«Bund muss sich stärker beteiligen»

NeueLuzernerZeitung

«Bund muss sich stärker beteiligen»

«Dank dem riesigen Sicherheitsaufgebot hatten wir nun eine würdige Feier», freut sich Judith Stamm. Ob das die Lösung für die Zukunft ist, lässt sie offen.

Aufgezeichnet von Jürg Auf der Maur, Rütli

Sind Sie als Präsidentin der Rütlikommission zufrieden?

Judith Stamm: Ich bin voll und ganz zufrieden. Unser Ziel war eine würdige Feier, an der der Referent reden kann, ohne dass er niedergeschrieen wird. Das sollte auch möglich sein, wenn er das eine oder andere sagt, das nicht allen passt. Das ist gelungen.

Ein schaler Beigeschmack bleibt. Alle, die kritisch sind, wurden doch abgewiesen.

Stamm: Wir wollten nicht, dass der Referent ausgebuht und niedergepfiffen wird. Der Kritik haben wir uns aber gestellt. Es gab vor und nach der Feier x Fragen, die uns immer wieder gestellt wurden. Aber eine 1.-August-Feier muss einfach in einem würdigen Rahmen stattfinden können.

Das Sicherheitsaufgebot war massiv. Brunnen hat noch nie so viele Polizeikräfte gesehen.

Stamm: Der Aufwand war unglaublich gross, aber er hat sich gelohnt. Aufwand und Ertrag sind aufgegangen. Wir wollten eine Feier, die nicht von einer Gruppe vereinnahmt werden kann. Bisher waren die Behörden diskret. Wir von der Rütlikommission waren zahm, bis nun im letzten Jahr das Mass voll war. Wenn alles eingetroffen wäre, mit dem im Internet gedroht wurde, dann hätte es anders ausgesehen. Gerade dank dem riesigen Sicherheitsaufgebot hatten wir nun aber eine würdige Feier.

Ist das nun das Modell der Zukunft?

Stamm: Das kann ich heute Abend noch nicht sagen. Wir müssen nun zuerst alles analysieren. Ich hoffe aber nicht, dass die Bundesfeier auf dem Rütli auch in Zukunft von einem solchen Sicherheitsaufwand begleitet werden muss. Aber eines ist klar: Wenn der Staat nichts macht, ist das auch keine Lösung.

Eine Bundesfeier auf dem Rütli wird es also auch weiterhin geben?

Stamm: Das war bisher unbestritten. Wir haben noch nichts beschlossen, aber ich rechne schon damit, dass es auch im nächsten Jahr eine Feier gibt.

Die Sicherheitskosten sollen sich auf eine Million Franken belaufen. Der Bund hat es bisher offen gelassen, ob er etwas zahlen will. Müsste der Staat sich nicht stärker verantwortlich zeigen?

Stamm: Persönlich finde ich auch, dass der Bund auf dem Rütli viel mehr Verantwortung übernehmen sollte. Denn erstens gehört der Boden, auf dem die Feier stattfindet, dem Bund, und zweitens hat die Rütlifeier mittlerweile eine nationale Bedeutung. Es ist nicht einfach eine lokale Veranstaltung.

Die Polizei schätzt, dass 1200 Leute auf dem Rütli waren, andere reden von maximal 500 bis 700 Personen.

Stamm: Mir ging es dieses Jahr nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Ich wäre auch mit 300 Gästen zufrieden gewesen.

Letztes Jahre machte die Idee eines Volksfests die Runde, das wäre doch eine Alternative?

Stamm: Nein, für mich nicht. Jubel, Trubel, Heiterkeit gibt es an anderen Orten. Auf dem Rütli braucht es mehr.

Rauh für EU-Beitritt und höheres AHV-Alter

«Ich bin erfreut. Es war eine gute Erfahrung, die 1.-August-Rede auf dem Rütli zu halten. Ich erhielt viel Zwischenapplaus und wurde nur einmal durch einen Zwischenruf unterbrochen. Ich hätte eigentlich mehr erwartet.» Das das positive Fazit, welches der ehemalige Swisscom-Verwaltungsrat Markus Rauh als Redner nach der Rütlifeier zog.

Das Publikum verhielt sich in der Tat ruhig und gesittet, was auch nicht weiter erstaunen konnte. Von den geschätzten 1200 Gästen waren gemäss Szenenkennern höchstens 35 Personen rechtsextremen Gruppierungen zuzuschreiben. Alle anderen erhielten schon gar kein Ticket oder wurden von der Polizei zurückgehalten. Erst kurz vor Beginn der Feier wurden noch sechs Personen abgeführt, die allenfalls gefährlich hätten werden können. So konnte Rauh ungestört seine Rede halten, die es über weite Strecken in sich hatte.

Kein Blatt vor dem Mund

Rauh jedenfalls liess sich das Wort nicht verbieten und griff auch heikle Themen auf. Insbesondere machte er Werbung gegen das Asyl- und Ausländergesetz, über das am 24. September abgestimmt wird. Das wurde von den Revisionsbefürwortern schon im Vorfeld kritisiert, indem sie sich dagegen wehrten, dass Rauh auf dem Rütli eine solche Plattform erhält. Das sei «reine Provokation», kritisierte die SVP.

Rauh liess sich nicht bremsen. «Es ist keine Heldentat, auf die Schwächsten loszugehen und dabei unsere Bundesverfassung zu verletzen, menschenrechtswidrig zu handeln, von uns mitgestaltete und ratifizierte internationale Konventionen nicht einzuhalten und erst noch Mehrkosten und mehr Kriminalität zu verursachen», plädierte er für ein doppeltes Nein.

Rauh sprach sich auch für eine höheres AHV-Alter und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit aus. In der Energiepolitik führe kein Weg an der Kernenergie vorbei, «ob wir das nun gerne hören oder nicht».

Am meisten Kritik hätte er in anderen Jahren wohl mit dem Kapitel «Europa» seiner Rede geerntet: «Langfristig gehören wir in die EU, wir sind mitten drin, kulturell zu Hause bei unseren wichtigsten Handelspartnern.» Die Schweiz müsse den Mut haben, den Beitrittsprozess nun vorzubereiten.

Brunnen: Ein Dorf unter Hochspannung

Brunnen ist nicht mehr sich selber an diesem 1. August, Brunnen ist zur Festung geworden, und die Luft, sie scheint zu knistern. Wasserwerfer rollen ins Dorf hinein, Transportfahrzeuge bringen unaufhörlich Polizisten mit Helmen und kugelsicheren Westen herbei, es sind Hunderte, und sie stammen aus allen möglichen Kantonen. Basler kontrollieren die Insassen jedes Fahrzeugs, das den Checkpoint auf der einzigen geöffneten Strasse nach Brunnen passiert, Berner und Aargauer nehmen die Zugreisenden in Empfang, die im völlig vergitterten Bahnhof Brunnen ankommen. Polizei überall, im Dorf, auf der Strasse in Richtung Gersau, überall. «Das macht doch keinen Sinn mehr so», sagt ein Einheimischer. «Hört doch auf mit dieser Feier auf dem Rütli. Kommt ja sowieso keine Festfreude auf.»

Sauer verdienter Patriotismus

Und doch gibt es Leute, die aufs Rütli wollen. Gut 1200 sind es, und sie alle müssen eine weitere Kontrolle über sich ergehen lassen in den Zelten am Ende eines vergitterten Ganges, bevor sie in Bussen zur Schifflände gebracht werden. «Da muss man sich den Patriotismus sauer verdienen», sagt ein Besucher beim Anblick der Gitter. Und eine Solothurnerin sagt, sie habe zwar Verständnis für die aufwändigen Sicherheitsmassnahmen, aber: «Wir kamen mit dem Auto hierher, machten Gesichts- und Ausweiskontrolle mit, liessen uns in den Kofferraum schauen, und nun müssen wir nochmals durch eine Sicherheitsschleuse. Ich weiss gar nicht, was das noch mit der Schweiz zu tun hat, die man heute feiern will.» Besonders ärgerlich für gut 20 Gäste, die die Kontrollen hinter sich gebracht hatten: Als sie an der Schifflände ankommen, ist das letzte Schiff hinüber aufs Rütli schon weg.

In Brunnen selber sind zwar viele Menschen auf der Strasse, doch an den Festbänken mag keine Stimmung aufkommen, es ist, als warteten alle auf etwas. Erst abends entspannt sich Brunnen, als die Rütlifeier zu Ende ist und klar wird: Brunnen ist von Ausschreitungen verschont geblieben.

MARKUS FÖHN

Polizei: «Ziel erreicht»

Die Schwyzer Kantonspolizei hat gestern 40 Personen festgenommen, die aufs Rütli wollten und sich einer Wegweisung durch die Polizei widersetzten. 33 gehörten rechtsextremen Gruppierungen an, sieben stammen aus der linksextremen Szene. Insgesamt hat die Kantonspolizei Schwyz 120 Personen weggewiesen. Der Urner Kantonspolizei gingen 27 Personen ins Netz, die von Seelisberg her in Richtung Rütli unterwegs waren. Sechs Personen wurden in Luzern vorübergehend festgenommen.

«Im Vorfeld der Feier haben extremistische Gruppierungen beider politischer Lager das Rütli ausgekundschaftet», sagte gestern Abend Beat Hensler, der als Kommandant der Luzerner Kantonspolizei den gestrigen Einsatz koordinierte. «Die links- wie die rechtsextreme Seite hat aber gemerkt: Aufs Rütli führt für sie kein Weg.» Das Fazit des Urner Sicherheitsdirektor Josef Dittli daher: «Unser Ziel war eine würdige und ungestörte Feier auf dem Rütli, und dieses Ziel haben wir erreicht.»

Urs Koller, Gemeindepräsident von Ingenbohl, zeigte sich gestern Abend erleichtert, dass seine Gemeinde von «Missbräuchen des Nationalfeiertags» verschont blieb. Er sagte aber auch: «Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr wieder eine Feier ohne diesen Rummel durchführen können.»