Anklage gegen Neonazi steht

Neue Zürcher Zeitung; 05.09.2013

Versuchte Tötung im Niederdorf

Andreas Schmid

Die Staatsanwaltschaft plädiert im Fall eines Rechtsextremen, der in Zürich einen Kollegen aus dem Neonazi-Milieu angeschossen und schwer verletzt hat, auf versuchte vorsätzliche Tötung. Der Täter ist auch im Visier der deutschen Justiz.

 

Der 25-jährige Neonazi, der im Mai 2012 im Zürcher Niederdorf auf einen Gesinnungsgenossen geschossen hat, muss sich wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und mehrfacher Vergehen gegen das Waffengesetz vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Die mit dem Fall betraute Staatsanwältin Claudia Kasper hat am 21. August Anklage erhoben, wie sie auf Anfrage sagte. Ihren Antrag auf das Strafmass werde sie erst am Prozess vorbringen, hielt Kasper fest. Für versuchte vorsätzliche Tötung kann das Gericht 5 bis maximal 20 Jahre Gefängnis verhängen.

In Hamburg gestellt

Der Angeklagte hatte sein zwei Jahre älteres Opfer angeschossen und schwer verletzt. Es ging um eine Abrechnung mit einem Bekannten aus dem Rechtsextremen-Milieu. Der Täter flüchtete nach Hamburg, wo er zwei Tage später mit einer Pistole im Gepäck verhaftet wurde. 40 Beamte hatten den Gesuchten mit Maschinenpistolen im Anschlag am Bahnhof erwartet. Nach seiner Auslieferung an die Schweiz gestand er in der Untersuchungshaft, die Schüsse im Niederdorf abgegeben zu haben.

Im vergangenen Juli wurde die Gefängniszelle des 25-Jährigen im Rahmen einer Operation der deutschen Generalbundesanwaltschaft gegen eine rechtsextreme Gruppierung in Norddeutschland, den Niederlanden und der Schweiz durchsucht. Der Mann, der aus Grenchen stammt, ist mehrfach vorbestraft. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern hatte ihn im Frühling 2010 für mehr als 40 Straftaten verurteilt, unter anderem wegen Körperverletzung, Raufhandel und Rassendiskriminierung. Das Obergericht des Kantons Solothurn und das Bundesgericht bestätigten die Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren. Der Verurteilte war bereits früher straffällig geworden, oft nach exzessivem Alkoholkonsum. Mit einer rechtsradikalen Gruppierung hatte er schon vor zehn Jahren ein Lebensmittelgeschäft in Liestal überfallen und Kunden verprügelt. Später fiel er durch Gewalttaten gegen Jugendliche, Ausländer und einen Barkeeper auf. Er brach zwei Widersachern das Nasenbein und trat einem Betrunkenen so heftig ins Gesicht, dass dieser eine Hirnerschütterung erlitt. Zudem provozierte er in der Öffentlichkeit mit dem Hitlergruss und dem Singen von Naziliedern.

Ohne Berufsausbildung

Der Grenchner, der seine Kindheit vorwiegend in Pflegefamilien und Heimen verlebte, war im Alter von neun Jahren erstmals mit Rechtsextremen in Kontakt gekommen. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht, mit Teilzeitjobs bestritt er seinen Lebensunterhalt. Der Schütze vom Niederdorf trägt ein tätowiertes Hitler-Porträt, ein Hakenkreuz, einen Totenkopf, Handgranaten sowie ein Spinnennetz auf seinem Oberkörper. Dass er im Mai 2012, als er die Tat im Niederdorf beging, nicht im Gefängnis sass, liegt daran, dass er das Urteil des Solothurner Obergerichts ans Bundesgericht weitergezogen hatte. Dieses bestätigte den Richterspruch im Juni 2012 allerdings, so dass das Verdikt inzwischen rechtskräftig ist.