Gesellschaft Rassismus

Facts Nummer 44

Da hebt die Turnklasse den Arm zum Hitlergruss

Die kleine bernische Gemeinde Arch wird von einer Welle fremdenfeindlicher Vorkommnisse überrollt – vor allem die Dorfjugend tut dabei kräftig mit.Autor: Von Hans StutzEs ist Sommer, die Schulferien 1995 stehen an. Paul Etter, Primarlehrer im bernischen Arch, verlässt zusammen mit einer Kindergärtnerin und einem zweiten Lehrer eine lokale Schultheateraufführung. Auf dem Parkplatz schreien ihnen der 18jährige Adrian W. und der 22jährige Ueli F. lauthals «Dreckjude» nach und skandieren «Türken raus!». Einer der beiden grölt die ersten Zeilen eines Naziliedes.Die Lehrer stellen die Burschen zur Rede und kündigen Konsequenzen an. In der gleichen Nacht erhält Sekundarlehrer Peter Fasnacht, auch er aus Arch, anonyme telefonische Drohungen in demselben Ton. Die drei Beschimpften verklagen die jungen Männer wegen Widerhandlung gegen die Antirassismus-Strafnorm und wegen Ehrverletzung. Lehrer Fasnacht erstattet zudem Anzeige gegen Unbekannt.Wenige Wochen später verschmieren Unbekannte den Zivilschutzraum der Sekundarschule mit dem Kelten- und dem Hakenkreuz. Darüber pinseln sie den einschlägigen Slogan: «Schweiz erwache».Es ist eine beschauliche Gegend rund um Arch, am rechten Aareufer im unteren Bürenamt. Die ehemaligen Bauerndörfer haben sich in den letzten zwanzig Jahren zwar zusehends in Einfamilienhaus-Gemeinden verwandelt. Die alte Bahnlinie nach Solothurn wurde versuchsweise stillgelegt und durch einen Autobus ersetzt, und viele arbeiten mittlerweile in den nahen Städten Grenchen, Biel, Solothurn und Bern. Aber man ist noch immer auf dem Land. Wenig Fremde leben in der Gegend, die Sekundarschule zählt nicht einen einzigen ausländischen Schüler. Die SVP ist die stärkste Partei im Bezirk.Doch seit der EWR-Abstimmung im Dezember 1992 ist in Arch und den umliegenden Gemeinden Leuzigen und Rüti eine seltsam fremdenfeindliche Stimmung aufgebrochen, vor allem unter Jugendlichen. Schüler bezeichneten sich als «Patrioten» oder «Hooligans», kleideten sich in militärischen Klamotten, trugen millimeterkurzen Haarschnitt, gelegentlich rasierten sie sich Schweizerkreuze in die kurzen Haare.Anlässlich eines Sporttages betitelte eine Sekundarschülerin den als Schiedsrichter agierenden Primarlehrer Etter, der mit einer Thailänderin verheiratet ist, als «Thaificker». Etter meldete die Beschimpfung der Sekundarschulkommission. Die protokollierte – ohne ihn angehört zu haben -, zum «in den Augen Etters rassistischen Vorfall» sei es nur wegen der «Sturheit der Schülerin und des Lehrers» gekommen.Es ist nicht so, dass solche Vorkommnisse im unteren Bürenamt nun Handlungsbedarf geweckt hätten. «Jugendlicher Blödsinn», urteilte der Bezirkschef der Kantonspolizei über «Ausländer raus»-Sprayereien. «Dumme Kinderstreiche», wusste die Präsidentin der Primarschulkommission. «Aus Langeweile» hätten junge Männer mit Steinen die Scheiben der Asylbewerberunterkunft in Arch eingeschlagen, meinte sie.Im September 1994 lehnten Arch und die umliegenden Gemeinden das Antirassismus-Gesetz ab. Rechts stehende Schüler sind bei ihren Ausflügen nach Grenchen auch immer wieder in Schlägereien mit ausländischen Schülern verwickelt.Deutsch- und Geschichtslehrer Fasnacht hat das Thema «Fremdenfeindlichkeit» im Unterricht behandelt. Er hat einen Briefwechsel und ein Treffen mit einer Bieler Schulklasse organisiert, in der einige Schüler ausländischer Herkunft sind. Als die Bieler Schüler in Arch ankamen, wurden sie bereits am Bahnhof von einem Töfflibuben rassistisch beschimpft. Als die Gäste an der Turnhalle der Primarschule vorbeikamen, rannten die Schülerinnen und Schüler der dortigen Turnklasse ans Fenster und begrüssten sie mit einem Hitlergruss. Ein «Spiessrutenlaufen» sei das gewesen, sagt der Bieler Lehrer Alain Pichard.Kurz regte sich unter den Archer Schülern Widerstand. Eine Sekundarklasse startete vor kurzem eine Unterschriftensammlung: «Wir verabscheuen Rassismus. Wer uns unterstützt, darf gerne unterschreiben.» Innerhalb einer Woche haben keine dreissig Schüler unterschrieben.Die Lehrer erhalten von den Schulbehörden wenig Unterstützung, denn sie gelten manchen als Ideologen. Die Lehrer seien «zu fünfzig Prozent selber schuld an ihrer Situation», urteilt Ralph Würth, Präsident der Sekundarschulkommission. Sie wollten den Kindern «Lebenseinstellungen aufoktroyieren».Wie die Schulbehörden reagieren auch die Lehrerkollegen: «Kaum ein Kollege fühlt sich betroffen», sagt Fasnacht. Bei der ersten Einvernahme nach der Lehrer- Klage legte der Untersuchungs- und Einzelrichter Hans Peter Messer (SVP) von Büren an der Aare den Klägern einen Rückzug nahe, obwohl ein Verstoss gegen die Antirassismus-Strafnorm ein Offizialdelikt ist.Schon im März 1994 empfahl Messer einem tamilischen Küchengehilfen, der zusammengeschlagen worden war, die Entschuldigung des Täters, eines19jährigen Maurerlehrlings, besser anzunehmen und die Strafklage zurückzuziehen. Der Entschuldigung folgte indessen keine Einsicht. Knapp sechs Monate später war der Lehrling an einem Angriff auf Zürcher Pfadfinder mitbeteiligt und wurde zu acht Wochen Gefängnis bedingt verurteilt. Auch die beiden jungen Männer, die sich nach dem Schultheater gegenüber den Lehrern rassistische Töne leisteten, werden wohl doch nicht ohne Gerichtsverhandlung davonkommen.Im vergangenen Jahr ist in der Lokalzeitung das Inserat einer «Interessengemeinschaft gegen Gewalt» erschienen. «Jugendliche Neonazis und Mitläufer formieren sich zu gewalttätigen Horden. Sie leben vom Schweigen der Eltern, Nachbarn, Lehrer, Kollegen», lautete der Inseratetext.Die Initianten der Anzeige wollten allerdings lieber anonym bleiben. Lehrer Etter hat ihn darum auch nicht unterzeichnet.In Arch ist eine seltsam fremdenfeindliche Stimmung aufgebrochen.«Jugendliche Neonazis und Mitläufer formieren sich zu gewalttätigen Horden.»Inserat in der LokalzeitungGestörte Idylle im unteren Bürenamt: Nazi-Schmierereien im Zivilschutzraum der Sekundarschule von Arch.«Schweiz erwache» an der WandSekundarschulhaus in Arch: Die Lehrer, so weiss der Schulpräsident, seien «zu fünfzig Prozent selber schuld an der Situation».