Extremistenkonflikt artete aus

BernerRundschau

Bei einer Demonstration 2005 in Thun gegen den G-8-Gipfel schoss ein Rechtsextremer einen Linksaktivisten nieder. Der Staatsanwalt fordert sieben Jahre Zuchthaus wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Das Urteil fällt das Thuner Kreisgericht heute.

Ein 27-jähriger Mann, der im Sommer 2005 bei einer Kundgebung in Thun einen Globalisierungsgegner angeschossen hatte, soll für sieben Jahre ins Zuchthaus. Sein Verteidiger plädierte dagegen für einen Freispruch. Der Mann habe in Notwehr gehandelt. Der 27-Jährige stand am Dienstag wegen versuchter vorsätzlicher Tötung vor dem Kreisgericht Thun. Das Urteil soll heute eröffnet werden. Der Staatsanwalt plädierte für eine unbedingte Zuchthausstrafe von sieben Jahren.

«Gewalttätiger Waffennarr»

Der Staatsanwalt ging mit dem Angeklagten hart ins Gericht. Er bezeichnete diesen als gewalttätigen Waffennarr. Dessen uneinsichtige Gesinnung ziehe sich wie «ein brauner Faden» durch sein bisheriges Leben. Mit den Schüssen habe der Angeklagte den Tod des Privatklägers und weiterer Personen in Kauf genommen, ohne dass Grund zur Notwehr bestanden hätte. Der Rechtsvertreter der Privatklägerschaft beantragte wie die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Der Angeklagte habe jede Menge Fluchtwege gehabt. Es habe keinen triftigen Grund gegeben, «sich den Weg freizuschiessen».

Dagegen sprach die Verteidigung von einer Notwehrsituation. Der Angeschuldigte sei lediglich wegen wiederholten Widerhandlungen gegen das Waffengesetz, die er nicht bestreite, zu einer maximalen Freiheitsstrafe von zwei Monaten zu verurteilen.

Drei Schüsse abgegeben

Insgesamt drei Schüsse fielen am 9. Juli 2005 kurz vor Mitternacht beim Bahnhof Thun. Zu jener Zeit hatten sich Globalisierungsgegner im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel in Schottland in einem dreitägigen Camp versammelt. Ein heute 18-jähriger Mann erlitt einen Oberschenkeldurchschuss. Zur Schussabgabe kam es, weil eine Gruppe von Linksaktivisten drei bis vier Rechtsextreme mit einem Feuerwerkskörper, Steinen, Flaschen und dem Ruf «Nazis raus» vom Bahnhof vertreiben wollte, wie das nachmalige Opfer gestern vor Gericht sagte. Der Schreinerlehrling trat als Privatkläger auf.

Der Angeklagte sagte, er habe sich von den heranstürmenden Linken bedroht gefühlt, nachdem er im Vorfeld des Camps anonyme Droh-anrufe erhalten habe. Über den Ablauf der Schussabgabe verstrickte sich der Angeklagte, der über ein beachtliches Vorstrafenregister verfügt, in Widersprüche gegenüber der Voruntersuchung.

Angeblicher Gesinnungswandel

Als der Staatsanwalt den Angeklagten über seine gerichtlich mehrfach dokumentierte rechtsextreme Gesinnung befragte, sagte er, dass er der rechten Szene vor zwei Jahren vollkommen abgeschworen habe. Seinen Gesinnungswandel begründete er mit der Geburt seiner Tochter. Zudem habe er von seiner Gross-mutter erfahren, dass diese während des Zweiten Weltkrieges in einem Konzentrationslager in Deutschland interniert gewesen sei. Beim gestrigen Gerichtstermin gab er an, Hakenkreuztätowierungen auf seinen Armen sowie das Wort «Hass» auf seinem Hals, welches er mit einem grossen Pflaster verdeckt hatte, wolle er operativ entfernen lassen. Von bestimmten Ex-Kollegen aus der rechten Szene fühle er sich allerdings bedroht, weshalb er die Szene auch nicht vollständig und aktiv über seinen Ausstieg informiert habe.