Bundesrat Villiger von Skinheads ausgebuht

Blick

Die Schande vomRütli!

VON MURIEL SPITZER UND SIMONEREICH

RÜTLI UR ? Wie eine Kampftruppemarschieren sie auf. Mit kahl rasierten Köpfen und wehenden Fahnen. DreiFinger zum Rütlischwur ausgestreckt. Über 100 Skinheads provozieren an der1.-August-Feier im Herzen der Schweiz.

Bundesrat Kaspar Villiger tritt ans Rednerpult,spricht von Respekt, Solidarität und internationalerVernetzung. Dann sagt Villiger: «Es liegt auf derHand, dass ein Beitritt zur EU viele Problemelösen…» Der Rest geht in lauten Buhrufen derKahlköpfe unter.«Ich wäre froh, wenn Sie mich ausreden lassenwürden», versucht Villiger entgegenzuhalten. SeineWorte gehen im Gebrüll unter. «Use! Use! Use!»,skandieren die Skinheads. Was für eine Schande andieser Stätte.


1. August: Buhrufe gegen Villiger Skinheads provozierten auf dem Rütli- die Empörung blieb aus

VON MURIEL SPITZER UND SIMONE REICH

RÜTLI UR Eigentlich war es ein friedliches Fest. Bis 100 RechtsradikaleBundesrat Villiger ausbuhten.

1. August: Rund 2000 Menschenversammeln sich auf der Rütliwiese, umgemeinsam zu feiern.
Seit mehreren Jahren mit dabei: Skinheads inKampfmontur. Doch diesmal sind es so vielewie noch nie. Reto Habermacher von derUrner Kantonspolizei: «Letztes Jahr waren esrund 20 Personen, heute sind es überhundert.» Die Polizei ist auf alles vorbereitet.Habermacher: «Im Ernstfall wartetVerstärkung in den Nachbarkantonen.»
Die Skinheads kommen vor allem aus derInnerschweiz. Aber auch «Tells Söhne» ausBremgarten AG und «Hammerskins»,Anhänger einer internationalenSkinhead-Dachorganisation, sind angerückt.Bundesrat Villiger, der während seiner Redelautstark ausgebuht wird, will den Aufmarschder Pöbler gegenüber BLICK nichtüberbewerten: «Als Redner bekommt man soetwas gar nicht richtig mit. Es handelte sichoffensichtlich um eine kleine, aber lauteRandgruppe.»
Ein Zuschauer sagt: «Villiger hat sich nichtprovozieren lassen, das war geschickt vonihm.»
Der Wurst-Grillierer: «Die Skinheads habenihr Essen sauber aufgeräumt, aber eines istklar: Ein falsches Wort von Villiger an dieSkins und es hätte geknallt!»Die Skins provozieren ? aber dieEmpörung bleibt auf dem Rütli aus.Denn: Viele der Kahlköpfe sind «alteBekannte». Rütlibeiz-Wirt EdiTruttmann findet: «Auch sie vertretenunser Vaterland. Deshalb kommen siejedes Jahr hierher.»
Da weiss Truttmann mehr als Villiger: «Ich kenne ihre politische Haltung nicht», erklärt er nachseiner Rede: «Ich weiss nicht, ob das wirklich Neonazis waren.»


KOMMENTAR

Wir dürfen nichtwegschauen

Jrg Lehmann ChefredaktorDer 1. August 2000 ? er war farbenfroh und vielfältig. Eine selbstbewusste und moderne Schweiz zeigt sich stolz her. Wie Bundespräsident Adolf Ogi: Kraftvoll und stark blickt er bei Filippo Leutenegger in die Zukunft.
Und dann dies: Über 100 Skinheads buhen Bundesrat Kaspar Villiger auf dem Rütli aus. Auch sie fühlen sich stark. Früher tauchten sie auf und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
Heute verschwinden die Neonazis nicht mehr. Im Gegenteil. Sie werden immer zahlreicher. Die braune Internationale hat sich vernetzt. Ihre Kraft schöpft sie aus dem Internet. Unsere Bundespolizei hat zu wenig Mittel, den üppigen Wildwuchs einzudämmen. Sie muss machtlos wegschauen.
Auch auf dem Rütli schaute man weg. Tenor: Alles halb so wild, alles nicht so schlimm. Villiger nennt die Nazi-Störer eine Randgruppe. Warum?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nur: Wir dürfen nicht wegschauen. Wir müssen endlich hinsehen. Selbstbewusst. Denn: Wir wollen die braune Brut nicht.Nie mehr!