Alle brüllen gegen «woke» – aber wo bleibt der Aufschrei, wenn Nazis auftreten?

Der Bund. Neonazis störten in Zürich eine Veranstaltung für Kinder. Die Empörung darüber blieb aus. Das darf nicht sein.

Andreas Tobler. Kommentar zu Angriff auf Kinder-Event.

Als am vergangenen Sonntag eine Gruppe Neonazis mit ihren Parolen und Fackeln einen Kindernachmittag im Zürcher Tanzhaus störte, blieb die Empörung aus. Zwar erschienen Berichte im «Tages-Anzeiger» und in der NZZ. Aber es gab keinen Aufschrei. Und dies, obwohl der Angriff sich gegen eine Veranstaltung für 3- bis 10-Jährige richtete. Obwohl die Neonazi-Gruppe auf Telegram eine Gefolgschaft von 6000 Leuten hat. Und obwohl die Gruppierung bereits früher Veranstaltungen störte. Darunter einen Gottesdienst. 

Ganz anders war das, als im Juli in einer linken Beiz in Bern das Konzert einer Reggae-Band nach einer Pause abgebrochen wurde. Wegen kultureller Aneignung, wie es heisst.

Von «Woke-Wahnsinn» war nach dem Konzertabbruch die Rede. Einige fürchteten um die Meinungsfreiheit. Nach dem Vorfall im Tanzhaus blieb die Empörung aus. In Leserkommentaren hiess es, Nazis seien zwar nicht in Ordnung, aber die Indoktrinierung von Kindern sei es ebenfalls nicht. 

Das ist der Vorwurf, der von einigen gegen das Tanzhaus erhoben wird: Hier würden Kinder indoktriniert. Denn im Tanzhaus werden die Kindergeschichten von Dragqueens vorgelesen. Die «Drag Story Time» solle die «Vielfalt der Geschlechter» aufzeigen und dafür sensibilisieren, heisst es dazu auf der Website. «Aktivistische Ideologen» würden heutzutage vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor Kindern, kommentierte die «Weltwoche» die Veranstaltung.

Wahrscheinlich gibt es kein einziges Kinderbuch, das nicht für Offenheit und Toleranz wirbt – und deshalb in irgendeiner Form politisch ist. Wer aber in einem Atemzug sagt, Nazis und identitätspolitische Anliegen seien beide nicht in Ordnung, nimmt in Kauf, dass Faschisten und Plädoyers für Offenheit und Toleranz auf eine Stufe gestellt werden. Das ist absurd.

Selbstverständlich darf man identitätspolitische Anliegen kritisieren. Und es soll eine Diskussion darüber geführt werden können. Bloss verhindert dies oft die Empörungsbewirtschaftung von Politikern und Medien. Mit Nazis hingegen muss man über gar nichts diskutieren. Nazis haben nie recht.