Der lange Weg aus dem Ghetto

Neue Zürcher Zeitung: Vor 150 Jahren erreichten die Juden hierzulande endlich die Niederlassungsfreiheit – und waren doch nicht am Ziel. Die NZZ schaut zurück und stellt drei Gesichter des Schweizer Judentums von heute vor.

Bis 1866 durften die «Israeliten» nur in zwei Dörfern im Aargau wohnen. Das änderte sich erst mit der Teilrevision der Bundesverfassung. Der Widerstand war vor allem in der Innerschweiz gross.

Dass die Schweiz unter ausländischem Druck einknickt und ihre Gesetze internationalen Gepflogenheiten anpasst, ist kein Phänomen bloss des 20. und 21. Jahrhunderts – das Muster zeigte sich auch bei der Judenemanzipation im 19. Jahrhundert. Erst Interventionen von aussen bereiteten dieser den Weg. Doch der Reihe nach: Bis 1866 dürfen die Schweizer Juden offiziell nur in den beiden Aargauer Dörfern Endingen und Lengnau dauerhaft wohnen, aus den Städten wurden sie schon lange vorher vertrieben. Die Lage verkompliziert sich, als Eroberer Napoleon die revolutionären Ideen der Gleichberechtigung aller Menschen in die Helvetische Republik mitbringt und als nach 1780 Elsässer Juden in die Schweiz einwandern. Als Franzosen stehen sie unter dem diplomatischen Schutz von Paris und verfügen praktisch über volle Bürgerrechte – im Gegensatz zu ihren einheimischen Glaubensgenossen.

Druck aus Frankreich

Die Gründer des Bundesstaates verpassen es, diese offensichtliche Ungerechtigkeit mit der Verfassung von 1848 auszuräumen: Nur Christen erhalten landesweit die volle Religions-, Handels- und Niederlassungsfreiheit. Die rund 4000 «Israeliten», wie sie oft genannt werden, bleiben unberücksichtigt. Die «Judenfrage» entwickelt sich in der Folge zu einem der umstrittensten Themen der Innenpolitik, sie vergrössert noch den Graben zwischen den Liberalen und den Konservativen. Die Waage neigt sich auf die Seite der Modernisierer, als europäische Grossmächte und die USA die Gleichberechtigung der Juden auch in der Schweiz ultimativ einfordern. Von diesem Zugeständnis machen Frankreich und die Niederlande den Abschluss von Handelsverträgen abhängig. Der Bundesrat schlägt deshalb 1865 eine Teilrevision der Bundesverfassung vor, die unter anderem allen Schweizer Bürgern die Niederlassungsfreiheit gewährt.

Nach der Zustimmung durch das liberal dominierte Parlament schreibt die NZZ am 22. Dezember 1865, man könne sich allerseits der Einsicht nicht mehr verschliessen, dass die Ausnahme in der Verfassung einem freien Land übel anstehe und dass «es in heutiger Zeit keinen rechten Sinn mehr habe, die bürgerlichen Rechte vom Bekenntnis des religiösen Glaubens abhängig zu machen». Frei von antisemitischen Untertönen ist der Bericht nicht, geht der Redaktor doch auf den «Schachergeist» der Juden ein. Man zäume aber das Ross am Schwanz auf, wenn man die Israeliten deshalb des Niederlassungsrechtes beraube. Denn dadurch würden sie nicht am «Schachern» gehindert, sondern nur am Betrieb anderer Berufsarten, für die ein fester Sitz notwendig sei.

Jeder Schulknabe wisse, dass die Juden vor der Eroberung Kanaans Hirten und nachher Ackerbauer gewesen seien und keinerlei Handel betrieben hätten. «Erst als man ihnen ihre Heimat nahm, verminderte sich auch ihre Berufsthätigkeit; sie nahmen nun als Kosmopoliten ihre Zuflucht zu dem kosmopolitischen Handel.» Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigten, dass die Juden die ausschliessliche Beschäftigung mit dem Handel von selbst aufgäben, wenn man ihnen wieder eine Heimat gewähre. Und dass «überhaupt mit Anerkennung ihrer Menschenwürde auch die bessern Seiten ihres Charakters wieder mehr hervortreten». Die Schweiz möge, so hofft der Redaktor, «durch ein feierliches Volksvotum sich auch hierin mit der übrigen gesitteten Welt in Harmonie setzen».

In vielen katholischen Gebieten verhallen solche Appelle weitgehend ungehört. Wie der Historiker und Grünen-Politiker Josef Lang später analysieren wird, dient der Kampf gegen die Judenemanzipation den Konservativen als Vehikel, um sich als Partei nach der Niederlage im Sonderbundskrieg von 1847 wieder aufzubauen. Indem die Juden als minderwertig dargestellt werden, lässt sich zudem von der wirtschaftlichen und politischen Inferiorität der katholischen Gebiete in dieser Zeit ablenken.

Gegen die «Verjüdelung»

Im Aargau tritt seit 1862 der Publizist Johann Nepomuk Schleuniger als Wortführer der Antisemiten auf, und auch in der Innerschweiz wird das politische Klima immer vergifteter. In den Urkantonen lebt 1860 ein einziger Jude, zudem verspricht der Handelsvertrag mit Frankreich reiche Erträge aus dem Milch- und Käseexport. Und doch macht der Piusverein als wichtigste Organisation des nach Rom ausgerichteten, ultramontanen Katholizismus gegen die Verfassungsreform und die damit verbundene «Verjüdelung der Schweiz» mobil.

Die Juden gelten als Chiffre für Moderne und Ungläubigkeit, und die katholischen Wortführer wissen, dass der Antisemitismus ein nützliches Instrument ist, um einen Grossteil der ländlichen Bevölkerung hinter sich zu scharen. Vor der Abstimmung hetzen Priester und Zeitungen in Luzern, Nidwalden, Zug und Schwyz gegen den «Judenvertrag» mit Frankreich. Die «Schwyzer Zeitung» bezeichnet die Juden als «Landplage» und als «soziale Borkenkäfer». Die Kampagne verfängt, ausser Obwalden lehnen alle Innerschweizer Kantone die Revision deutlich ab.

Dennoch triumphieren am 14. Januar 1866 die fortschrittlichen Geister: 53 Prozent des Schweizervolkes und eine Mehrheit der Stände sagen Ja zur Niederlassungsfreiheit, vor allem in der Westschweiz ist die Zustimmung hoch. Entsprechend zufrieden zeigt sich einige Wochen später der liberale Ständeratspräsident Johann Jakob Rüttimann bei seiner Abschiedsrede: Den Israeliten eine Reihe von Garantien von hoher Wichtigkeit vorzuenthalten, sei eine arge Anomalie gewesen. «Indem das schweizerische Volk dieselbe beseitigte, und damit ein altes Unrecht an einer schwachen, schutzlosen Minderheit gut machte, hat es einen schönen Sieg, einen Sieg über seine eigenen Vorurtheile erfochten.»

Bald ein Rückschlag

Noch sind die Juden jedoch nicht am Ziel. Denn das Volk lehnt gleichzeitig ein Bündel an weiteren Vorlagen für eine Verfassungsreform ab, darunter auch – sehr knapp – die Glaubens- und Kultusfreiheit. Der Emanzipationsprozess kommt auf der nationalen Ebene erst acht Jahre später zu einem Abschluss, die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 bringt den Juden auch die religiösen Freiheiten. Noch länger müssen die Aargauer Juden warten, die erst auf Druck des Bundes hin 1879 die Ortsbürgerrechte erhalten.

Das Judentum in der Schweiz erlebt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Aufschwung. In Orten wie Genf, Baden, Zürich, St. Gallen oder Luzern entstehen Stadtgemeinden durch die nun freie Zuwanderung vom Land, neue Synagogen werden erbaut. Doch schon 1893 folgt ein Rückschlag für die Juden: Das Volk nimmt eine Initiative aus Tierschutzkreisen gegen das Schächten an. Wer koscher essen will, muss das Fleisch fortan aus dem Ausland beziehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Mit der Geschichte verbunden

Karen Roth hält sich an gewisse jüdische Gebote – aber nicht an alle

«Das Judentum ist nicht nur eine Religion; man ist Teil einer Geschichte», sagt Karen Roth-Krauthammer. Geboren worden ist sie 1968, in einer Zeit, in welcher «der Holocaust und die Erzählungen der Überlebenden noch präsenter waren». Das habe sie geprägt, sagt sie. Das Interesse für jüdische Geschichte und Kultur ziehe sich wie ein roter Faden durch ihr Leben.

Pessach als Lieblingsfest

Obwohl sich Roth als nicht religiös bezeichnet, hält sie an gewissen jüdischen Traditionen fest. So hat sie beispielsweise jüdisch geheiratet. Ihre Kinder engagieren sich im jüdischen Jugendbund. Sie isst kein Schweinefleisch, besucht an den hohen Feiertagen die Synagoge. Ihr Lieblingsfest ist Pessach, das an die Befreiung der Juden von der ägyptischen Sklaverei erinnert. Die Familie komme dann zusammen, lese und diskutiere gemeinsam über eine Textsammlung, erzählt Roth. Die Auseinandersetzung mit Texten sei auch eine jüdische Tradition und finde sich im Talmud. Dass die heiligen Schriften immer wieder neu und aus unterschiedlicher Perspektive befragt und ausgelegt würden, verhindere, dass Religionen dogmatisch würden. «Mir ist die Beweglichkeit im Geist wichtig.»

Nebst ihrer Verbundenheit mit der jüdischen Geschichte seien ihr gewisse Bräuche wichtig. «Zum Beispiel finde ich die Trennung von profanem Alltag und Hoch-Zeit im Sinne von Feiertag ein gutes Konzept, um dem Vergehen der Zeit etwas entgegenzusetzen.» Einen zentralen Wert stelle für sie zudem das familiäre Zusammensein dar, das bei vielen Bräuchen essenziell sei. Sie versuche, ihren drei Söhnen diese Traditionen weiterzugeben. Was diese dann daraus machten, sei aber ihnen überlassen.

Roth, die Historikerin ist, leitet den Kulturverein «Omanut» (aramäisch für Kunst). Der Verein fördert jüdische Kunst in der Schweiz. «Gerade weil es schwer zu definieren ist, was jüdische Kunst eigentlich ausmacht, bewegen wir uns in einer sehr offenen Nische.» Der Verein lädt regelmässig Kunst- und Kulturschaffende zu Anlässen ein und organisiert Konzerte, Lesungen, Gespräche, manchmal gar kleine Festivals. «Es ist erfreulich, dass Omanut im Zürcher Kulturleben verankert ist.» Der Verein nahm seine Anfänge im Zagreb der 1930er Jahre, bevor er dann, vor genau 75 Jahren, in Zürich von jüdischen Emigranten neu gegründet wurde. «Sie waren in erster Linie Künstler und erst dann Juden.» Aber auch hier spielte Ausgrenzung eine Rolle. Die rechtliche Gleichstellung der Juden, die in der Schweiz erst vor 150 Jahren erfolgte, habe im damaligen Europa keinen Schutz vor Verfolgung geboten.

Gegen die SVP-Initiative

«Es kann passieren, dass plötzlich die Meinung vorherrscht, dass eine bestimmte Bevölkerungsgruppe vor dem Gesetz doch nicht gleich ist wie die andere, und man sie aus dem Gesellschaftsvertrag wirft», konstatiert Roth. Ihr jüdischer Hintergrund habe sie für Diskriminierungen aller Art sensibilisiert. Auf ihrem Smartphone zeigt sie ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich». Es handelt sich um Artikel 8 der Schweizer Verfassung. Die T-Shirts sollen an einem kommenden Anlass gegen die Durchsetzungsinitiative verteilt werden. «Ob Juden oder Ausländer – eine Gesellschaft, die bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgrenzt, ist gefährdet.»

Jüdisch, ohne religiös zu sein

David Vogel hat einen säkularen Weg zum Judentum gesucht – erfolglos

«Es fühlte sich an wie ein Coming-out», sagt David Vogel. Der Filmemacher und SRF-Kulturredaktor löste sich nach einer Südamerikareise mit 19 Jahren vom jüdischen Glauben.

Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt der mittlerweile 37-Jährige in Zürich, wo er in einem religiösen, modern-orthodoxen Umfeld aufwuchs. Er ass koscher, feierte Sabbat, verzichtete samstags auf Strom und trug festliche Kleidung – dunkle Hosen, weisses Hemd und die traditionelle Kopfbedeckung Kippa.

Suche nach neuen Idolen

In der jüdischen Primarschule, einem mit Panzerglas ausgestatteten und von Sicherheitsleuten bewachten Gemeindehaus, studierte er bis zum 12. Lebensjahr neben den üblichen Fächern wie Rechnen, Realien und Französisch während dreier zusätzlicher Stunden täglich die Tora, den ersten Teil der hebräischen Bibel, und lernte Ivrit. Früh bekam Vogel zu spüren, was es bedeutet, einer Minderheit anzugehören, die Anfeindungen ausgesetzt ist. Unsicherheit war seit je Teil seiner Mentalität.

An den Wochenenden besuchte der Teenager den Jugendbund Bne Akiwa, eine Art Pfadi, einfach religiös-zionistisch. Dort wurde gebetet, die Geschichte Israels gelehrt, und es wurden Ausflüge unternommen. In seinem Alltag aber verkehrte er vermehrt in einem nichtreligiösen Umfeld. Je näher die Matura am öffentlichen Gymnasium rückte, desto stärker wurde das Gefühl, dass er dazugehören wollte, dass er sein wollte wie alle anderen. Rebelliert gegen sein Elternhaus hat er zwar nicht. Doch assimilierte er sich immer stärker.

«Die Nichtreligiosität war für mich ein Schock», erzählt Vogel, «ich musste nach neuen Idolen suchen, versuchte ständig, mich selbst zu korrigieren, um nicht vom Weg abzukommen.» Die Eltern akzeptierten seinen Entscheid, auch wenn sie sich für ihren Sohn einen religiös-zionistischen Weg gewünscht hätten.

Mitte 20 lernte Vogel seine Frau kennen – seine nichtjüdische Frau, was bedeutete, dass auch die Kinder nichtjüdisch sein würden. Denn im Judentum gibt die Mutter die Religion weiter. Das zu akzeptieren, war und ist für Vogel schmerzlich. Denn: Mit seiner Assimilation hat er sich nicht gegen das Judentum, nicht gegen die Traditionen entschieden, wohl aber gegen die Religion und die damit verbundenen Zwänge, die ihn in seinem Leben behindert hatten. Dem jüdischen Volk fühlt er sich – auch ohne religiös zu sein – zugehörig. «Ich bin hundert Prozent Jude.» Auch die meisten Freunde von heute sind seine nichtreligiösen jüdischen Kumpels von einst.

Mischehen als Problem

Vogel möchte die jüdische Kultur, das Denken und eine Verbundenheit zu Israel in seine Familie bringen. Hin und wieder besucht er zusammen mit seinen Kindern auch die Synagoge. «Dort fühle ich mich willkommen wie ein verlorener Sohn.»

Mischehen bezeichnet Vogel als «das grösste Problem im modernen Judentum». Eine Konversion seiner Frau sei kurz Thema gewesen; zusammen hätten sie nach einem säkularen Weg gesucht. Jedoch ohne Erfolg. Die Rabbiner hätten auf einem religiösen Übertritt beharrt. «Es gibt keinen säkularen Weg zum Judentum. Mir blieb nichts anderes übrig, als auszutreten. Damit hat die jüdische Gemeinde mich und vor allem meine Familie verloren.»

Spagat zwischen zwei Welten

Abraham Cohen ist gläubiger Jude – und Trendforscher

Eigentlich heisst Abraham Cohen anders. Doch seinen richtigen Namen will der 64-Jährige nicht in der Zeitung lesen: «Es ist derzeit nicht sinnvoll, dass ich mich exponiere.» Grund ist ein latentes Gefühl der Unsicherheit, das auch für die Schweizer Juden vermehrt zur Lebensrealität gehört. Vor allem für jene, deren Religiosität durch Kleidung und Frisur offenkundig ist. «Ich wurde auf der Strasse auch schon angeschrien und angespuckt, aber noch nie tätlich angegriffen», erzählt Cohen. Er sitzt in der Stube seiner Wohnung in Zürich, auf einem Möbel stehen die gerahmten Fotos seiner Familie, das Büchergestell ist voll von religiöser Literatur in hebräischer Schrift.

24 Stunden abschalten

Cohen ist orthodoxer Jude, auch wenn er mit dem Adjektiv wenig anfangen kann: «Labels gehören auf Kleider, nicht auf Menschen.» Er trägt Kippa und Bart und hält sich strikt an die zahlreichen jüdischen Gesetze, die den Gläubigen im Alltag viel abverlangen. «Das Judentum ist eine Religion mit vielen Vorgaben, doch ich bin sehr froh, dass ich Jude sein darf», betont Cohen. Alle seine fünf Kinder haben orthodoxe Partner geheiratet, eine Mischehe lassen die Gesetze nicht zu. Auf den Tisch kommt nur koscheres Essen, und der Sabbat ist für die Familie heilig. Cohen geht dann in die Synagoge, liest viel und empfängt Gäste. «Einfach abschalten können, das bringt dich raus aus dem Hamsterrad und zurück ins Gleichgewicht.»

Für diese 24 Stunden ist auch das Handy tabu. Das ist nicht selbstverständlich, denn Cohen lebt in zwei Welten. Er hat nicht nur eine Ausbildung als Rabbiner und Lehrer gemacht, sondern auch als Informatiker. Und arbeitet heute als Trendforscher für einen grossen Technologiekonzern. Darin sieht Cohen keinen Widerspruch: «Die wichtigste Aufgabe von uns Juden ist es, Gutes in die Welt zu bringen. Und die Technik fasziniert mich gerade darum, weil sie das Leben verbessern kann.» Er gerät ins Schwärmen, skizziert, wie Lehrer dank Apps künftig besser auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Schüler eingehen könnten. Oder wie Ärzte die Daten ihrer Patienten mit Millionen Krankheitsbildern abgleichen und so zu einer präziseren Diagnose kommen könnten.

Vierzig Jahre ist es her, dass Cohen aus Nordamerika in die Schweiz zog, ins Land seiner Frau. In der Gemeinde war er damals fast der einzige Ausländer, in der IT-Branche ein Exot. Doch das habe sich geändert. «Heute wird mehr auf die Leistung geschaut als auf die Kleidung.» Die Orthodoxen haben jedoch weiterhin den Ruf, eine Parallelgesellschaft zu bilden. Cohen sieht das anders. «Die gläubigen Juden sind in der Schweiz gut integriert, und das Zusammenleben funktioniert.» Geholfen hat, dass Zürich grossstädtischer geworden ist. «Das macht es auch für uns Juden einfacher, weil wir nicht mehr so auffallen.»

Die Technologie nutzen

Die Errungenschaften der Moderne erleichtern ebenfalls vielen Orthodoxen das Leben: Sie können online eine Vielzahl religiöser Texte lesen, Vorträge eines Rabbis anschauen oder mit in der Welt verstreut lebenden Familienmitgliedern Kontakt halten. «Unsere Werte sind zwar jahrtausendealt», sagt Cohen mit seinem leichten nordamerikanischen Akzent, «aber wir haben schon immer gewusst, die Technologie zu nutzen.»

Bilder Annick Ramp / NZZ