Anti-Rassismus-Strafnorm wird nur selten angewendet

Der Bund.

Künftig sollen auch Homosexuelle unter Schutz stehen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat den Abstimmungskampf eröffnet.

Der Bundesrat ist nicht Feuer und Flamme für die Vorlage, die Homosexuelle unter besonderen Schutz stellt. Das Parlament will diese Gesetzesänderung, der Bundesrat ist nur halbherzig dafür. Das zeigte sich bei seiner Stellungnahme vor einem Jahr, und das zeigte sich auch gestern wieder, als Justizministerin Karin Keller-Sutter vor den Medien in Bern den Abstimmungskampf offiziell eröffnete, nachdem die Komitees der Gegner und Befürworter vor einigen Wochen schon aufgetreten waren.

Die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm, die heute Ethnie, Rasse und Religion umfasst, um ein viertes Element – die sexuelle Orientierung – «sei eine Vorlage des Parlaments», betonte Keller-Sutter. Und sie sagte auch, dass nicht jeder Gegner der Vorlage etwas gegen Homosexuelle habe. Ein Ja wäre «ein Signal» gegen Hetze und Diskriminierung, sagte sie.

Die beiden Rechtskommissionspräsidenten Laurence Fehlmann Rielle und Beat Rieder plädierten hingegen eindringlich für die Erweiterung der 1995 eingeführten Strafnorm. Die Genfer SP-Nationalrätin Fehlmann Rielle sprach von der überdurchschnittlich hohen Suizidrate junger Homosexueller. Man müsse diese besonders verletzliche Gruppe besser schützen.

«Man darf weiterhin aus der Bibel zitieren»

Der Walliser CVP-Ständerat Rieder sprach vom rechtlichen Aspekt. Es habe sich eine klare Gerichtspraxis zur Strafnorm herauskristallisiert: Die Hassbotschaft muss öffentlich geäussert werden und so schwerwiegend sein, dass sie den Kern der Menschenwürde tangiert.

Aus der Bibel könne man weiterhin zitieren, sagte Rieder. Allerdings sei die Bibel immer schon auch missbraucht worden – etwa um Sklaverei und die angebliche Minderwertigkeit von Frauen zu rechtfertigen. Auch Homosexuelle seien oft Ziel solcher Exkurse, sagte Rieder und folgerte: «Wer Bibelstellen zitiert, um Hass zu schüren, macht sich künftig unter Umständen strafbar. Wer respektvoll bleibt, riskiert keine Strafe.»

Auch Stammtischgespräche seien weiterhin erlaubt, sagte Rieder, da sie nicht öffentlich seien. Wenn jemand Unbefugtes mithöre, dann könne er nicht klagen, da die Botschaft nicht für ihn oder die Öffentlichkeit bestimmt war.

Ein wichtiges Argument der Befürworter ist ironischerweise: Die Strafnorm wird nur selten angewendet. Darauf verwiesen sowohl Karin Keller-Sutter als auch Beat Rieder. Tatsächlich blieb die Zahl der Verurteilungen wegen Verstoss gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm in den 24 Jahren ihres Bestehens auf sehr tiefem Niveau. Das bestätigt auch Alma Wiecken, Juristin und Leiterin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), die eine Statistik der Rechtsfälle führt. 910 Fälle sind der Kommission bekannt, in zwei Dritteln der Fälle kam es zu einer Verurteilung.

Spitzenjahr 2007

Auffällig sind Ausreisser nach oben in den Jahren 2007 und 2015. Nicht ohne besondere Gründe: 2007 gerieten nach einem Eishockeymatch im Kanton Zürich Fan-Gruppen aneinander, dabei hörte man «Sieg heil» und «Heil Hitler», manche streckten den Arm zum Hitlergruss. 18 Strafanzeigen gingen danach ein, die Untersuchung wurde in allen Fällen eingestellt.https://datawrapper.dwcdn.net/rKCMR/3/

2015 schliesslich war das Jahr der aufkommenden Hassreden in den Social-Media-Kanälen. Über die Hälfte der 56 Fälle betreffen Einträge auf Facebook, Youtube, in Kommentarforen oder Blogs. «Hatespeech kam ab 2015 auch in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden», sagt Alma Wiecken. Das Thema Flüchtlinge und der wieder aufflammende Palästina-Israel-Konflikt hätten diese Tendenz wohl noch zusätzlich angeheizt.

Insgesamt beschränkten sich die Urteile zur Anti-Rassismus-Strafnorm auf einen Bruchteil aller Strafurteile, sagt Alma Wiecken. Zwischen 1 und 51 Personen wurden jährlich wegen Verstoss gegen die Strafnorm verurteilt, in anderen Bereichen seien es Tausende. «Allein wegen Beschimpfung nach Strafgesetzartikel 177 gab es vergangenes Jahr 3296 Verurteilungen.»

Wie sich die Zahl der Rechtsfälle entwickelt, wenn Homosexuelle mitgeschützt sind, darüber gibt es keine Prognosen. Die Staatsanwaltschaften mehrerer Kantone machen auf Anfrage keine Einschätzung – auch Alma Wiecken lehnt dies ab. Ein Schluss ergibt sich einzig aufgrund der bisherigen Erfahrungen: Anti-Rassismus-Urteile würden wohl weiterhin eine Randnotiz bleiben in der Statistik.