Extremisten und Etablierte: «Verbindungen bestehen – auf unterschiedlichen Ebenen»

Der Bund

polizei / Nach dem «Antifaschistischen Abendspaziergang» ist «trügerische Ruhe» eingekehrt: Entschärft ist das «Hassklima» nämlichkeineswegs, wie der Leiter des Nachrichtendienstes der Stadtpolizei erklärt. Dem «Bund» legte

er gestern die Lage dar – und liess sichauch Worte entlocken zur «heiklen Frage», ob Extremisten Kontakte zu Etablierten pflegen.

Autor: rudolf gafner

Fritz Schlüchter hatte Recht – doch es freut ihn nicht: Ende April 1999 hatte der Chef des Stadtpolizei-Staatsschutzes(«Informationsdienst») erklärt, in Bern tauchten Skinheads auf «wie noch nie». Die rechtsextreme Szene verfestige und strukturiere sich -und sollten linksradikal-autonome «Antifa»-Militante zur Gegenoffensive auf der Strasse antreten, drohten «örtlich sehr ernsteSituationen». Diese ungute Ahnung des Nachrichtendienstlers hat sich bestätigt. Seit Frühling 1999 ist, wie Schlüchter gestern erläuterte,das rechtsextreme, vor allem aber das Skinhead-Potenzial «noch einmal enorm gestiegen». Rechtsradikale «mobilisieren wie nie zuvor»,«rekrutieren zielgerichtet» – was wiederum «Antifa» auf den Plan ruft.

«Fast schon täglich» Vorfälle
So habe sich die Stimmung gegenseitig hochgeschaukelt, bis im November und Dezember ein veritables «Hassklima» entstanden sei,erklärte Schlüchter gestern im Gespräch mit dem «Bund». «Fast schon täglich» seien Vorfälle, etwa Schlägereien zwischen so genanntlinken und rechten Jugendlichen, festzustellen gewesen – und zweimal hätten sich im Bahnhof je gut 30 Linke und Rechte «sehr gereiztgegenübergestanden», so dass die Polizei diese trennen musste: «Wir hatten im Bahnhof ein echtes Problem, das wurde gefährlich dort.»

Die Lage spitzte sich weiter zu: «Antifa» mobilisierte zum bewilligten «Antifaschistischen Abendspaziergang», und «schon drei Tage nachihrem Demo-Aufruf folgte das Gegenflugblatt von rechts», wie Schlüchter feststellte. Jedoch, Anfang Januar – als Bernhard Hess,Nationalrat und Ex-Stadtrat der Schweizer Demokraten, mit völlig übertriebener Agitation wider den «Antifa-Spaziergang» gefährlich dieStimmung anheizte – «gaben Rechte, von der Entwicklung selber überrascht, auf einmal die Parole ,Demobilisierung‘ aus».

Ãœberraschend hohes Potenzial
Dennoch traten rund 250 rechte Militante an, um am 22. Januar den Marsch von mehr als 800 Linken zu stören – ein auf beiden Seitenerhebliches Aufmarschpotenzial, das mithin überraschte. «Antifa» selber hatte mit nur etwa 300 Teilnehmenden gerechnet, und inrechtsradikalen Kreisen war Tage vor dem «Spaziergang» zu hören, es sei von Rechten kein nennenswerter Gegenaufzug zu erwarten.

Berns Polizei für ihren Teil war «nicht überrascht», sondern «gut vorbereitet», wie Schlüchter sagt. So gelang es der Polizei, 100mutmassliche rechte Störer, die sich in der unteren Altstadt besammelten, sofort und gleich «gruppenweise» abzuführen. Aufgrund derErkenntnisse der Polizei könne er, Schlüchter, «die Hand dafür ins Feuer legen, dass es die Richtigen traf»; auf blosse Mutmassung hinhabe die Polizei niemanden festgenommen, beteuert der ND-Mann.

Linke «beängstigt» ebenfalls
Was die «Antifa»-Kundgebung betrifft, zollt Schlüchter «den Demo-Organisatoren ganz klar Respekt dafür, dass sie das eigenegewaltbereite Potenzial im Zaum gehalten haben». Dies täusche indes nicht darüber hinweg, dass «das Gewaltpotenzial auch auf linkerSeite teils beängstigend hoch» sei. Rund zehn Prozent der 800 seien vermummt marschiert – und dass der «Abendspaziergang» friedlichabgelaufen sei, dürfe einen für die Zukunft keineswegs in Sicherheit wiegen. Berns Staatsschutzchef jedenfalls stellt sich auf alleEventualitäten ein: «Im Moment haben wir relative Ruhe, aber diese Ruhe trügt – denn auf diese Phase folgt ganz sicher wieder eineAktivitätsphase, welcher Art auch immer.»

Gerade auch im rechten Lager dürfte jetzt, als Folge des «Antifa»-Umzugs, «über Sieger- und Verliererrollen diskutiert werden», erklärtSchlüchter. Was er mit dieser diplomatisch gewundenen Aussage anspricht: Es ist nicht auszuschliessen, dass sich Rechte jetzt ihrerseitszur Tat herausgefordert fühlen. Und sollten alsdann Linke und Autonome zur Abwehr mobilisieren, drohe «sehr schnell wieder eineangespannte Lage». Für diesen Fall sei «nicht gesagt», ob es der Polizei erneut gelingen werde, de-eskalativ dämpfend zu wirken.

Hoffen auf Politiker-Vernunft
Der in und um Bern schwelende Bandenkrieg zwischen rechten und linken Subkulturen (vgl. Bericht im Regionalteil) wird im Stadtrat zureden geben. Eine gute Gelegenheit zur Aufarbeitung.

Schlüchter, der als Polizist seit nunmehr 21 Jahren Radikale und Extremisten im Auge behält, hofft persönlich, dass Politiker hüben wiedrüben nun «nicht mit Schlagworten herumwerfen, um dann alles wieder zu vergessen bis zur nächsten heiklen Lage». Er findet vielmehr,Gewalt unter Jugendlichen müsse vertiefter und breiter thematisiert werden als bisher.

Denn hinter Schlagworten wie «Faschos» oder «Antifas» stünden gesellschaftliche Probleme, die zu erörtern seien. «Viele Jugendlichehaben heute Mühe mit dem Druck in Gesellschaft und Arbeitsleben: ,Entweder mitmachen, oder man ist niemand mehr.‘ Auch finden sieheute kaum noch Nischen. Das ist ein Riesenproblem.» Ein Problem also, das nicht einfach der Polizei überantwortet werden darf.«Politik, Institutionen, ja die ganze Gesellschaft sind herausgefordert» – denn Jugendliche suchten oft bei Skinhead- oder anderenGruppen Halt . . . «weil sie dort Halt finden».

Drähte zu Etablierten gibt es
Und wie steht es mit der demokratischen Verlässlichkeit auf Seite etablierter Politiker? Als Arnold Bertschy (cvp) vorletzte Woche imStadtrat wissen wollte, ob Radikale und Extremisten Drähte zu Etablierten unterhielten, erhielt er von der Stadtregierung bloss die lapidareAntwort: «Keine Feststellungen». Im Hinblick auf die anstehende Debatte stellte der «Bund» Schlüchter die Frage gestern noch einmal.«Heikel» sei diese Frage, wehrte Schlüchter ab – liess dann aber doch noch ein klein wenig tiefer blicken, natürlich ohne Details undNamen zu nennen: «Ja, es bestehen Verbindungen – auf unterschiedlichen Ebenen, unter Umständen via Zwischenstationen.»

Dies habe sich etwa letztes Wochenende wieder gezeigt, als sich Rechte in Bern zu einem Vortragsabend trafen. Thema des Abends:Heinrich Himmlers Waffen-SS . . .