizerischen Neutralitätspolitik. Denn die Betroffenen waren ja meist Mitglieder der Landesgruppe Schweiz der NSDAP, der Regierungspartei eines Nachbarstaates, mit dem man bis zuletzt intakte Beziehungen gepflegt hatte.

Die Bevölkerung verstand diese Zu rückhaltung immer weniger. «Wir wollen ein sauberes Schweizerhaus!», «Wir sind kein Réduit für verhinderte Gauleiter!» – mit solchen Parolen macht sich jetzt seit Kriegsende der Ruf nach Säuberungen breit. Man verlangt die Bekanntgabe der Namen der Ausgewiesenen. Es kommt zu parlamentarischen Vorstössen in verschiedenen Kantonen. Im Nationalrat reichte Ernst Boerlin mit 80 Mitunterzeichnern eine Motion ein, die «umfassenden und vollen Aufschluss» über die Tätigkeit an ti demokratischer Organisationen während des Krieges verlangt.

Gestützt auf Artikel 70 der Bundesverfassung, spricht der Bundesrat im Mai 1945 die ersten Ausweisungen wegen Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft aus. Insgesamt wurden durch den Bundesrat über 400 deutsche und 26 italienische Staatsangehörige ausgewiesen. Als Anfang Juni eine erste Liste mit etwa 300 Namen bekanntgegeben wurde, entsteht eine eigentliche Säuberungsbewegung. In Gemeindeversammlungen, Kantonsparlamenten, aber auch auf der Strasse werden weitere Ausweisungen verlangt. In Schaffhausen und im Tessin kommt es nach Demonstrationen gar zu Krawallen.

Besondere Entrüstung provozieren einige prominente Ausweisungsfälle. So jener von Edda Ciano, der Tochter Mussolinis, deren Aufenthalt in einer «Luxusklinik» in Montey Anstoss erregte, zumal antifaschistische Flüchtlinge immer noch in Lagern interniert sind. Auf Unverständnis stösst auch, dass der Bundesrat ein Gesuch des deutschen Gesandten Köcher, in der Schweiz bleiben zu können, nicht unverzüglich abgelehnt hat.

Angesichts des Drucks von unten wurde Ende Juni an einer Konferenz der kantonalen Polizeidirektoren beschlossen, dass auch die Kantone Wegweisungen anordnen können. Dies unter der Bedingung, dass eine gerichtliche Bestrafung, die wiederholte Missachtung von Ordnungsvorschriften oder des Gastrechts vorliegen.

Immer wieder ist seit Kriegsende von einer «Vertrauenskrise» zwischen Volk und Behörden die Rede. Es gärt in der geschlossenen Schicksalsgemeinschaft, zu der die Schweiz der geistigen Landesverteidigung erklärt worden ist. Zum Ausdruck kommt das nicht nur in sozialpolitischen Forderungen, sondern auch im Ruf nach Säuberungen. Das dient als eine Art Ventil für das jahrelange Stillhalten. Nun konnte und durfte man die arroganten Verhöhnungen durch Nationalsozialisten kontern. Mit den Säuberungen soll gegenüber den Alliierten demonstriert werden, dass auch in der Schweiz Konsequenzen aus dem Krieg gezogen werden.

In der Säuberungsbewegung manifestiert sich das Bedürfnis nach einem Neuanfang, nach einer «reinen Weste». Man säubert, indem die dunklen Flecken personifiziert und abgeschoben werden. Gerade dadurch wird aber auch abgelenkt von der Auseinandersetzung mit der ambivalenten Rolle, welche die Schweiz während des Krieges gespielt hat.