Wie die rechtsradikale Szene im Glarnerland tickt

Südostschweiz

Aus einem harten Kern von zwei Dutzend Personen soll die Neonazi-Szene im Kanton Glarus bestehen. Wegen ihrer Vernetzung mit Gruppen aus andern Kantonen wird sie zur Gefahr.

Von Daniel Fischli

Glarus. – «Die Rechtsextremen betrachten das Glarnerland offenbar als ihr Territorium und ertragen es nicht, wenn ihnen jemand entgegentritt.» So erklärt sich Marco Kistler von der Juso Glarnerland gegenüber der «Südostschweiz» die Tatsache, dass seine Jungpartei zum Feindbild der Neonazis geworden ist. Dass die Juso aber die Störaktion vom letzten Samstag (siehe Kasten) durch ihre Demonstration selber provoziert habe, lässt Kistler nicht gelten. Sie hätten lange im Stillen versucht, Behörden und Parteien auf das Problem Rechtsextremismus aufmerksam zu machen – ohne Erfolg. So hat zum Beispiel der Anstoss zur Gründung eines «antirassistischen Netzwerkes» im Frühling des letzten Jahres bei den Glarner Parteien nur ein verhaltenes Echo ausgelöst. Dann wurde im Juni 2006 in Schwanden ein 15-Jähriger von Rechtsextremen zusammengeschlagen, und an der Ennendaner Chilbi brüllte eine Gruppe Neonazis Parolen und prügelte. «Wir haben uns entschlossen, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Denn ignorieren darf man das Problem nicht, es verschwindet nicht von selber», so Kistler.

Zunehmende Brutalität

Die Störaktion gegen die «Schlafen gegen Rechtsextremismus»-Aktion der Juso vom letzten November ging noch ohne Verletzte über die Bühne. Nach den Vorfällen vom Samstag werde die Juso laut Marco Kistler die Situation aber neu überdenken müssen, denn «wir müssen auch an unsere Sicherheit denken, und es kann ja nicht sein, dass eine Demonstration nur unter dem Schutz eines Grossaufgebots der Polizei durchgeführt werden kann». Kistler schätzt, dass die rechtsextreme Szene im Kanton Glarus aus einem harten Kern von 25 bis 30 Personen und einer Reihe von Mitläufern besteht. Er glaube nicht, dass eine zentrale Organisation bestehe, meint der Juso-Aktivist. Eher handle es sich wohl um einzelne Kollegenkreise, die aber untereinander und mit Gesinnungsgenossen im Rest der Schweiz vernetzt seien.

Auch der Mediensprecher der Glarner Kantonspolizei, Hannes Murer, geht nicht davon aus, dass es im Kanton Glarus eine organisierte rechtsextreme Gruppe gibt, die sich regelmässig trifft. «In den übersichtlichen Verhältnissen des Kantons würden wir das bemerken», meint er. Zweifellos gebe es aber eine Reihe von Sympathisanten. Die Kantonspolizei habe «ein wachsames Auge» auf diese Szene. Die Angehörigen solcher Gruppierungen seien gut vernetzt und pflegten zu Gleichgesinnten in anderen Kantonen gute Kontakte, so Murer.

Adresslisten kursieren

Die von Marco Kistler genannten 25 bis 30 Personen hält Murer aber «für eine eher hohe Zahl». Er sei vorsichtig mit der Zuteilung zur Neonazi-Szene allein auf Grund des Aussehens einer Person: «Nur weil jemand eine Glatze hat und sich gerne schwarz kleidet, muss er noch kein Rechtsextremer sein.» Für Überfälle wie den vom Samstag würden bewusst auswärtige «Kameraden» aufgeboten, berichtet Juso-Mann Kistler, damit sich die Einheimischen im Hintergrund halten könnten. Auf diese Weise erscheine in der Öffentlichkeit das Problem des Rechtsextremismus als importiert.

Im Alltag seien die einheimischen Neonazis aber präsent, so Kistler: «Es gibt Leute, die Angst vor Neonazis haben müssen, wenn sie sich auf der Strasse zeigen.» In rechtsextremen Kreisen würden Listen von «Feinden» mit Adressen und Telefonnummern kursieren. Leider würden viele Vorfälle nicht publik, da die Polizei darüber nicht berichte. Hannes Murer rechtfertigt diese zurückhaltende Informationspolitik der Polizei: «Wenn etwas in einem privaten Rahmen passiert, kommunizieren wir es nicht – ausser in schweren Fällen.» Oft habe die Polizei allerdings nicht einmal Kenntnis von solchen Zwischenfällen. Murer empfiehlt deshalb, bei Vorfällen die Polizei zu alarmieren und auch Anzeige zu erstatten.

Drei Verletzte und zwei Festnahmen

Eine Gruppe von rund 30 Rechtsextremen hat am vergangenen Samstag in Glarus eine bewilligte Kundgebung der Juso Glarnerland überfallen. Drei Polizisten und eine Kundgebungsteilnehmerin erlitten Verletzungen. Die Polizei nahm zwei Angreifer fest.

Die Juso-Mitglieder hatten im Volksgarten mit Gleichgesinnten «für ein buntes Glarnerland ohne Rassismus» demonstriert. Kurz nach 18 Uhr sei plötzlich eine Gruppe von etwa 30 Personen aus der rechten Szene aufgetaucht und habe die Anwesenden mit Reizstoffen und Wurfgegenständen angegriffen, teilte die Glarner Kantonspolizei mit. Die anwesenden Zivilpolizisten hätten sich den Angreifern unverzüglich entgegengestellt. Mit ihrem vehementen Einsatz hätten sie «ein grösseres Ausmass an Tumult und weitere Konfrontationen» verhindern können. Gemäss Polizei haben sich die Rechtsextremen nach der kurzen Attacke wieder entfernt. Nach Angaben der Juso hatten die Glarner «Kameraden» für den gewalttätigen Angriff auch Unterstützung aus anderen Teilen der Schweiz mobilisiert. Während der Konzerte am Abend, zu deren Schutz uniformierte Ordnungskräfte präsent waren, traten nach Polizeiangaben keine Störenfriede mehr auf.

Der Angriff zeige, dass die rechtsextreme Szene auch im Glarnerland äusserst gewaltbereit sei, teilte die Juso am Sonntag mit. Vor allem unter der Glarner Jugend verbreiteten die Rechtsextremen ein Klima der Angst. Die Glarner Behörden müssten nun reagieren, fordern die Jungsozialisten. Es müsse eine offizielle und kompetente Arbeitsgruppe mit Fachpersonen eingesetzt werden. Zur Lösung des Problems Rechtsextremismus und der davon ausgehenden Gewalt seien Strategien und Projekte zu erarbeiten.