Attacke auf orthodoxen Juden: Der verhängnisvolle Hass des Zürcher Neonazi-Rockers

Neue Zürcher Zeitung. Ein mehrfach vorbestrafter Rechtsextremer musste sich wegen einer Attacke auf einen orthodoxen Juden in Zürich vor Gericht verantworten. Er wurde am Dienstag wegen Rassendiskriminierung und Tätlichkeit schuldig gesprochen.

Aus seiner Gesinnung machte Kevin G. nie Hehl. Sie ist gar eingraviert in seine Haut. Zwar verdeckte vor Gericht ein gestreiftes Hemd die verräterischen Tätowierungen auf seiner Haut. Auf seinem Schulterblatt prangt jedoch ein Hakenkreuz, auf seinem Arm das Konterfei eines SA-Mannes und auf seinem Bauch ist die Abkürzung «RaHoWa» eingraviert – das Akronym steht für «Racial Holy War».

Als Frontmann der Band Amok war der 30-Jährige in den letzten Jahren zu einer der bekanntesten Figur innerhalb der Schweizer Neonazi-Szene geworden. Die Mitglieder der Gruppe haben zudem auch enge Verbindungen in die Nachbarländer, etwa zu braunen Gesinnungsgenossen aus Thüringen. Davon zeugen Auftritte der Musiker an rechtsextremen Veranstaltungen in Deutschland und wohl auch beim Rocktoberfest in Unterwasser, das im Herbst 2016 rund 5000 Rechtsextreme aus ganz Europa in die Schweiz lockte.

Auch während der Strafuntersuchung gab der Metzger an, Geschichtsbücher würden die Ereignisse im 2. Weltkrieg falsch darstellen. Und entgegen früherer Beteuerungen gegenüber dem «Tages-Anzeiger» singt er auch weiterhin in einer Band. Die Musik sei seine grosse Leidenschaft, erklärte er dem Richter. Sie diene ihm als Ventil. «Ich kann dort ausdrücken, was ich denke.» Für dieses musikalische Ausdrücken seines Gedankenguts war er jedoch bereits einmal verurteilt worden. Seither prüfe ein Anwalt die Texte. «Wegen der immer schärfer werdenden Gesetze in der BRD», sagt der Neonazi. Das sei für den Vertrieb dort wichtig.

Antisemitische Tiraden

Auf die Musik muss er nun allerdings länger verzichten. Das Bezirksgericht Zürich hat ihn wegen Rassendiskriminierung und Tätlichkeit schuldig gesprochen. Er muss eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten absitzen und eine Busse von 1000 Franken bezahlen. G. wird zudem verpflichtet, dem Opfer für seine Anwaltskosten eine Prozessentschädigung in der Höhe von 6462 Franken sowie eine Genugtuung von 3000 Franken zu bezahlen.

Der Grund für das harte Strafmass liegt in mehreren Vorstrafen des 30-Jährigen. Das Gericht hat nämlich mit dem Urteil vom Dienstag auch zwei frühere, bedingt und teilbedingt ausgesprochene Strafen widerrufen. Im einen Fall hatte G. bei einer Prügelei in Jona einem Betrunkenen einen doppelten Nasenbeinbruch sowie Quetschungen an Stirn und Brustkorb zugefügt. Dafür war er vom Kreisgericht See-Gaster im Juni 2013 zu einer 30-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, 12 davon musste er absitzen. Im anderen nun widerrufenen Fall hatte das Gerichtspräsidium Lenzburg rund ein Jahr davor eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 100 Franken ausgesprochen.

Zum Verhängnis geworden ist dem Metzger, der inzwischen seinen Wohnort gewechselt hat, ein Vorfall vom 4. Juli 2015. Auf dem Heimweg von der Synagoge war damals ein jüdisch-orthodoxer Mann in Wiedikon von einer Gruppe angetrunkener Männer in der Nähe des Manesseplatzes übel beschimpft und attackiert worden.

Die rechtsextremen Teilnehmer des Polterabends hatten zunächst antisemitische Parolen skandiert. Als das spätere Opfer auf dem Trottoir in Richtung Manesseplatz lief, stellten sich ihm die Männer in den Weg. Rädelsführer sei Kevin G. gewesen, erklärte die Staatsanwältin Susanne Leu vor Gericht. Sie berief sich dabei auf Aussagen des Opfers und mehrerer Zeugen, die allerdings nicht eindeutig ausgefallen waren. Der 30-jährige Rechtsextreme soll den Gläubigen als «Scheissjuden» tituliert und ihn mit «Wir werden euch alle vergasen» und «Wir schicken euch nach Auschwitz» verunglimpft haben. Er soll den Arm zum Hitlergruss gehoben und «Heil Hitler» gegrölt haben. Zudem habe er dem Opfer dreimal ins Gesicht gespuckt und ihn geschubst. Eine Passantin, die sich schützend vor den Juden stellte, konnte den Angreifer gerade noch von einem Faustschlag abhalten. Das Opfer erstattete nach dem Vorfall Anzeige.

«Irgendwann ist es zu viel»

G. bestritt vor Gericht allerdings die Taten. Er habe sich von der Gewalt distanziert und laufe heute sofort weg, wenn er merke, dass die Stimmung kritisch oder aggressiv werde, sagt er. «Ich bin nicht mehr der Gleiche und habe im Gefängnis einen Lebenswandel durchgemacht.» So habe er denn auch den Polterabend im Juli 2015 verlassen, als er merkte, dass die Stimmung kippte und es Streitereien gab. Er habe daher den ganzen Vorfall gar nicht mitbekommen – bis die Polizei ihn aus einem Taxi holte und zurück zur Polterabend-Gruppe brachte.

Sein Verteidiger Jürg Krumm forderte deshalb einen Freispruch. Es könne nicht bewiesen werden, dass sein Mandant die Taten durchgeführt habe. Auch die Zeugenaussagen seien nicht klar, weshalb die Vorwürfe zurückzuweisen seien. Der Verteidiger vermutete vielmehr eine Verwechslung: Die Leute aus der Polterabend-Gruppe seien alle tätowiert gewesen, hätten ähnliche Kleider getragen und grimmig ausgesehen.

Den Beteuerungen des Beschuldigten schenkte die Staatsanwältin jedoch keinen Glauben.  Er habe sich wohl einfach aus dem Staub machen wollen, als er die Polizeisirenen hörte. Weiter argumentierte Leu, der 30-Jährige habe ohne Anlass eine ihm fremde Person in ihrer Integrität massiv verletzt. Das Vorgehen sei primitiv gewesen, das zugrunde liegende Gedankengut bösartig, abscheulich und eine Gefahr für die Gesellschaft. Erklären könne sie sich das einzig mit Minderintelligenz des Beschuldigten. Von widerlichen Handlungen sprach auch der Anwalt des Opfers, der als Privatkläger am Prozess auftrat. Keiner der Polterabend-Teilnehmer habe sich je von dem rechten Gedankengut distanziert. «Es ist erschreckend, dass wir solches Gedankengut noch im Jahr 2015 auf Zürcher Strassen hören mussten.» Für das Opfer sei der Vorfall äusserst traumatisch gewesen, darunter leide der Mann noch heute.

Im Vorfeld der Verhandlung hatte die Staatsanwältin gleich zwei Anklageschriften eingereicht. In der Eventualanklage beantragte sie zwar das gleiche Strafmass wie in der Hauptanklage. Sie räumte aber die Möglichkeit ein, dass die vorgeworfenen Taten nicht von Kevin G., sondern von einem anderen Mitglied der Gruppe begangen worden waren. Dabei hätten die Teilnehmer, insbesondere auch der Beschuldigte, die jeweiligen antisemitischen Äusserungen der anderen Mitglieder an die Adresse des Juden jedoch billigend in Kauf genommen.

Das Gericht schliesslich zeigte sich überzeugt, dass der 30-Jährige der Täter war. Es gebe zwar kein Beweismittel, welches alles völlig klar mache, erklärte der Richter. Es gebe allerdings genügend Indizien, die für eine Schuld sprächen. «Es gibt keinen vernünftigen Zweifel.» Das harte Strafmass erklärte der Richter mit den Vorstrafen. «Jeder hat eine faire Chance verdient, sein Leben zu ändern. Aber sie haben immer wieder delinquiert. Irgendwann ist einfach zu viel passiert.»

Das letzte Wort ist in dem Fall allerdings noch nicht gesprochen. Verteidiger Krumm hat bereits angekündigt, Beschwerde gegen das Urteil zu erheben.


Urteil DG 170273 vom 13. 3. 18, nicht rechtskräftig.