Neonazis statt Asylbewerber

St. Galler Tagblatt; 24.09.2013

Am Samstagabend haben sich im Berghaus Girlen oberhalb von Ebnat-Kappel Nazis zu einem Gedenkanlass getroffen. Die Rechtsextremen wählten eine Liegenschaft, in der auch immer wieder Flüchtlinge einquartiert werden.

 DANIEL WALT

EBNAT-KAPPEL. Idyllisch, auf 1150 Metern über Meer, liegt das Berghaus Girlen. Über die Sommermonate wird es für Lager oder Hochzeiten genutzt, über den vergangenen Winter diente es als Unterkunft für Asylbewerber. Nun hat das Haus Besuch von ganz anderer Seite erhalten: Mehrere hundert Nazis begingen am vergangenen Samstagabend den 20. Todestag von Ian Stuart Donaldson, einer «Ikone» der rechtsextremen Szene (siehe Zweittext).

Kurzfristig verlegt

Gian Andrea Rezzoli, Mediensprecher der St. Galler Kantonspolizei, bestätigt den Neonazi-Anlass und damit eine Information der Organisation Antifa Ostschweiz. Auf Anfrage hält er fest: «Die Polizei erfuhr erst sehr kurzfristig von der Veranstaltung – einige Teilnehmer waren bereits beim Berghaus eingetroffen.» Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass der Anlass ursprünglich im zürcherischen Gossau hätte stattfinden sollen. Die Gemeinde bekam aber Wind davon, dass es sich nicht wie behauptet um eine Geburtstagsparty handelte, und annullierte den Mietvertrag wieder. Dies berichtete der «Tages-Anzeiger» am Samstag. In der Folge verlegten die Nazis die Gedenkveranstaltung kurzerhand ins Berghaus Girlen ob Ebnat-Kappel.

Viel Abfall und Beschädigungen

Laut Michael Kauf, Mitbesitzer des Berghauses Girlen, ging die Buchung für den Anlass vom Samstagabend per Internet ein. «Angegeben wurde, dass es sich um eine Klassenzusammenkunft mit rund 40 Personen handle», hält er fest. Weder bei der Schlüsselübergabe noch bei der Rückgabe habe etwas darauf hingedeutet, dass die entsprechende Person aus der rechtsextremen Szene komme. Auffällig sei nur gewesen, dass bei der Schlüsselrückgabe zwölf 110-Liter-Kehrichtsäcke mit Abfällen bereit gestanden hätten – etwas gar viel für eine Gruppe von rund 40 Personen, so Kauf. «Zudem zeigten Beschädigungen unter anderem im Bereich der Lavabos und Toiletten, dass es bei der Veranstaltung durchaus heftig zugegangen sein musste.»

Polizei war nicht im Zelt

Die St. Galler Kantonspolizei beobachtete und begleitete den Anlass, an dem laut ihrer Schätzung 250 bis 300 Personen teilnahmen. Die Gegenseite habe die Polizeipräsenz auf jeden Fall bemerkt, sagt Sprecher Gian Andrea Rezzoli. «Wir haben keine Rechtsverletzungen festgestellt, und auch beim Abzug und der Nachkontrolle gab es keine Probleme.» Zumindest ein Teil des Anlasses ging in einem grossen Festzelt über die Bühne, welches laut Rezzoli auf der Terrasse des Berghauses aufgestellt war.

Ob es beim Auftritt allfälliger rechtsextremer Bands zu Verstössen gegen die Antirassismus-Strafnorm gekommen ist, vermag Gian Andrea Rezzoli nicht zu sagen – «klar ist, dass die Erkenntnisse, die wir während unseres Einsatzes gesammelt haben, nun ausgewertet werden». Im Zelt selbst war die Polizei nicht präsent. «Das Gesetz erlaubt das nicht, da es sich um einen privaten Anlass handelte.»

Hätte die St. Galler Polizei frühzeitig von der Veranstaltung der Rechtsextremen erfahren, hätte sie laut Rezzoli versucht, den Anlass zu verhindern. Stattdessen habe sie nun darauf geachtet, es nicht zu einer Eskalation kommen zu lassen.

Flüchtlinge kehren zurück

Laut Christian Spoerlé, Gemeindepräsident von Ebnat-Kappel, haben die Asylbewerber, die im letzten Winter im Berghaus Girlen lebten, die Liegenschaft im Frühling verlassen. Sie sind seither in Heiligkreuz untergebracht, sollen im November aber nach Ebnat-Kappel zurückkehren – und zwar ins Girlen. Für Spoerlé ist klar: «Man würde den Neonazis zu viel Gewicht geben, wenn man die Flüchtlinge nun nicht mehr dort unterbrächte.»

Der Gemeindepräsident ist überzeugt, dass die Buchung der Nazis im Berghaus zufällig erfolgte: «Ich glaube nicht, dass sie gewusst haben, dass hier Asylbewerber untergebracht werden.» Wie die Rechtsextremen reagierten, als sie davon erfuhren, ist nicht bekannt. So viel steht fest: Zusätzlich zu den 2350 Franken, die sie für die Buchung berappen müssen – eine Anzahlung ist erfolgt –, werden sie auch noch für die angerichteten Schäden aufkommen müssen.

Idyllisch gelegen: Das Berghaus Girlen oberhalb von Ebnat-Kappel wurde zum Treffpunkt für Neonazis.