Aargauer Zeitung. Viele reden über sie, kaum jemand spricht mit ihr: Wer sind diese Leute von der Jungen Tat, woraus besteht ihre Ideologie, wie gefährlich ist sie? Die «Schweiz am Wochenende» hat in ihrem Milieu recherchiert. Sie ist dabei auf Identitäre getroffen, von denen einige Migrationshintergrund haben.
Vor dem Aargauer Regierungsgebäude steigt roter Rauch auf. Vermummte recken die Fäuste in die Höhe und skandieren: «Jugend leistet Widerstand.» Es ist ein Protest dagegen, dass Wohnungsmieter auf Wunsch der Behörden Asylsuchenden Platz machen sollen. Die Vermummten haben eine weisse Tafel aufgestellt, darauf steht: «Das Regierungsgebäude wird nun als Remigrationszentrum verwendet.» Gezeichnet: Das Volk.
Die Gruppierung, die sich hier mit gehöriger Selbstüberschätzung mit dem Volk gleichsetzt, warnt vor Massenzuwanderung. Diese werde die abendländische Kultur zerstören und die Schweizer in ihrem eigenen Land in die Minderheit versetzen. Nach der Aktion verbreitet die Junge Tat ein Video, das ihre Untergangsstimmung treffend mit einem Song unterlegt: Er heisst «End of the world». Auf dem Cover der Aufnahme, das im Aktionsvideo nicht zu sehen ist, sieht man einen Uniformierten mit einem Sturmgewehr. Statt eines Kopfs hat er einen Totenschädel.
Angst vor «Überfremdung»
Die Junge Tat besteht fast nur aus jungen Männern. In den Medien werden sie meist als Neonazis oder Rechtsextremisten gebrandmarkt. Letztes Jahr hat es die Truppe sogar in den jährlichen Terrorismusbericht von Europol geschafft, auf Grund einer Meldung des Bundesamts für Polizei: In den sozialen Medien betreibe die neue Gruppe eine Kommunikationsstrategie, die in der rechtsextremistischen Szene bisher beispiellos sei, heisst es da.
Doch stimmt das überhaupt? Weder die Ideologie noch die Art und Weise, wie die Junge Tat ihre Botschaften verbreitet, sind neu oder einzigartig. Vielmehr hat sie sowohl die verwendete Bildsprache als auch die Inhalte zu einem grossen Teil von identitären Gruppen aus dem Ausland übernommen und an Schweizer Verhältnisse angepasst. Vieles wurde zum Beispiel von der neu-rechten Bewegung «Die Österreicher» inspiriert.
Auf Flugblättern verweist die Junge Tat sogar auf eine Website einer identitären Jugendgruppe in Österreich. Die Webseite soll den «Bevölkerungsaustausch» statistisch untermauern. Da stösst man auf düstere Voraussagen, wonach schon im Jahr 2049 Menschen mit Migrationshintergrund die Mehrheit der Gesamtbevölkerung stellen könnten. Demografische Prognosen über einen so langen Zeitraum sind natürlich Unfug, damit schüren rechtsextreme Gruppen Ängste vor Überfremdung.
Der Bevölkerungsaustausch sei eine statistische Tatsache, behauptet der 22-jährige Winterthurer Manuel C., Gründer und Chef der Jungen Tat. Doch «Bevölkerungsaustausch» würde bedeuten, dass Schweizer durch Ausländer ersetzt werden. Dazu müsste dem Einwanderungssaldo der Ausländer eine entsprechende Auswanderung von Schweizern gegenüberstehen.
Eine solche Entwicklung wird durch die Zahlen des Bundesamts für Statistik aber nicht belegt: In den 20 Jahren von 2002 bis 2021 wanderten unter dem Strich 1,3 Millionen Ausländer in die Schweiz ein, während per Saldo nur knapp 112’000 Schweizer das Land verliessen. Von einem Austausch der Schweizer durch Ausländer kann also keine Rede sein, vielmehr wachsen durch die Nettozuwanderung sowohl die Bevölkerung als auch der Ausländeranteil. Bevölkerungsaustausch bedeute aber nicht Abwanderung der Einheimischen, wendet Manuel C. dagegen ein, sondern Rückgang des Anteils der Schweizer an der Gesamtbevölkerung mit gleichzeitiger Zunahme des Ausländeranteils durch Migration. Ohne Zuwanderung würde die Einwohnerzahl der Schweiz kaum wachsen.
Identitäre mit Migrationshintergrund
So, wie sich die Junge Tat heute präsentiert, lässt sie sich klar dem identitären Spektrum zuordnen. Identitäre wehren sich gegen Massenzuwanderung, Islamisierung und Multikulturalismus, am liebsten wäre es ihnen, wenn die Völker gemäss dem «Ethnopluralismus» jeweils getrennt in ihren eigenen Ländern lebten. Das wäre dann eine Art ethnischer Apartheid, wobei die Trennlinien durch Staatsgrenzen gezogen würden. «Die Erhaltung unserer Kultur und ein funktionierender Grenzschutz sind Grundlagen des Nationalstaates», entgegnet der Chef der Jungen Tat. Mit Apartheid habe dies nichts zu tun.
Identitäre fabulieren gerne von «Remigration», der Abschiebung ganzer Migrantengruppen, manchmal aber auch nur von der Ausschaffung krimineller Ausländer. «Die Kultur und die Ethnien unserer Nachbarländer ähneln uns weit mehr als jene aus dem globalen Süden», meint Manuel C. dazu. Völker und Kulturen mit erhöhten Geburtenraten und niedriger Produktivität belasteten unsere Infrastruktur und seien meist nicht assimilationswillig.
Ironischerweise finden sich auch in der Jungen Tat viele Leute mit Migrationshintergrund. Das gilt zum Beispiel für die Führungsfiguren Manuel C. und Tobias L.: C. trägt einen aus Italien stammenden Nachnamen, und die Mutter von L. kommt aus Österreich. Ähnliches lässt sich bei weiteren Mitgliedern beobachten, deren Namen hier aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert sind: Die Vorfahren von Francesco G., einem der wenigen Studenten in der Jungen Tat, kommen ebenfalls aus Italien, und Matej D. sowie Ante P. haben slawische Wurzeln. Der 24-jährige Alejandro S. hat seinen schweizerisch klingenden Familiennamen kurioserweise abgelegt, um einen typisch spanischen Nachnamen anzunehmen. Bei einem Hausbesuch dieser Zeitung zieht es der Bürger von St. Gallen vor, Englisch statt Deutsch zu sprechen.
Manuel C. beschwichtigt: «Ein grosser Teil unserer Aktivisten hat einen kulturnahen Migrationshintergrund.» Kulturfremd seien in den Augen der Jungen Tat vor allem Menschen aus dem globalen Süden und dem muslimischen Raum. Christliche Europäer stellten für sie kein Problem dar, genau so wenig wie ausländische Minderheiten, die sich integrierten. «Ausserdem gibt es die Möglichkeit, Fremde zu akzeptieren, eine Sichtweise, die sich diametral von der nationalsozialistischen Rassenlehre unterscheidet.»
Am Anfang war die Eisenjugend
Woher kommt die Junge Tat? Die kleine Vorläuferorganisation Eisenjugend hatte ihren ersten öffentlichen Auftritt am internationalen Frauentag im März 2020 in Zürich. Damals fiel eine kleine Gruppe feixender junger Männer unangenehm auf und wurde fotografiert. Neben Manuel C. waren auf den Bildern auch der Student Francesco G. und Simon F. (Name geändert) zu sehen. Bei Simon F. handelt es sich um einen Schulkollegen von Manuel C. aus Winterthur, der in einem verstörenden Eisenjugend-Video eine israelische Fahne verbrannte. Die Minigruppe verbreitete damals rabiate nationalsozialistische und rassistische Propaganda. Die drei jungen Männer wurden dann auch in der Jungen Tat aktiv, die im Herbst 2020 ihren heute noch bestehenden Telegram-Kanal eröffnete.
Noch vor zwei Jahren wurde Manuel C. wegen mehrfacher antisemitischer Rassendiskriminierung, mehrfacher Sachbeschädigung und eines Vergehens gegen das Waffengesetz zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 30 Franken und Verfahrenskosten von rund 20’000 Franken verurteilt. Weitere Mitglieder der Eisenjugend, die heute zum Teil auch bei der Jungen Tat mitmischen, erhielten damals ebenfalls per Strafbefehl bedingte Geldstrafen, weil sie «die Ideologie des Nationalsozialismus» verbreitet sowie Juden und Dunkelhäutige diskriminiert und Hass gegen sie geschürt hatten.
Heute bereue er «zutiefst», was er damals in «jugendlichem Leichtsinn» gemacht habe, sagt der Chef der Jungen Tat. Es sei eine Reaktion auf das linksdominierte Meinungsfeld gewesen – und eine Provokation. Mit Nationalsozialismus wolle er nichts mehr zu tun haben. «Wir sind gewaltfreie politische Aktivisten und wehren uns nur, wenn wir von Linksextremen angegriffen werden.»
Sonderbar wirkt allerdings, dass die «friedfertige» Junge Tat die Tiwaz-Rune, einen nach oben gerichteten Pfeil, als ihr Symbol ausgewählt hat. Dabei handelte es sich bei Tiwaz ausgerechnet um den altnordischen Kriegsgott. Die Tiwaz-Rune wurde als Symbol auch im Dritten Reich und später von diversen Neonazi-Gruppen verwendet. Manuel C. behauptet, dass ihm der Bezug der Rune zum Dritten Reich bei der Gründung der Jungen Tat nicht bewusst gewesen sei. Der Pfeil solle die Zielstrebigkeit der Gruppe symbolisieren.
Nach wie vor eine Splittergruppe
Heute besteht die Gruppe aus ungefähr 20 Aktivisten und bis zu 100 Sympathisanten. Die Grösse der Jungen Tat steht somit in keinem Verhältnis zur Berichterstattung in den Medien. Die Junge Tat fühlt sich auf Grund ihrer rechten Ansichten diffamiert und wirft grossen Teilen der Presse einen «undemokratischen Umgang mit anderen Meinungen» und eine «kriminalisierende Berichterstattung» vor.
Manuel C. spricht von gewaltfreiem Protest, aber an der Zürcher Corona-Demonstration im Februar 2022 ging Tobias L. einen Zivilpolizisten an. Kurze Zeit später verpasste ein anderer «Aktivist» demselben Polizisten einen Fusstritt, worauf dieser kurz zu Boden ging. Der zweite Täter wurde deshalb per Strafbefehl verurteilt. Er ist inzwischen nicht mehr bei der Jungen Tat. Weitere Strafverfahren der Zürcher Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Protestaktion sind noch nicht abgeschlossen. Bei dieser Demonstration marschierten bei der Jungen Tat ausserdem hartgesottene Neonazis des Netzwerks Blood & Honour mit. Seither hat sich die Junge Tat allerdings von solchen Neonazigruppen abgewandt.
Immer wenn Migranten in Mord, Totschlag oder Vergewaltigungen verwickelt sind, spült das Wasser auf die Mühlen der Identitären. Darüber hinaus bringen die sogenannte Frühsexualisierung von Kindern und die penetrante Diskussion um die Gender-Ideologie neue Mitglieder und Anhänger, wie Manuel C. erklärt. Das Thema beschäftige die Bevölkerung, die meisten sähen es kritisch. Dennoch hat sich das Wachstum der Mitgliederzahl verlangsamt. Das sieht man auch an der Entwicklung der Abonnentenzahl auf dem Kanal der Jungen Tat auf Telegram, dem inzwischen wichtigsten sozialen Medium der Schweizer Identitären: In den zwölf Monaten zwischen Herbst 2020 und 2021 schoss die Zahl der Abonnenten von Null auf mehr als 5000, doch seither geht es wesentlich langsamer aufwärts. Seit geraumer Zeit pendelt der Wert um 6800. Das Potenzial am rechten Rand des politischen Spektrums ist nun einmal begrenzt.
Das habe in erster Linie mit der politischen Zensur auf sozialen Medien wie Instagram und Tiktok zu tun, meint der Gründer der Jungen Tat. Darum müsse man auf das weitgehend unzensierte Telegram ausweichen, dessen Reichweite sich aber nicht mit Applikationen wie Instagram vergleichen lasse. Trotzdem träumen die Identitären davon, dass ihr digitaler Auftritt und provozierende Protestaktionen in eine Volksbewegung münden, die das «System» am Ende in der gewünschten Richtung verändert.
«Globalistische Elite»
Viele Mitglieder und Helfer der Jungen Tat leben auf dem Land oder in der Agglomeration, wo «Multikulti» oder Gender-Sprache eher auf Ablehnung stossen als in den städtischen Zentren. Typisch für eine Jugendgruppe ist auch, dass ein grosser Teil noch bei den Eltern oder bei Verwandten wohnt. Selbst wenn viele Aktivisten einen Beruf haben, stehen doch nur wenige wirtschaftlich ganz auf eigenen Füssen. Auffällig ist auch, wie viele der «Aktivisten» und Sympathisanten mit Schiesssport und Schusswaffen liebäugeln. Studenten oder Intellektuelle sind die Ausnahme, auch wenn sich die Führungsfiguren häufig intellektuell wirkender Versatzstücke aus Seminaren und der Literatur der identitären Bewegung bedienen.
Der Chef der Jungen Tat spricht auch gerne vom «globalistischen Establishment», das aus Politikern und Medienschaffenden bestehe, meistens Linken oder Liberalen. Sie würden bewusst oder unbewusst den «Bevölkerungsaustausch» vorantreiben. In einem lesenswerten Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes heisst es, dass sich die Identitären ideologisch nicht am historischen Nationalsozialismus orientierten. Sie seien organisatorisch auch nicht Teil der neonazistischen Szene. Dennoch ordnen der deutsche und der österreichische Verfassungsschutz die Identitären klar der rechtsextremen Szene zu.
Das tut auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) im Fall der Jungen Tat, selbst wenn der Begriff «Identitäre» in den veröffentlichten NDB-Berichten bisher nicht auftaucht. Manuel C. widerspricht dieser Darstellung vehement, er sieht die Junge Tat als «rechts» und nicht «rechtsextrem». Die Junge Tat habe sich wiederholt auf Flugblättern und Transparenten gegen Extremismus positioniert. Die Aktionen und die Weltanschauung der Mitglieder hätte nichts zu tun mit extremistischem Gedankengut. Man werde einfach von den Medien in diese Ecke gedrängt, damit die politischen Positionen der Jungen Tat diskreditiert würden.
Verbote in Frankreich und Österreich
Positionen, die Mitglieder in den sozialen Medien vertreten, kann man allerdings durchaus als rassistisch bezeichnen. Nehmen wir zum Beispiel Tobias L., neben dem Gründer der Jungen Tat die zweite Führungsfigur. Noch vor drei Jahren bezeichnete er sich auf Twitter als «Nationalist, Sozialist, Aktivist». Inzwischen sind die Worte «Nationalist» und «Sozialist» aus der Profilbeschreibung verschwunden.
Tobias L. wohnt in einer malerischen Altstadt, irgendwo im Kanton Bern. Seine Nachbarn sind arabischstämmig, sprechen aber perfekt Mundart. Einerseits sagt Tobias L. bei einem Hausbesuch: «Ich habe keine Probleme mit Individuen. Meine Nachbarn sind ganz ordentliche Menschen. Ich habe nur Mühe mit Massenmigration, ausländischen Kriminellen und Sozialhilfebezügern.» Wenn er von Nordafrikanern spricht, verwendet der 20-Jährige anderseits auch gerne mal den abwertenden Begriff «Sandneger». In einem Tweet verglich er auszuschaffende Ausländer mit einem kleinen Affen aus einem Globi-Buch, den Globi gerade einzufangen versucht. Im Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen in Basel, bei dem nach zwei mutmasslich nordafrikanischen Messerstechern gefahndet wurde, schrieb er ausserdem: «Zuwanderung kulturfremder Ausländer bedeutet Messer im Hals.»
Sina (Name geändert), eines der ganz wenigen weiblichen Mitglieder, findet das Engagement der Frauen in der patriotischen Bewegung extrem wichtig. Denn es seien besonders Frauen, die von den Konsequenzen der Massenmigration betroffen seien, meint die ehemalige Klimaaktivistin aus der Region Nordwestschweiz. Anhand ihrer Profile in den sozialen Medien lässt sich ihr Gesinnungswandel von Links-Grün bis weit Rechts nachvollziehen. Auf Instagram beschwerte sie sich kürzlich über aggressive Ameisen, die sich in Winterthur ausbreiteten. Im selben Atemzug spricht sie von «importiertem Gesindel», das einen Haufen Ärger mache, und vergleicht die Insekten implizit mit Migranten. Das ist astreiner Rassismus.
Zum Bild, das die Junge Tat von sich zu zeichnen versucht, nicht so recht passen will auch folgende Tatsache: Bei der Aktion in Aarau zeigten Vermummte immer wieder das Okay-Zeichen, bei dem Daumen und Zeigefinger ein «O» formen. Spreizt man die drei übrigen Finger der Hand ab, bilden diese ein «W». In dieser Konstellation lassen sich Daumen und Zeigefinger statt als «O» auch als «P» interpretieren: Aus dem Okay wird so ein «WP» für «White Power», ein Symbol weisser Rassisten. Spätestens seitdem der Attentäter von Christchurch vor einem neuseeländischen Gericht mit seinen Fingern das White-Power-Zeichen geformt hat, gilt das Okay-Zeichen im rechtsextremen Kontext als Symbol weisser Überlegenheit. Der Terrorist ermordete 2019 insgesamt 51 Muslime. Das Zeichen sei in der Jungen Tat aber anders gemeint, erklärt deren Chef. Es sei in Amerika aufgekommen im Zusammenhang mit dem Spruch «It’s okay to be white». Die Aktivisten wollten damit bloss zum Ausdruck bringen, dass es in Ordnung sei, weiss zu sein.