Ausstieg aus der Neonazi-Szene dank RS

Migros-Magazin; 30.09.2013; Ausgaben-Nr. 40;

Jahrelang verprügelte Fabian Meier mit seinen Kollegen Ausländer und Linksextreme. Seine Mutter verzweifelte fast, gab ihren Sohn jedoch nicht auf. Dank ihrer Hartnäckigkeit und positiven Begegnungen im Militär schaffte Fabian den Ausstieg aus der rechten Szene.

Trifft man sich mit Daniela Meier und ihrem Sohn Fabian* zum Gespräch, käme man niemals auf die Idee, dass die beiden sich jahrelang schwer gestritten haben. «Wir haben vermutlich heute deshalb ein so gutes Verhältnis, weil wir immer alles dis­kutiert haben und vor keinem Konflikt zurückgescheut sind», sagt Daniela Meier (52). Fabian (25) nickt. «Ich kann ­ heute auch nachvollziehen, wie sie das damals erlebt hat. Zu der Zeit ist das alles einfach an mir abgeperlt.»

«Das alles» waren Daniela Meiers ­Argumente gegen die rechtsextreme Ideologie, der sich ihr Sohn mit Haut und Haar verschrieben hatte. Oder besser: ohne Haar. Der Glatzkopf war nämlich das, was das Fass für die Mutter zum Überlaufen brachte. Schon vorher waren ihr der veränderte Kleidungsstil aufgefallen, die Bomberjacke, die Springerstiefel, und nun das! Fabian war damals 16, Schüler, wohlbehütet in einem gutbürgerlichen Elternhaus in der Nordwestschweiz aufgewachsen, der Vater im sozialen Bereich tätig, die Mutter Laborantin und in der reformierten Kirche ­engagiert, eine jüngere Schwester.

Fabians Einstieg in die rechtsextreme Szene erfolgte graduell. Aber er weiss noch genau, wie es angefangen hat. «Wir hatten in der Schule viele Albaner, und die hatten einen Wahnsinnszusammenhalt. Sie sind immer wieder als Gruppe auf den einen oder anderen Schweizer los, der natürlich keine Chance hatte.» Und dafür seien sie noch nicht mal bestraft worden. Fabian fühlte sich hilflos und unterlegen. In dieser Zeit entdeckte er den rechten Hardrock. Den Sound mochte er schon immer, aber nun waren es vor allem die Texte, die ihn anzogen. Texte voller Wut auf Ausländer, Nicht-Weisse und deren linke Komplizen.

Als eines Tages einer seiner Freunde von einer Gruppe Albaner vermöbelt und erheblich verletzt wurde, hatte Fabian genug und fing an, bewusst Kontakte in die rechtsextreme Szene zu knüpfen. «Das war ziemlich leicht», erinnert er sich. «Ich habe den Rechtsrock übers Internet bestellt, und darüber liess sich auch herausfinden, wann und wo Konzerte stattfinden.» Er kaufte sich eine gebrauchte Bomberjacke von einem Kollegen, passende Stiefel und fing an, die Konzerte zu besuchen. «Es war eine Offenbarung: ­alles voll von Leuten, die genau gleich dachten wie ich.»

Fabian genoss das Gefühl von Zusammenhalt und Macht

Als er das allererste Mal mit der Bomberjacke aus dem Haus ging, zog er sie erst draussen an, damit seine Eltern nichts mitkriegten. Auch die Springerstiefel ­lagerte er lange ausserhalb des Hauses. «Ich wusste genau, dass es Riesen­diskussionen geben wird, sobald sie mitkriegen, was läuft.» Spätestens als er sich den Kopf kahl rasierte, war es so weit. «Ich war schockiert», erinnert sich Daniela Meier. «Und ich habe diskutiert, argumentiert und gestritten, aber es hat alles nichts geholfen.» Ihr Mann sah es lockerer. «Er meinte, das wäre nur eine Phase, das gehe schon wieder vorbei.» Sie war sich nicht so sicher. «Vor allem habe ich mir Sorgen gemacht, dass er sich mit all dem seine Zukunft verbaut.»

Nach einigen Recherchen stiess sie auf den Psychotherapeuten Dieter Bongers in Liestal BL, der sich auf die Beratung von Familien mit rechtsextremen ­Jugendlichen spezialisiert hat. «Er riet uns, nicht unsere Energie damit zu verschwenden, gegen die Musik und die Kleidung anzukämpfen. Das bringe nichts. Wir müssten Fabian aber klar­machen, wo die rote Linie sei, wann er mit dem Gesetz in Konflikt komme.»

Geholfen hat das nichts. «Ich fühlte mich von Montagmorgen bis Freitagabend wie tot, dann am Wochenende ­begann das Leben», erzählt Fabian. Für seine Mutter war es genau umgekehrt. «Ich habe die Wochenenden gefürchtet, er kam dann bis Sonntagabend nicht nach Hause, und nicht selten hatte er Wunden.» Wenn sie irgendwo von einer Schlägerei hörte, suchte sie nach genaue­ren Informationen, voller Angst, ihr Sohn könnte darin verwickelt sein.

Fabian hingegen verbrachte seine ­Wochenenden in konstanter Euphorie. Er ging mit seinen neuen Freunden an Konzerte und Partys, es wurde ge­trunken, gefeiert, gelacht — und Streit gesucht. «Der Hauptfeind waren Links­extreme. Da brauchte es keinen Anlass, keine Provokation, wenn wir auf die gestossen sind, begann die Prügelei.» Aber auch andere bekamen ihr Fett weg, wenn sie sich gegen die Gruppe stellten. Oder eine zu dunkle Hautfarbe hatten. «Wenn wir so mit 20 Mann auf ein Fest kamen, dann war das ein ungeheures Gefühl der Macht und des Zusammenhalts. Uns konnte keiner was. Zu wissen, dass sie gerne was gegen uns machen würden, sich aber nicht getrauten, das war ein tolles Gefühl.» Und wer sich getraute, dem wurde mit Fäusten, Bierflaschen oder auch mal Baseballschlägern geantwortet.

«Das ging fast jedes Wochenende so. Die Prügeleien gehörten quasi dazu.» Doch an einem Wochenende gerieten sie an die Falschen. Einer der Verprügelten wusste, wer Fabian war. «Sein Vater hatte Geld und Einfluss, er ging damit an die Medien, und dann stand eines Morgens die Polizei vor der Tür.» Die machte bei Meiers eine Hausdurchsuchung und nahm Fabian gleich zur Befragung mit. Anschliessend landete er in Untersuchungshaft.

In der Selbsthilfgrupe fanden die Eltern Hilfe und Entlastung

Für die Eltern war das ein weiterer Schock, denn Fabian fehlte dadurch bei seiner Lehrstelle. «Ich habe mir fürchterliche Sorgen gemacht, dass sie ihn rausschmeissen», sagt seine Mutter. Nach zehn Tagen U-Haft liessen sie den damals noch minderjährigen Fabian mit einer Busse auf Bewährung wieder ­gehen. «Sie machten mir ganz viele Auf­lagen: Ich müsse mir die Haare wachsen lassen, aufhören, diese Musik zu hören, meine Kleidung wechseln … ich habe zugestimmt, aber nichts davon gemacht.»

Zur Auflage gehörten auch einige Sitzungen bei Dieter Bongers. «Ich habe erst das Schlimmste befürchtet, aber er war ganz okay. Er kannte sich überraschend gut aus und hat wirklich verstanden, wie ich gedacht und gefühlt habe.»

Geändert haben aber auch diese ­Therapiesitzungen nichts. Fabian ­machte weiter wie bisher. Seine Eltern derweil sorgten sich ohne Unterlass um seine Gesundheit und seine Zukunft. Zwar kam er nur zwei-, dreimal mit Wunden nach Hause. «Aber es gab ja auch Fälle, wo solche Prügeleien zu permanenten ­Behinderungen geführt haben», sagt Da­nie­la Meier, die gegen ihren Willen in ­jenen Jahren zur Rechtsextremismus-expertin geworden ist.

«Über Dieter Bongers haben wir andere Eltern in der gleichen Situation kennengelernt und einige Jahre mit denen eine Selbsthilfegruppe geführt.» Dies habe geholfen und entlastet. «Mit Aus­senstehenden darüber zu reden, war oft frustrierend. Diese Leute hingegen wussten ganz genau, von was wir redeten, die gingen durch das Gleiche durch wie wir.»

Besonders geärgert hat sie, wenn jemand andeutete, sie als Eltern oder ihre Erziehung seien schuld am Rechts­extremis­mus ihres Sohnes. «Ich habe mich mit der Frage wirklich beschäftigt, aber ich kann nach all dem sagen: Nein, mit uns hat das nichts zu tun.» Fabian habe eben schon immer einen grossen Sinn für ­Gerechtigkeit gehabt, daher ­habe ihn die Situation an seiner Schule so belastet.

In der Nachbarschaft und im Freundeskreis wussten nur wenige Bescheid, auch wenn die Meiers mit dem Thema recht ­offensiv umgingen. «Einzig meine Eltern haben wir bewusst versucht, davon abzuschotten», sagt Daniela Meier. «Meine Mutter kommt aus Ostdeutschland und hat die Nazi-Zeit noch erlebt, für sie wäre das ein Schock gewesen.»

Der Rest reagierte ziemlich besonnen auf den Rechtsextremen in der Familie. «Sie haben ihn weiterhin zu allen Festen eingeladen, Geburtstage, Weihnachten, Konfirmation. Und er ist immer gekommen, mit Glatze und allem. Natürlich gabs auch dann immer Diskussionen.» Ihr sei wichtig gewesen, Fabian immer zu signalisieren: Wir lieben dich, trotz allem. Du gehörst zu uns. «Das Gespräch zwischen uns ist in all den Jahren nie ­abgebrochen.»

Ab und zu brachte Fabian auch seine rechtsextremen Kollegen mit nach Hause. «Auch mit denen haben wir diskutiert», erinnert sich seine Mutter. «Aber was mich am meisten irritiert hat: Wie nett und wohlerzogen sie waren. Ich brachte das irgendwie nicht zusammen. Hier sas­sen sie in meinem Wohnzimmer, ­waren höflich und kraulten unsere Katze — und am Wochenende vermöbelten sie Ausländer mit Bierflaschen.»

Mitten im Lehrabschluss landete Fabian erneut hinter Gittern. Die praktische Prüfung hatte er hinter sich, die theoretische verpasste er. «Mir war es scheissegal, ob ich diesen Lehrabschluss kriege oder nicht, aber zum Glück liess ich mich von meiner Mutter breitschlagen und meldete mich beim Lehrlings­beauftragten.» Der setzte sich dann dafür ein, dass Fabian auch die theoretische Prüfung machen durfte, was schliesslich genehmigt wurde. Er bestand.

Danach folgte die Rekrutenschule und, eher unerwartet, der Wendepunkt. «Ich hatte zum ersten Mal wieder Kontakt zu anderen sozialen Kreisen.» Unversehens realisierte Fabian: Die sind ja eigentlich ganz okay. «Es gab dort Leute mit kroatischem und anderem ausländischen Hintergrund — mit einigen von denen habe ich mich total gut verstanden.» Auch Daniela Meier fiel die Veränderung auf. «Er wollte im Militär unbedingt weitermachen. Plötzlich war da ein Ziel, und er begann intensiv zu lernen und sich zu engagieren. Sie wagte, Hoffnung zu schöpfen. Fabian trug zwar weiterhin Glatze und ging an Konzerte, aber die RS war der Anfang vom Ende seiner Zeit bei den Rechtsextremen.

Heute ist er dankbar, dass sie auf den Lehrabschluss bestand

«Eines Tages marschierte ich in voller Montur durchs Dorf, Glatze, Bomber­jacke, Springerstiefel — aber plötzlich fühlte ich mich darin nicht mehr stark und euphorisch sondern seltsam. Es war mir sogar ein bisschen peinlich. Das war das letzte Mal, dass ich diese Sachen trug.» Er ging auch immer weniger an Konzerte, die Kontakte zur Gruppe und seinen Kollegen dort wurden lockerer und lockerer, und schliesslich liess er sich auch die Haare wieder wachsen. Zwar gab es nochmals eine Krise, als sich herausstellte, dass er im Militär nicht weitermachen durfte. Plötzlich jedoch ergab sich eine gute Joboption in einem Büro. Und dann kam auch noch eine Freundin hinzu. 2010, rund sechs Jahre nach ­Fa­bians Einstieg in die Szene, war der Albtraum für seine Mutter vorbei.

Probleme wegen seines Ausstiegs gab es keine. Tatsächlich schätzt Fabian, dass rund 90 Prozent von allen, die er während jener Zeit in der Neonazi-Szene kennengelernt hat, mittlerweile aus­gestiegen sind. «Viele haben einen Job und führen ein normales Leben.» Was er seinen Eltern damals zugemutet hat, tut ihm heute leid. «Jetzt verstehe ich, was das alles ausgelöst hat. Und ich bin meiner Mutter unendlich dankbar, dass sie so sehr auf meinen Lehrabschluss insistiert hat. Ohne den wäre ich heute ziemlich aufgeschmissen.»

Ein schlechtes Gewissen bezüglich seiner Prügelopfer hingegen hat er nicht wirklich. «Das waren ja oft Leute, ­welche die Prügelei genauso sehr gesucht haben wie wir. Vereinzelt hat es natürlich andere erwischt, die es wirklich nicht verdient haben, das bedaure ich schon auch.»

Was Ausländer betrifft, hat sich Fa­bian mittlerweile stark entspannt. Während seiner Zeit bei den Neonazis hatte er für die Leute in der SVP und der PNOS nur Verachtung übrig. Die waren ihm entweder zu liberal oder zu weich. Heute bezeichnet er sich als «ein bisschen rechts der SVP» und geht bei Themen, die ihn interessieren, abstimmen. Die Minarett-Initiative etwa. «Die Situation mit den Jugendlichen vom Balkan hat sich beruhigt. Ich ­glaube, wir sind in der Schule mit einer besonders aggressiven Ausländer­gruppe konfrontiert gewesen. Heute wollen die Jungen von dort das Gleiche wie die jungen Schweizer: Sex, saufen, Spass haben.» Das Problem liege heute eher in der islamischen Welt.

Seine Mutter hat jene dunklen Jahre in Tagebüchern festgehalten, die sie in ­einem Schrank verstaut hat und heute nur noch ungern hervorholt. «Es be­lastet mich immer noch sehr, wenn ich an ­diese Zeit erinnert werde.» Deshalb will sie auch im Migros-Magazin nur anonym auftreten. Und Fabian, der im persön­lichen Umfeld recht offen mit seiner ­Vergangenheit umgeht, möchte sich ­deswegen keine beruflichen Chancen verbauen. «Bei mir im Geschäft wissen nicht alle Bescheid, und das muss auch nicht sein.» Auch seine Freunde von ­damals wissen nicht, dass er sich zu ­diesem Gespräch mit den Medien bereit­erklärt hat — zum ersten Mal überhaupt.

Seine Mutter hat schon früher ab und zu Auskunft gegeben. Aber sie ist sichtlich froh, als sie es wieder hinter sich ­gebracht hat. «Die Tagebücher verschwinden jetzt wieder in der Schub­lade, gemeinsam mit dieser ganzen Zeit von ­damals.»

Rechtsextremismus in der Schweiz

Auf den ersten Blick scheint sich die rechtsextreme Szene in den letzten Jahren ruhiger zu verhalten als auch schon. Der Lage­bericht 2013 des Schweizer Nachrichtendienstes hält zwar fest, dass das Gewaltpotenzial von Rechts- und Linksextremismus weiterhin bestehe, die innere Sicherheit dadurch aber nicht gefährdet sei. Es heisst allerdings auch: «Im Bereich Rechtsextremismus hat sich das klandes­tine Verhalten verstärkt. ­Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist noch nicht absehbar.» Auch andere Beobachter der rechten Szene konstatieren tendenziell einen Rückzug der ­Akteure: «Die extreme Rechte schwächelt und steht im Schatten der übermächtigen SVP, die ähnliche Themenfelder besetzt», schreibt die Antifaschistische Aktion (Antifa) in ­ihrer Broschüre «Die braune Szene der Schweiz».

Anfang des letzten Jahrzehnts hingegen sorgten die Neonazis mit öffentlichen Auftritten für ­viele Schlagzeilen: Am 1. August 2000 störte eine Gruppe von rund 100 Rechtsextremen die Rede von Bundesrat Kaspar Villiger. 2001 ­ermordeten vier Mitglieder des Ordens der arischen Ritter in Interlaken ihren 19-jährigen Kameraden Marcel von Allmen, weil ­dieser das Schweigegelübde der Gruppe gebrochen hatte. Bis Mitte der 2000er-Jahre machten die Neonazis immer wieder mit gros­sen Festen, Rechtsrockkonzerten und Schlägereien auf sich aufmerksam, parallel dazu wurden politische Parteien wie die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) gegründet.

«Seit ungefähr 2008 stagniert die extreme Rechte auf hohem ­Niveau», stellt die Antifa fest. Skeptischer gegenüber der scheinbaren Beruhigung der rechtsextremen Szene ist Damir Skenderovic (48), Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg und Rechtsextremismus-experte. «Das Problem ist, dass es viel zu wenig Ressourcen für die Erforschung und Beobachtung dieser Szene gibt. Wir wissen schlicht nicht genug, und es fehlt die Bereitschaft, das Phänomen ­längerfristig anzuschauen.»

Nach dem Rütli-Zwischenfall wurden vier Millionen Franken in ein nationales Forschungsprogramm investiert. Auch Skenderovic war daran beteiligt. Eine Teilstudie ergab etwa, dass jeder Zehnte von 3000 befragten Schülern zwischen 16 und 20 Jahren schon mal mit rechtsextremer Gewalt konfrontiert war. Diese Auseinandersetzungen fanden hauptsächlich am Wochenende, nachts und im öffentlichen Raum statt. Fast noch beunruhigender: Knapp 10 Prozent der befragten Jugendlichen sympathisierten mit rechtsextremen Gruppierungen. «Die Erkenntnisse des Forschungsprogramms waren wichtig, aber die meisten Forschenden beschäftigen sich seither wieder mit anderen ­Themen», sagt Skenderovic.

Der Geschichtsprofessor definiert Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als eine «Ideologie der Ausgrenzung, die dis­kriminierende Wirkung hat». Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Strömungen ist die Radikalität der Mittel und Äusserungen sowie die Gewaltbereitschaft. Die extreme Rechte lehnt «das System» rundweg ab und will eine nationale Revolution.

«In vielen Ländern Europas haben rechte Ideen im Zuge der Wirtschaftskrise derzeit Zulauf», beobachtet Skenderovic. Und die Schweizer Rechts-Szene sei international gut vernetzt. «Ich bin skeptisch, dass sich die Situation in der Schweiz von anderen Ländern grundlegend unterscheidet, auch wenn die Szene im Moment öffentlich weniger präsent ist.»

Fabian Eberhard (30) schätzt, dass der harte Kern aus rund 1000 Personen besteht. Er ist Redaktor der «SonntagsZeitung» und recherchiert seit knapp drei Jahren im rechtsextremen Umfeld. «Die Szene besteht vor allem aus Einzelpersonen, die in kleinen Kollegenkreisen aktiv sind.» Die etablierten Gruppen kämen zum Zug, wenn es darum gehe, etwas Grösseres zu organisieren. In den letzten Monaten sorgte eine sogenannte Legion Werwolf in der Schweiz für Schlagzeilen, auch wegen der engen Vernetzung zur deutschen Neonazi-Szene. Deren Ziel: «das System Bundesrepublik zu beseitigen». Eberhard hält die Gruppe durchaus für ernst zu nehmend. «Ihr Auftreten ist ­äus­serst militant.» Die Haupt­hassobjekte der Neo­nazis sind laut Eberhard die Linken, die Polizei und Ausländer im Allgemeinen. «Der Antisemitismus ist eher in den Hintergrund gerückt, ­dafür sind die Muslime ein beliebtes Ziel geworden.» Man dürfe diese Szene aber auch nicht überschätzen: «Wenn man liest, was im Internet so geschrieben wird, merkt man schnell, dass es viele Wirrköpfe darunter hat.»

Die Hochburgen der radikalen Rechten sind im Berner Oberland, der Innerschweiz und der Region Genf. Aber während in der Schweiz die Neonazis noch recht klassisch auftreten, gibt es im Ausland trendigere, neue Rechtsbewegungen. «Gerade in Frankreich und Deutschland machen die sogenannten Identitären ziemlich Furore und ziehen ganz andere Junge an als unsere Rechtsextremen hier.» In Genf gibt es mit den Jeune Identitaires Genevois einen Ableger davon, und Eberhard erwartet, dass der Trend aus Europa irgendwann auch die Deutschschweiz erreicht.

Derzeit hat allerdings auch er den Eindruck, dass es ruhiger ge­worden ist in der rechtsextremen ­Szene. «Trotzdem ist es wichtig, diese Leute im Auge zu ­behalten. Anders Breivik in Norwegen und die NSU-Morde in Deutschland haben gezeigt, dass es nur wenige braucht, die austicken.»