«Jeder von uns hat Ja gesagt»

Gestern versuchten zwei der Angeklagten im Mordfall von Allmen Erklärungsansätze zu finden

Marcel M. sagt, jeder habe sich mit der Tat einverstanden erklärt. Michael S. gibt zu, dass keiner Nein gesagt hatte. Und Renato S. erklärt, zunächst Einwände gemacht zu haben – die vom Tisch gefegt worden seien. Die Tat geschah.

 

Christine Brand

Michael S. hatte im letzten Moment versucht, zumindest teilweise einen Rückzieher zu machen. Seine Freundin, hatte er seinem Jugendfreund Marcel M. anvertraut, sei möglicherweise schwanger. «Ich wusste, dass Marcel M. nicht damit einverstanden sein würde, dass ich mitmachte – wenn ich eine Familie gründen wollte.» Er hatte Recht behalten: An jenem Abend vor der Tat, als im Irish Pub im Gwatt noch einmal der Ablauf der «Beseitigung» des 19-jährigen Marcel von Allmen besprochen wurde, hatte Marcel M. beschlossen, dass Michael S. zu Hause bleiben würde. Dennoch: S. hatte das Material beschafft, seinen Wagen zur Verfügung gestellt und nach der Tat bei sich zu Hause auf die anderen gewartet. «Heute ist es für mich schwierig nachzuvollziehen, warum es so weit kommen konnte», sagt Michael S. zum Gerichtspräsidenten Thomas Zbinden. «Es hatte wohl mit Loyalität zu tun, mit dem Zusammenhalt in der Gruppe.» Und auch damit, dass keiner so richtig daran glaubte, dass es wirklich geschehen würde – schliesslich war bei den anderen geplanten Tötungen auch nie etwas passiert (vgl. «Bund» von gestern). Michael S: «Nie hätte ich gedacht, dass Marcel M. so brutal werden könnte.»

«Zu selbstverliebt»

Er wurde eines Besseren belehrt. Heute wisse er, dass er nicht nur hätte versuchen sollen, sich selber einigermassen aus der ganzen Sache herauszuhalten.«Ich hätte dafür sorgen sollen, dass gar nichts passiert.» Denn wenn einer Nein gesagt hätte, wäre es seiner Meinung nach nie zur Tat gekommen. «Leider muss ich aber sagen, dass jeder von uns Ja gesagt hat.» In dem Moment, als Marcel M. die Gruppe gefragt habe, ob sie mit seinem Mordplan einverstanden wären, sei keiner Manns genug gewesen, Nein zu sagen. «Jeder wollte den Harten spielen, keiner wollte das Gesicht verlieren», sagt Michael S. «Wir waren zu selbstverliebt und dachten: ,mir sige se‘.» Er habe diese Schuld zu tragen.

«Angst spielte auch eine Rolle»

Renato S. will eigentlich keine Schuld tragen. Wenn er beschreibt, wie es zur Tat kommen konnte, wenn er selber nach Erklärungsansätzen sucht, sieht er sich selber auch als Opfer. «Ich persönlich habe nichts gegen Marcel von Allmen gehabt», erklärt er. Er habe zunächst sogar Einwand erhoben: «Er ist ein Unterseener, und Unterseener halten zusammen», habe er gesagt. Sie sollten es also bleiben lassen. «Meine Meinung ist prompt vom Tisch gefegt worden.» Später habe er keinen Einspruch mehr erhoben. «Aber ich habe es auch nicht bestätigt.» Irgendwie sei klar gewesen, dass man es machen müsse. Er habe sich «eingeklemmt» gefühlt, unter Druck. «Ich musste mitmachen, weil ich auch bei den anderen Aktionen schon mit von der Partie gewesen war.» Er habe zu viel gewusst und nicht einfach aussteigen können. «Angst hat sicher auch eine Rolle gespielt», sagt Renato S. «Was wäre passiert, wenn ich Marcel von Allmen gewarnt hätte?» Vielleicht wäre auch ihm «etwas zugestossen». Renato S. hatte Marcel von Allmen bei der Ruine Weissenau die Handschellen angelegt. Bevor Marcel M. von Allmen mit einem Chromstahlrohr zu Tode schlug. Renato S.: «Unser Schweigen war das Einverständnis zur Tat – sonst hätten wir es nicht gemacht.»

Die Frage der Hierarchie

Marcel M., so sagen seine Mitangeklagten, sei klar der «Chef» gewesen, der «Wortführer». Der «Führer». Alle Ordensmitglieder, sagt Marcel M., seien gleichwertig gewesen. Jeder habe gleich viel zu sagen gehabt. Jeder habe Ja zur Tat gesagt. «Ihr seid das Gericht», sprach Marcel M. am Montag im Berner Amthaus seine Richter an. «Ihr müsst beurteilen, wer welche Rolle eingenommen hatte.»
Heute Mittwoch werden vor Gericht Zeugen zu Wort kommen. Das Urteil erfolgt am 29. März.

«Imperium» geplant

Es ist schwierig nachzuvollziehen, wie sich die Ideen in Marcel M.s Kopf einnisten konnten. Auf jeden Fall hatte er Grosses vor: «Wir wollten uns ein Imperium aufbauen», erklärte er gestern sachlich dem Gericht. «Unser Ziel war ein vereintes Europa mit freien Völkern.» Der rechtsextreme «Orden der arischen Ritter», den er gemeinsam mit Michael S. gegründet hatte, sollte europaweit mit anderen rechtsextremen Organisationen und Gruppen vernetzt werden. Marcel M. schwebte eine eigene Gesellschaft mit wenigen Gesetzen und vielen Freiheiten vor. Natürlich habe man zuerst im Kleinen begonnen, sagte Marcel M. «Aber wir hätten uns dann ausweiten wollen.» In M.s Imperium hätten viele Leute Platz gefunden: In «unabsehbarer Zeit» wäre die mögliche Mitgliederzahl unbegrenzt gewesen.

Zunächst zählte der Orden aber nur fünf Mitglieder – vier Täter und ein späteres Opfer. Marcel M. und Michael S. hatten den Orden in zwei Gruppen eingeteilt: in die «arische Legion» und den «Sicherheitsdienst». Michael S. war Verantwortlicher des Sicherheitsdienstes, er war für die Geld- und Informationsbeschaffung zuständig. Geld hatte er mit dem Verkauf von Haschisch, Einbrüchen und Hehlerei besorgt. Der dritte Angeklagte, Renato S., habe die «arische Legion» geführt und wäre für die militärische Ausbildung der Mitglieder im Bereich «Hauskampf» und «Geländeübungen» verantwortlich gewesen. Seine Aufgabe wäre es auch gewesen, Uniformen und Waffen zu beschaffen. «Unser Ziel war, in Südfrankreich Land zu kaufen, Häuser zu bauen und uns dort niederzulassen», sagte Marcel M. (cbb)