Ordentliche Jungs, mörderische Musik

Autor: Von Jürg Frischknecht*

Mobilisiert durch Handzettel und Mailbox-Messages, fuhren vor einer Woche mehr Skinheads als je zuvor zu einem Konzert in eine Ecke der Schweiz: rund 700 Glatzen aus Deutschland, Frankreich, Italien und aus der Schweiz. Im Val de Ruz hatte der Neuenburger Ableger der Hammerskins für eine „Verlobungsfeier“ den Gemeindesaal von Chézard gemietet. Ausschlaggebend für den Rekordaufmarsch waren ein attraktiver Mix von Bands und der Ruf, den Neuenburg als sicheres Gelände für solche Konzerte seit letztem Jahr hat.

Die Polizei wusste vom bevorstehenden Konzert. Sie hielt die regionale Presse mit Erfolg davon ab, vor dem Anlass auch nur eine Zeile zu schreiben. Und sie riet der Gemeinde, die vom wahren Charakter der „Verlobungsfeier“ Wind bekam, den Vertrag nicht aufzulösen. De facto – und erst recht in den Augen der organisierenden Skins – war die Polizei ein stiller Mitorganisator. Sie hat Anteil am Erfolg, den die Nazi-Skins noch lange auskosten werden. Am Samstag selbst notierte die Polizei lediglich diskret ein paar Autonummern. Auf Personenkontrollen verzichtete sie im Gegensatz zur Praxis in anderen Kantonen.

Der Gemeindepräsident von Chézard war gegenüber den Medien (die nach dem Konzert nun doch berichteten) des Lobes voll über die jungen Leute: „Sie waren korrekt, höflich und gut organisiert.“ Die inhaltliche Seite blendeten die Behörden völlig aus. Ihre einzige Sorge war, dass der Grossanlass rund über die Bühne ging. Was auch immer sich saalintern abspielen mochte.

Die drei Bands, die Organisator Olivier Kunz ausgewählt hatte, sind keine Sonntagsschüler. „Einschlagender amerikanischer Hate-Rock“, wirbt ein Musikvertrieb für die CD „White Terror“ der US-Gruppe „The Voice“ (mit Titeln wie „Hang ‚em high“ und „Up in flames“). Von den aggressiven Rhythmen der italienischen „Corona Ferrea“ liessen sich Schweizer Skins schon an Konzerten in Mailand begeistern. Und die deutsche Gruppe „Noie Werte“ klagte im Schweizer Skin-Blatt „Berserker“ schon vor Jahren über die Probleme mit dem Staat: „Politische Grosskonzerte wie früher sind nicht mehr möglich“ – in Deutschland, wäre anzufügen.

Inzwischen wetteifern Dutzende von Skin-Bands um die schärfste Provokation. Die Spirale der rassistischen Hetze und der Gewaltverherrlichung dreht sich weiter. Die „Zillertaler Türkenjäger“, auf deren CD-Cover sechs „Feinde der weissen Rasse“ am Balken baumeln, hetzen zu abgewandelten Schunkelmelodien: „Fünf kleine Negerlein, die stinken hier nach Bier, drum wurde einer aufgeknüpft, da warn es nur noch vier.“ Noch direkter zu Mord ruft ein Song „Blut muss fliessen“ auf dem Live-Mitschnitt eines Konzerts auf: „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib.“

Einschlägige CDs sind inzwischen die wichtigste Handelsware, die Wiederverkäufer an Konzerten wie jenem in Chézard an den jungen Mann bringen. Direkte Bestellungen bei ausländischen Musikvertrieben bleiben zum Ärger der Szene ab und zu am Zoll hängen. Und ohne diese Musik (plus Bier, aber das ist leicht zu haben) geht nichts.

Jugendliche zwischen Stimmbruch und Stimmrecht schliessen sich diesen Cliquen an, weil ihnen Kameradschaft und Action imponieren. Politisiert werden sie hinterher, besonders wirkungsvoll durch die Musik, die Feindbilder nachhaltig vermittelt. Und mit grenzenlos aggressiver Wortwahl provoziert. Provokationen dieser Preisklasse einfach als spätpubertär beiseite zu schieben, wäre fatal.

Die musikalische Rassenhetze und Gewaltverherrlichung sind derart szenebestimmend, dass sich die Neuenburger Polizei den Vorwurf gefallen lassen muss, auf dem rechten Ohr taub zu sein. Wenn sie post festum, nur weil öffentliche Kritik auftaucht, husch, husch eine Untersuchung einleitet, so ist das eine Alibiübung. Wie will die Polizei mit ein paar aufgeschriebenen Autonummern eine Verletzung des Anti-Rassismus-Gesetzes nachweisen?

Nicht nur die Neuenburger Polizei blendet die unerträglich rassistischen Inhalte der gängigen Skin-Musik aus. Seit 1995, dem Inkrafttreten des Strafgesetzartikels gegen Rassenhetze in der Schweiz, ist kein Musikvertrieb verurteilt worden. Rechtsradikale Musik bewegt sich bis heute in einem rechtsfreien Raum.

Dank öffentlichem Druck ist die Polizei auf dem rechten Auge nicht mehr ganz blind. Zusätzliche Debatten und Druck sind nötig, damit Polizei wie andere Stellen auf dem rechten Ohr nicht taub bleiben. Das heisst für uns: hinhören und etwas sagen.

* Der Autor ist Journalist. Zusammen mit Peter Niggli arbeitet er an einem Buch über „Rechte Seilschaften“.