Auf falschem Fuss erwischt

Liechtensteiner Vaterland: Rechtsrock Die Kantonspolizei St. Gallen wusste, dass ein Neonazi-Event stattfinden würde-aber sie wusste nicht wo. Janique Weder, Christoph Zweili

Angekündigt gewesen war ein familiärer Konzertabend in der Tennishalle von Unterwasser, mit Schweizer Nachwuchsbands und 600 bis 800 Besuchern. Gekommen sind gegen 6000 Neonazis für ein Rechtsrock-Konzert.

Rolf Züllig, Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann, beteuert, vom Inhalt der Veranstaltung nichts gewusst zu haben. Die Gemeinde sei überrumpelt worden. Anders dürfte es bei der Kantonspolizei St. Gallen ausgesehen haben. Wie Recherchen ergeben haben, hatte die Polizei im Vorfeld Informationen vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erhalten. «Der NDB und die Kantonspolizei St. Gallen wussten, dass ein Rechtsrock-Konzert im süddeutschen Raum geplant war», sagt Gian Andrea Rezzoli, Mediensprecher der Kantonspolizei. Ein Flyer, der für das Konzert warb, hatte «Süddeutschland» als Veranstaltungsort angegeben. Aus Erfahrung habe man auch gewusst, dass der effektive Austragungsort bei solch rechtsradikalen Veranstaltungen oft von dem angegebenen abweiche, sagt Rezzoli. Dennoch: «Wir haben bei unseren Ermittlungen nicht herausfinden können, ob das Konzert in der Schweiz stattfindet oder nicht.» Erst am Samstagnachmittag, gegen 15 Uhr, hat die Polizei durch die Anreise der Konzertbesucher nach Unterwasser vom eigentlichen Veranstaltungsort erfahren. Daraufhin habe man mit Gemeindepräsident Züllig Kontakt aufgenommen und sich erkundigt, ob eine Bewilligung vorliege. Dies war der Fall.

Überschreiten der Grenze war nicht illegal

Offen ist, wie busweise Neonazi-Anhänger mir nichts, dir nichts die Staatsgrenze überqueren konnten, ohne dass irgendwo eine Alarmglocke geschrillt hat. Auf Anfrage wollen weder das Polizei-Präsidium Konstanz noch die Bundespolizeidirektion Stuttgart vom Neonazi-Treffen gewusst haben. «Das läuft alles über konspirative Kreise in den Sozialen Medien ab», sagt Fritz Bezikofer, Pressesprecher der Polizeidirektion Konstanz. «Solche Treffen gibt es jedes Jahr mehrere im südlichen Teil von Baden-Württemberg.» Auch Steffen Zaiser, Pressesprecher der Bundespolizei-Direktion Stuttgart, hat vom Toggenburger Treffen auf Anfrage «nichts gehört, geschweige schon vorher davon gewusst». Lägen Verstösse gegen deutsches Strafrecht vor, etwa das Singen von rechtsnationalen Parolen, «würden wir einschreiten». David Marquis, Mediensprecher der Eidgenössischen Zollverwaltung, präzisiert: «Illegal wird das Überschreiten der Grenze erst, wenn jemand bereits zur Fahndung ausgeschrieben ist», oder verbotene Gegenstände wie gewisse Flyer, Bücher, Ton-oder Filmaufnahmen mit sich führe-einmal abgesehen von Waffen, Sprays oder Schlagringen. «Nur auf die Vermutung hin, dass jemand an einem Konzert einen Hitlergruss machen könnte, können wir niemanden an der Grenze verhaften», sagt Marquis. Ins gleiche Horn stösst Mediensprecher Rez- zoli: Die Grenzwachten seien informiert gewesen und hätten durchaus Kontrollen durchgeführt, sagt er. Ohne Gesetzesverstoss könne jedoch niemand an der Einreise in die Schweiz gehindert werde.

Gemeinde prüft rechtliche Schritte

Der Neonazi-Auflauf in Unterwasser soll der grösste derartige Anlass gewesen sein, der in der Schweiz je stattgefunden hat. Dementsprechend gefragt war Gemeindepräsident Rolf Züllig in den vergangenen zwei Tagen: «Mein Telefon läutet ununterbrochen», sagte er gestern auf Anfrage. Von überall her erreichten ihn Anfragen, auch deutsche Medienhäuser interessierten sich plötzlich für das beschauliche Toggenburg.

«Im Nachhinein kann man wohl sagen, dass wir etwas naiv gehandelt haben.» Züllig betont aber auch, dass in seiner Gemeinde stets viele Veranstaltungen stattfänden. «Ich gehe also nicht automatisch davon aus, dass bei einem Event eine rechtsextreme Organisation dahinterstecken könnte.» Dass das Toggenburg nun mit Neonazis in Verbindung gebracht werde, sei äusserst unangenehm, sagt Züllig weiter. «Man tut der Region Unrecht, wenn man sie als Nährboden für Rechtsextremismus darstellt.» Wieso ausgerechnet Unterwasser als Veranstaltungsort ausgesucht worden sei, könne er nicht sagen. Pikant: Bereits vor drei Jahren hatten sich in der Region, damals in Ebnat-Kappel, Neonazis zu einem Gedenkanlass getroffen.

Derzeit prüft die Gemeinde Wildhaus-Alt St. Johann rechtliche Schritte gegen den Veranstalter. «Schliesslich haben wir die Bewilligung nur aufgrund falscher Angaben erteilt.» Als rechtliche Basis diene aber nur das Gastwirtschaftsgesetz, und zwar mit beschränkten Sanktionen. «Es gibt höchstens ein paar Hundert Franken Busse», sagt Züllig. Weiter sei die Gemeinde im Gespräch mit der St. Galler Staatsanwaltschaft. Gegenstand der Untersuchungen seien die Lie- derinhalte der aufgetretenen Bands, die Namen tragen wie Stahlgewitter, Frontalkraft oder Amok. In Deutschland sind die Texte verboten. «Wie das in der Schweiz ist, weiss ich nicht», sagt Züllig. Die Rechtslage werde darum geprüft.

Wenn es sich eindeutig um einen Anlass von und mit Neonazis gehandelt hat, bleibt die Frage: Warum wurde die Veranstaltung nicht abgebrochen? «Es waren 6000 Besucher vor Ort. So einfach wäre das nicht gewesen», sagt Züllig. Das nötige Dispositiv hätte so schnell nicht erstellt werden können. Ausserdem, mutmasst Züllig, hätte eine hohe Präsenz von Polizisten in der Tennishalle wohl negative Auswirkungen gehabt.

Auch bei der Kantonspolizei St. Gallen heisst es: «Ein Abbruch des Konzerts ist nie zur Diskussion gestanden.» Der Abend sei problemlos verlaufen, sagt Mediensprecher Rezzoli. Über die Gesinnung der Besucher will die Polizei nach wie vor keine konkreten Angaben machen.

Gegen 6000 Neonazis kamen am Wochenende in Unterwasser zu einem Rechtsrock-Konzert. Bild: AP (Jena, 18. August 2007)

Von «Privatanlass» kann keine Rede sein

Rassismus-Strafnorm Dass Rechtsextreme schnell einmal mit der sogenannten Rassismus-Strafnorm in Konflikt kommen können, liegt in der Natur der Sache. Denn diese Strafnorm-Artikel 261bis des Strafgesetzbuches-schützt die Würde des Menschen-unabhängig von Rasse, Ethnie und Religion.

Ihr genauer Wortlaut: «Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft, wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind, wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teil- nimmt, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht, wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Dabei handelt es sich um ein Offizialdelikt, also eine Straftat, die die Strafverfolgungsbehörde von Amtes wegen verfolgen muss, wenn sie ihr zur Kenntnis gelangt.

Was «öffentlich» genau bedeutet

Das Wort «öffentlich» ist von Bedeutung: Nicht gegen die Rassismus-Strafnorm verstösst nämlich, wer rassendiskriminierende Äusserungen oder Handlungen im privaten Bereich vornimmt. Was aber gilt rechtlich als privat? Privat ist, was in einem Umfeld erfolgt, «das sich durch persönliche Beziehungen oder durch besonderes Vertrauen auszeichnet»-also etwa der Familien-und Freundeskreis.

Der Rechtsrock-Anlass in Unterwasser nun wird da und dort als «Privatanlass» bezeichnet und in dieser Bezeichnung schwingt mit, allfällige rassistische Äusserungen und Handlungen der in der Halle Anwesenden fielen nicht unter die Rassismus-Strafnorm. Dies trifft jedoch nicht zu, wie das Bundesgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2004 klar festhält.

Die Argumentation des höchsten Gerichts: Wenn an einer solchen Veranstaltung Personen anwesend seien, zu denen keine persönliche Bindung und kein Vertrauensverhältnis bestehe, seien dort gemachte rassistische Äusserungen im Sinne der Rassismus-Strafnorm strafbar. Das gelte auch für Treffen von Rechtsextremen, denn lediglich die gemeinsame rechtsextreme Gesinnung schaffe noch kein Vertrauensverhältnis. Das Urteil sagt zu- dem, dass es auch nicht ausreicht, ein Treffen von Rechtsextremen als privaten Anlass zu verstehen, nur weil die Gäste persönlich eingeladen wurden und die Organisatoren Eingangskontrollen durchführten.

Wie steht es nun mit dem Event in Unterwasser, der nach Urteil des Bundesgerichts demnach nicht als privat gelten kann? Gab es Äusserungen oder Handlungen, die als Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm gelten müssten? Laut Gian-Andrea Rezzoli, Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen, hat die Polizei vor Ort angeblich «nichts feststellen können, das in diesem Sinn rechtlich von Relevanz gewesen wäre».

Rechte Konzerte in der Ostschweiz

Rechtsrock Das Konzert in Unterwasser ist nicht das erste in der Ostschweiz-und auch nicht das erste im Toggenburg.

September 2013

Zwischen 250 und 300 Personen nehmen im Berghaus Girlen oberhalb vom Ebnat-Kappel an einem Konzert rechtsextremer Bands teil. Gegenüber dem Vermieter hatten die Veranstalter angegeben, eine Klassenzusammenkunft mit 40 Personen durchzuführen. In Tat und Wahrheit handelte es sich um einen Gedenkanlass zu Ehren des 20. Todestages von Ian Stuart Donaldson; der 1993 verstorbene Leadsänger der rechtsextremen Band Skrewdriver gilt bis heute als Ikone der Szene.

April 2013

Aufregung in Kreuzlingen: Es wird publik, dass die Südtiroler Band Frei.Wild in der Bodensee-Arena auftritt. Die Betreiber der Halle hatten nicht gewusst, dass die Band dem Dunstkreis der rechtsextremen Szene zugeordnet wird. Offiziell distanzieren sich die Musiker von Naziskins. Das rechte Image werden sie trotzdem nicht los.

Dezember 2012

Die rechtsextreme Band Vargr I Veum tritt im Löwen-Pub in Riedt bei Erlen auf. Der Andrang hält sich in Grenzen, kaum fünfzig Menschen besuchen die Veranstaltung. In der Konzertpause erhält der «Tagblatt»-Journalist ein Kärtchen zugesteckt: «Hiermit erteilt die Band der Presse Hausverbot!».

Dezember 2008

Rund 50 Rechtsextremisten treffen sich in Kradolf zu einem Konzert. Anlass die CD-Taufe der Band Vargr I Veum. Die ebenfalls angekündigte deutsche Band White Voice tritt nicht auf; dem Gitarristen sei die Einreise in die Schweiz verwehrt worden, heisst es.

November 2006

In einem Restaurantsaal in Sax, Gemeinde Sennwald, besuchen 150 Rechtsextremisten ein Konzert. Die Polizei kontrolliert die Eintreffenden-ihr Besammlungsort war auf dem Ricken-und überwacht das Konzert im Saal eines Restaurants.

August 2006

Die Schweizer Hammerskins organisieren in Kradolf ein Konzert, an dem die deutsche Band Carpe Diem und die britische Gruppe Secion 88 auftreten. Rund 80 Personen besuchen den Anlass in der ehemaligen Teigwarenfabrik.

Mai 2004

Der Patriotische Ostflügel organisiert in Amriswil ein Konzert. Es kommen rund 200 Besucher; laut Polizei stammen sie aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich.

Juni 2003

140 Rechtsextremisten treffensichinHessenreuti,zwischen Riedt bei Erlen und Sulgen, zum «Sommerfest» auf einem privaten Grundstück. Organisiert hat den Anlass der Patriotische Ostflügel (POF); bereits ein Jahr zuvor hatte er in einem Wald bei Hessenreuti zum Fest geladen. Gründer der POF ist der Thurgauer Neonazi Pascal Lobsiger.