Polizei schaute weg und liess Nazi-Rocker gewähren

SonntagsZeitung

Polizisten hielten Presse vom Konzertgelände fern

LOTZWIL/BERN · Am vorletzten Samstag konnten Neonazis bei einer Waldhütte im bernischen Lotzwil ein Konzert durchführen. Die Polizei hatte im Vorfeld rund zehn mit Einreisesperren belegte deutsche Hassrocker ausser Landes geschafft. Dennoch traten auch deutsche Musiker auf – laut den Organisatoren die einschlägig bekannten Bands Spreegeschwader und Legion of Thor.

Die Berner Kantonspolizei liess die Neonazis weit gehend gewähren. Obwohl der Verdacht bestand, dass rassistische Texte vorgetragen würden, beobachtete und dokumentierte die Polizei das Konzert nicht. Sie war während des Konzerts laut Polizeisprecher Jürg Mosimann nur «sporadisch im Konzertgelände anwesend». Man könne nicht ausschliessen, dass es zu Verstössen gegen das Antirassismusgesetz kam, sagt Mosimann. Zwar war die Polizei mit mehreren Dutzend Mann vor Ort – diese wurden aber an einem Kontrollposten 500 Meter vom Konzertgelände entfernt eingesetzt.

Für Strafrechtsprofessor Marcel Niggli von der Universität Freiburg ist es «völlig unverständlich, dass die Polizei das Konzert nicht lückenlos beobachtete». Die Wahrscheinlichkeit für strafbare Äusserungen sei überwältigend gewesen, sagt Niggli. Die Polizei habe einen Präventiv-auftrag. Sie mache ja auch Verkehrskontrollen an jenen Stellen, wo sie viele Verstösse vermute. Das Verhalten der Polizei komme laut Niggli nahe an ein «Ich-will-es-nicht-Wissen».

Die Polizei verhinderte zudem, dass Journalisten das Konzert verfolgen konnten. Sie empfahl den am Kontrollposten anwesenden Journalisten, sich dem Konzertgelände nicht zu nähern. Ein Journalist ging dennoch auf eigenes Risiko Richtung Waldhütte. Er wurde von der Polizei angehalten, zurückgebracht und gefilzt. Dabei wurden Visitenkarten, die er auf sich trug, fotografiert. Der Journalist habe eine Anweisung nicht befolgt, sagt Mosimann. Journalisten seien vom Gelände fern gehalten worden, um Konfrontationen zu vermeiden. «Die Organisatoren sagten uns, dass sie keine Journalisten beim Festgelände wollten», sagt Mosimann.

Dazu hätte es gar nicht kommen sollen. Sowohl der Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser als auch der Regierungsstatthalter Martin Lerch gaben Polizeikommandant Stefan Blättler im Vorfeld zu verstehen, das Konzert sei zu verhindern. Doch während des Einsatzes drohten die rechtsextremen Organisatoren der Polizei offen, bei einer Auflösung des Anlasses nach Burgdorf zu gehen und Stunk zu machen, wie Mosimann bestätigt. «Wir mussten verhältnismässig vorgehen», sagt Kommandant Blättler. Man habe nicht einfach alle verhaften können. Blättler zieht ein positives Fazit: Es sei zu keiner unkontrollierten Situation der Eskalation gekommen. Käser liess sich während des Einsatzes von Blättler umstimmen und beurteilt den Einsatz ebenfalls als gelungen.

«Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Polizei eine solche Drohung akzeptiert», sagt Niggli. Für den Strafrechtler ist klar, dass die Polizei das Konzert nicht hätte zulassen dürfen. Denn die Konsequenz aus dem Verhalten der Polizei sei beunruhigend: «Wenn ich 250 gewaltbereite Leute zusammenbringe, kann ich ein Nazi-Konzert erzwingen, und die Polizei schaut nicht mal richtig zu.»