Tages-Anzeiger.
Schweizer Neonazis sind international bestens vernetzt. Rechtsextrem motivierte Zwischenfälle haben zugenommen.
Die rechtsextreme Szene in der Schweiz ist klein und zersplittert, aber gut vernetzt mit dem Ausland. Dass an Treffen von Neonazis – abgesehen von grossen Konzerten – selten mehr als 20 Personen teilnehmen, sollte nicht von der Gefahr ablenken, die zum Beispiel von möglichen Einzel- und Nachahmungstätern ausgeht. Die Hassrede in den sozialen Medien gegen Muslime, Schwarze und Juden sowie die Diskussionen in den einschlägigen Chatgruppen haben ein Ausmass angenommen, das Anschläge auch in der Schweiz vorstellbar macht.
Zahlreiche Schusswaffen
Viele Rechtsradikale sind bestens mit legal erworbenen Feuerwaffen ausgerüstet, und manche von ihnen arbeiten in der Sicherheitsbranche, wodurch sie über Wissen und Können verfügen, die einem «normalen» Attentäter in der Regel fehlen. Synagogen und jüdische Schulen werden von gut trainierten Sicherheitsleuten geschützt. Gewaltbereite Neonazis könnten deshalb zum Beispiel auf Moscheen oder Asylheime ausweichen. Diese sind bestenfalls mit Sicherheitskameras ausgerüstet, sie stellen also sogenannte weiche Ziele für Terroristen dar.
Schweizer Neonazis verfügen über gute Beziehungen zu Gleichgesinnten im Ausland. Während sich die Résistance Helvétique in der Romandie unter anderem an der inzwischen verbotenen französischen Bastion Social und an der neofaschistischen Casa Pound in Italien orientiert, blicken die Deutschschweizer Braunen eher nach Norden. So laden die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) und andere Neonazi-Gruppen gerne Redner und Musiker aus der deutschen Neonazi-Szene ein. In der Schweiz gibt es – anders als in Deutschland oder in Österreich – keinen Verfassungsschutz, der solche Gruppen beobachtet und allenfalls verbieten lässt. Ganz bewusst hat der Bundesrat darauf verzichtet, dem Nachrichtendienst (NDB) das Abhören gewalttätiger Extremistengruppen zu erlauben, weil diese angeblich näher bei politisch-ideologischen Bewegungen angesiedelt seien und man deshalb besondere Zurückhaltung walten lassen müsse.
So kann die rechtsradikale Splittergruppe Nationale Aktionsfront ungeniert Werbung für eine musikalisch umrahmte Vortragsveranstaltung unter dem Titel «Völkisches Forum» machen. Dieses Treffen soll Ende November im Mittelland stattfinden. Eingeladen ist zum Beispiel der deutsche Gitarrist Frank Kraemer von der Rechtsrockgruppe Stahlgewitter. Angekündigt ist weiter der Schweizer Neonazi Adrian Segessenmann, Vorsitzender der «völkisch-heidnischen» Avalon-Gemeinschaft. Er soll über den «Nationalen Sozialismus im 21. Jahrhundert» berichten.
«Nationaler Widerstand»
Dass solche Veranstaltungen – auch unter Mitwirkung deutscher Neonazis – in der Schweiz möglich sind, gibt zu denken. Die Nationale Aktionsfront setzt sich für die «Erhaltung der eigenen Art» ein und hält «Abwehrverhalten gegen Artfremde» für legitim, wie in ihren Grundsätzen nachzulesen ist. Sie sieht sichals Sammlungsbewegung des «nationalen Widerstands», die sich gegen den «rassenbiologischen Niedergang dieser Zeit» zur Wehr setzt und dem «bedingungslosen Kampf» gegen jede Form von Ãœberfremdung das Wort redet. Bedingungslos, schliesst das auch Gewalt gegen Fremde ein?
Dass die Zahl der rechtsextrem motivierten Zwischenfälle erstmals seit längerem wieder im Steigen begriffen ist, kann vor solchem Hintergrund nicht erstaunen. 2018 verzeichnete der NDB 53 Ereignisse im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus, eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Allerdings kam es zu keiner einzigen rechtsextremen Gewalttat. Zum Vergleich: Es gab rund viermal mehr linksextreme Ereignisse, wobei die Zahl der Gewalttaten von 100 auf 78 sank. Diese Zahlen aus der Vergangenheit sagen aber wenig über die Zukunft aus. Obwohl Linksextremisten in der Schweiz gewalttätig sind, traut ihnen im Moment niemand einen Massenmord zu. Das ist ganz anders bei Neonazis und Jihadisten.
Rechtsradikale sowie sogenannte Reichsbürger und Staatsleugner aus Deutschland suchen Schutz in der Schweiz oder nützen die liberalen hiesigen Gesetze aus, um von hier aus ihre Giftpropaganda zu verbreiten. So fallen etwa in der Region Basel gleich zwei rechtslastige, verschwörungstheoretische Plattformen auf, die ihre zum Teil hetzerischen Berichte vor allem auch mit Blick auf ein deutsches Zielpublikum veröffentlichen. Bei beiden Medien sind deutsche Verschwörungstheoretiker und Staatsleugner federführend.
Eine Art Schattenarmee
Einiges deutet auch darauf hin, dass das Soldatennetzwerk Uniter sich verstärkt auf die Schweiz konzentriert. Uniter wird von einigen deutschen Medien verdächtigt, eine Art Schattenarmee zu bilden. Diese würde angeblich an einem «Tag X» zum Beispiel linke Politiker ermorden wollen. Eine Führungsfigur des Netzwerks dementierte solche Pläne gegenüber der Redaktion Tamedia allerdings aufs Heftigste. Nichtsdestotrotz scheinen deutsche Exponenten von Uniter in der Schweiz zunehmend sichtbarer zu werden, nicht zuletzt weil in Deutschland gegen Uniter ermittelt wird. Nachdem eine Veranstaltung in Luzern vor einiger Zeit hat abgesagt werden müssen, plant Uniter nun für heute eine neue Zusammenkunft in der Zentralschweiz.
Die Pnos als mit Abstand grösste rechtsradikale Bewegung der Deutschschweiz durchläuft derweil schwierige Zeiten. Die Gruppe versucht sich als «moderne Rechtspartei» zu etablieren, stösst damit aber bei den hartgesottensten Neonazis, unter ihnen Mitglieder von Blood & Honour und Combat 18, auf Ablehnung. Eine weitere Splittergruppe mit Verbindungen zu diesen zwei Formationen führt im Raum Zürich Veranstaltungen durch – mit Hitlergruss, Hakenkreuzen und SS-Runen.