Die Nazis und der Populismus

Basler Zeitung: Bern einfach

Letztes Wochenende haben in Unterwasser im sankt-gallischen Toggenburg Rockbands aus der rechtsextremen Szene vor fünftausend Fans eine halbe Nacht lang Krach gemacht. Der Anlass lief, gemäss der St. Galler Kantonspolizei, «absolut geordnet ab». Es ist weder zu Belästigungen, Ausschreitungen, Sachbeschädigungen noch zu einem Verkehrschaos gekommen. Zwar ist eine Anzeige wegen Verstössen gegen die Antirassismus-­Strafnorm eingegangen, doch selbst deren Ab­sender geben zu, dass sie keine Beweise dafür haben. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand nicht, weshalb ein vorsorgliches Einschreiten gegen die Veranstaltung nicht verhältnismässig gewesen wäre. Es gibt keinen Grund, die gruselige rechte Szene und ihre extremistischen Anhänger irgendwie in Schutz zu nehmen. Deren Einstellungen und die Liedtexte ihrer Bands sind inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Nur: Dummheit ist auch in Tateinheit mit Meinung nicht verboten.

Was in den letzten Tagen medial und politisch aus diesem Konzert gemacht wird, lässt tief in den Zustand einer Gesellschaft und ihrer politisch-­medialen Elite blicken. Sich besorgt in Szene ­setzende Politiker und die vereinigte Journaille von

WoZ

bis

NZZ

fordern ein Verbot derartiger Konzerte. Sie verwechseln dabei den Rechtsstaat mit dem (zu Recht) gefühlten Unbehagen. Das Resultat ist billiger Populismus. Es ist eben – Gott sei Dank! – nicht so, dass der Mob über Schuld und Unschuld abstimmt, wie eben eine Fernsehshow auf den öffentlichen Sendern (!) in der Schweiz und Deutschland insinuierte.

Dass sich Politiker und Medien ausgerechnet von der Antifa Bern (sie machte den Anlass publik) haben instrumentalisieren lassen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn auf der extremen ­Linken pflegt man die gleiche Intoleranz und Gewalt, wie in der rechten Szene. Die linke Szene in der Berner Reitschule lässt keinen erkennbaren Polizisten in ihre Reitschule, sondern bombar­diert «Bullenschweine» mit Steinen oder gar Molotowcocktails. Ausschreitungen sind an der Tagesordnung, Belästigungen auch.

Les extrêmes se touchent: Der linke Kollektivismus ist gar nicht weit weg vom rechten Gedankengut der Konzertbesucher im Toggenburg. Ob nationaler Sozialismus von rechts oder internationaler Sozialismus von links spielt für die Freiheit des Individuums kaum eine Rolle. Sie kommt – das 20. Jahrhundert ist mein Zeuge – unter die Räder der linken oder rechten Staatsgewalt. Bei der einen ist das Kriterium für das Todesurteil die Rasse, bei den anderen die Klasse. Die Leichenberge mögen am Ende unterschiedlich hoch sein, die Menschenverachtung ist es nicht.

So unerwünscht die rechte Szene ist: Der Rechtsstaat darf nicht durch Gefühlslage und Em­­pörung ersetzt werden. Das verstösst gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit und gegen die Aufklärung, welche uns dieses Grundrecht gebracht hat. Eine Inhaltskontrolle von Konzerten ist jenseits einer offenen Gesellschaft und nahe bei Nachzensur und totalitärer Meinungskontrolle. Es ist ein bedenkliches Zeichen, wenn sich Politiker und Medien zu solchen Forderungen hinreissen lassen. Diese Schwemme aus moralinsaurem Gefühls­populismus und politischer Korrektheit ersäuft nichts weniger als den «Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit» (Immanuel Kant), zu dem Irrungen und ­Wirrungen leider auch gehören. Genau dann – es ist eine Ironie der Geschichte – wächst ein Gegen-Populismus, inklusive Wunsch nach einem starken Mann. So entsteht, es gibt auch hierfür historische Beispiele, aus dem Verzicht auf die Debatte gegenüber links und rechts das, was der Demokratie gefährlich wird. Tragisch, dass deren gewählte Vertreter und die allermeisten Medien jetzt freudig mitziehen. Sie gebärden sich noch immer wie die von Kant so grandios kritisierten «Vormünder», welche die Menschen als «Hausvieh» behandeln, damit sie «ja keinen Schritt ausser dem Gängelwagen» wagen, in dem sie «eingesperrt» sind. Wenn die Demokratie soweit gediehen ist, dass Polizisten an Konzerten ­Liedtexte protokollieren sollen, dann ist sie tot.