Besetzt das Rütli!

SonntagsZeitung

michael lütscher

Es gibt Dinge, von denen glaubt man, sie gingen einen nichts an. Die Unbefleckte Empfängnis. Die Astrologie. Oder der 1. August 1291 auf dem Rütli. Soll daran glauben, wer will. Und doch kommt es vor, dass so ein Mythos eine reale Bedeutung erhält.

Das Rütli ist so ein Fall, seit Neonazis die patriotisch aufgeladene Wiese am Urnersee als 1. -August-Ausflugsziel entdeckt haben.

Der Kampf um die Augustfeier 2007 auf dem Rütli hat bereits begonnen. Letzte Woche beschied der Bundesrat den Kantonen Uri und Schwyz, dass sie die Kosten für die Sicherheit der Augustfeier auf dem Rütli selbst zu tragen hätten. Für die beiden Urschweizer Kantone geht es um viel Geld; 2006 kostete die Abwehr der rechtsextremen Horden insgesamt über 1,1 Millionen Franken.

Die Urner Regierung hatte schon im Voraus erklärt, dass sie nicht gewillt sei, dafür auch 2007 über 200 000 Franken auszugeben. Die Feier müsse entpolitisiert werden, notfalls werde sie verboten. Die Veranstalterin, die Rütlikommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, muss erstmals ein Bewilligungsgesuch einreichen.

Diese Auflagen und Drohungen sind nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig, dass der Bund kein Geld locker macht für den Schutz des Rütli am 1. August. Für die Sicherheit kommerzieller Anlässe wie das World Economic Forum in Davos oder die Fussball-EM 2008 gibt er viele Millionen aus.

Bei der Augustfeier auf dem Rütli aber geht es um viel mehr – um ein Grundrecht der Demokratie: die Redefreiheit.

Rechtsextreme Rüpel pfiffen im Jahre 2000 Bundesrat Kaspar Villiger aus und schrien 2005 SVP-Bundesrat Samuel Schmid, damals Bundespräsident, nieder. Letzten Sommer konnte der frühere Swisscom-Präsident und Asylgesetzgegner Markus Rauh ungestört reden, weil Hunderte von Polizisten im schwyzerischen Brunnen Rechtsextreme von der Fahrt aufs Rütli abhielten.

«Lasst doch das Rütli einfach eine Wiese sein», lautet ein gut gemeinter Rat. Leider geht das nicht. Durch die rechtsextremen Schreihälse hat sich das Rütli von einem mythologischen Ort mit Unabhängigkeitssymbolik (Rütlirapport von General Guisan) zum Kampfplatz um die Meinungsäusserungsfreiheit gewandelt.

Der Kampf mag nur symbolisch sein; 1.-August-Reden sind Politfolklore par excellence. Gibt man aber das Symbol auf, nehmen es die Rechtsextremen real in Beschlag. Sie würden zu Hunderten am 1. August aufs Rütli stürmen, als Sieger über den Rechtsstaat und wahre Patrioten unter dem wehenden Schweizer Kreuz posieren. Nichts wäre attraktiver für sie. Natürlich könnte die Polizei sie daran hindern; nur würde dies Uri und Schwyz gleich viel kosten, wie ein Rütli mit Feier zu bewachen.

Einzige Lösung bleibt ein grosser Polizeieinsatz zum Schutz der Augustfeier. Doch es braucht mehr: Am 1. August 2007 müssen mehr Leute aufs Rütli als der versprengte Haufen der schätzungsweise 700 dieses Jahr. Die Rütliwiese muss bis auf den letzten Platz besetzt sein, als Symbol für «d Freiheit, s Rütli u d Demokratie», wie es bei Mani Matter heisst.

Die Rütlikommission muss die engagiertesten Bürger gewinnen. Sie soll also die Parteien einspannen. Die gut 2000 Plätze könnte sie auf Grund der Parteienstärken in den Gemeindeparlamenten verteilen. So könnten alle politischen Kräfte im Lande eingebunden werden. Auch zwei Glatzen der rechtsextremen Pnos hätten Platz.

Mit einer Zuteilung der Eintrittskarten liesse sich auch das fragwürdige Ausschnüffeln möglicher Festbesucher wie letzten Sommer vermeiden (und die Eingangskontrollen vereinfachen).

Sollte sich aus diesem Stelldichein der «classe politique» im Laufe der Jahre ein folkloristischer Anlass entwickeln, so wäre das ganz recht. Augustfeiern gibt es, eidgenössisch-föderalistisch, ohnehin in jedem Dorf. Und das Rütli würde wieder, was es war.