Demokratie-Prophet im Ausland will er bleiben

Tages-Anzeiger vom 07.04.2012

Mit dem Walliser Oskar Freysinger steigt wohl bald ein Politiker ins SVP-Vizepräsidium auf, der Parteichef Toni Brunner die Show stehlen könnte. Sein politischer Eifer stellt für die Partei aber auch ein Risiko dar.

Ein Porträt von David Schaffner, Bern

Gäbe es eine Methode, um das Sendungsbewusstsein von Politikern zu messen, würde Oskar Freysinger Spitzenwerte liefern: Es gibt kaum eine Bühne, auf welcher der Walliser nicht schon den Auftritt gesucht hätte. Und kaum einen Gegner, mit dem er nicht schon die Klingen gekreuzt hätte. Auf dem TV-Sender al-Jazeera versuchte er, 80 Millionen arabische Zuschauer vom Minarettverbot zu überzeugen. An einer SVP-Versammlung hielt er zum Zorn vieler Parteifreunde eine Rede, um die Basis für die Buchpreisbindung zu gewinnen. Selbst Partei-Vater Christoph Blocher fühlt sich Freysinger überlegen: «In der Anzahl Debatten kann mir während der letzten zehn Jahre nicht einmal Blocher das Wasser reichen.»

Kein Wunder, dürstet es einen wie Freysinger nach höheren Weihen: Für die Erneuerungswahlen der SVP-Leitung vom 5. Mai kandidiert der 51-jährige Walliser als Vizepräsident. Als einziger Interessent aus der Romandie ist er bereits so gut wie gewählt. In den nationalen und internationalen Medien wird er künftig wohl noch präsenter sein als in der Vergangenheit. Besteht für die SVP nicht die Gefahr, dass der gewiefte Rhetoriker und Selbstdarsteller dem Präsidenten und Partei-Sprachrohr Toni Brunner die Show stehlen wird? «In der SVP geht es nicht um irgendeine Show, sondern um den Einsatz für die Schweiz», weicht Brunner aus. Auffällig ist aber, dass Freysinger im Gegensatz zu Brunner bereits heute für Journalisten jederzeit auf dem Handy erreichbar ist und im Gegensatz zum Präsidenten auch schwierigen Fragen nicht ausweicht.

«Wie ein Marsmensch»

Voll auf Sendung − so lautete das Motto Freysingers bereits vor seiner Wahl in den Nationalrat im Jahr 2003. An einer Parteiversammlung trug er damals ein erotisches Gedicht mit dem peinlichen Reim «Bortoluzzi-Fuzzi» vor und wurde über Nacht zum Gelächter der Nation. Der Blick spottete über den «Pissoir-Poeten» und «Blocherschen Barden». Auch in der eigenen Fraktion stand er unter all den Bauern und Gewerblern lange isoliert da. Der Teilzeit-Literat und Deutschlehrer am Lycée-Collège de la Planta in Sitten wollte mit seinem SVP-atypischen Auftreten und dem Lagerfeld-Zopf einfach nicht richtig ins Bild passen. «Vielen SVP-Parlamentariern bin ich wie ein Marsmensch vorgekommen», meint Freysinger. Hinzu kam, dass er sich gelegentlich als einer der wenigen SVPler wagte, eigene Positionen zu vertreten und sich beispielsweise gegen die Privatisierung von Staatsbetrieben oder für einen Elternschaftsurlaub auszusprechen.

Dass Freysinger mittlerweile in der SVP akzeptiert ist und sein Sendungsbewusstsein bald nicht mehr nur in den eigenen Dienst, sondern in jenen der Partei stellen kann, hat vor allem zwei Gründe: Einerseits ist es ihm als scharfsinnigem Analytiker gelungen, die Partei nach den peinlichen Ausrutschern der Anfangszeit von seinen intellektuellen Fähigkeiten zu überzeugen. Anderseits steht in der Romandie schlicht und einfach keine Alternative zur Verfügung, nachdem der aktuelle Welschland-Vizepräsident Yvan Perrin im Sommer 2010 frühzeitig und entnervt seinen Rücktritt angekündigt hat. Er ärgerte sich darüber, dass er als Romand in der deutschschweizerisch dominierten Parteileitung kaum je beachtet wurde. Dieses Schicksal wird dem zweisprachigen Freysinger kaum widerfahren.

Nähe zu Extremisten

Völlig reibungsfrei dürfte das Verhältnis zwischen der Partei und Freysinger allerdings auch in Zukunft nicht verlaufen: Im Gegensatz zu anderen führenden Parteimitgliedern wie Brunner oder Fraktionschef Adrian Amstutz gehört der Walliser nicht zu jenen, die Blocher für das Mass aller Dinge halten und sich keine abweichenden Stellungnahmen erlauben. «Ich bin Blocher schon mehrmals an den Karren gefahren», betont er selber. Am deutlichsten hat sich diese Distanz an Freysingers umtriebigem Engagement im Ausland gezeigt.

Im Kampf gegen eine angebliche Islamisierung Europas trat er in Frankreich zusammen mit dem rechtsextremen «Bloc identaire» an einer Tagung auf und traf in Holland den islamfeindlichen Populisten Geert Wilders. Parteiintern wurde er für diese SVP-atypischen länderübergreifenden Aktivitäten und die teils vorhandene Nähe zu extremistischen Gruppierungen scharf kritisiert. «Pass auf», soll ihn selbst Blocher ermahnt haben, der aus Imagegründen die SVP stets vor Kontakten mit allzu rechten Politikern gewarnt hatte. Und Parteichef Brunner doppelt auf Anfrage nach: «Freysingers frühere Auftritte im Ausland sind ein sensibler Punkt. Er muss künftig darauf verzichten, Einladungen von politischen Gruppierungen aus anderen Ländern anzunehmen.»

Weiterhin auf Tournee

Freysinger indes macht kein Hehl daraus, dass er auch als SVP-Vizepräsident seinen Wirkungsradius nicht auf die kleine Schweiz einzuschränken gedenkt: «Ich werde auch künftig Vorträge in anderen Staaten halten», macht er klar. In der Auswahl der Anlässe will Freysinger allerdings künftig «vorsichtig sein» und auf islamkritische Auftritte verzichten. Sein Kampf für die Volksrechte hingegen werde keine Grenze kennen. «Das Modell der EU wird in die Brüche gehen», ist Freysinger überzeugt. «Dann müssen wir eine Lösung parat haben für die Zukunft.»

Europa sollte sich zu einer Konföderation von unabhängigen Staaten zusammenschliessen, die direktdemokratisch funktionierten wie die Schweiz, meint Freysinger. Er stelle fest, dass das Interesse in Europa am politischen System der Schweiz stark zunehme. «Ich erhielt Hunderte Briefe mit Anfragen», erklärt er. Auf die Frage, ob er sich denn als eine Art Prometheus sehe, der ganz Europa das Licht der direkten Demokratie bringen könne, antwortet Freysinger: «Absolut. Die Schweiz ist ein Leuchtturm und sollte ihr Licht nicht selber löschen.»