Zum braunen Frontenfrühling im rot-grünen Bern

 

Der Bund vom 27.04.2000

Rudolf Gafner

Nazis und Faschisten sehn wir sich in Bern formiern, und den Anfängen zu wehren, dafür ists schon zu spät. Im April 1999 bereits warnte die politische Polizei: Skinheads in Bern, soviele wie noch nie; Rechtsradikale, rekrutierend,organisierend und vernetzend wie nie zuvor. 1999 schon galt der Raum Bern als ein Hauptaktionsfeld einer jungrechten Mittelland-Achse, und seither ist das rechtsextreme Potenzial in und um Bern laut Polizei nochmals «enorm gestiegen». Von den schweizweit auf 500 geschätzten Aktiven sind 120 im Kanton Bern.

 

Unselige Spirale der Eskalation

Eine neue Rechte schlägt zu – mitverbaler Gewalt, etwa mit«Auschwitz-Gesängen» im Wankdorfstadion, und mit tätlicher Gewalt: Dreimal wurden 1999 Hausbesetzungen angegriffen (Bern, Zollikofen, Ostermundigen), dutzendfach gabs Pöbeleien in Bern und Umgebung. Seit November bläst die linke «Antifaschistische Aktion» (Antifa) zur Abwehroffensive «Alle gegen Rechts». Wiederholt stellten sich Antifas, etwa im Bahnhof, «Nazis» entgegen, die Polizei stand zwischen «sehr gereizten» Fronten. Und am 22. Januar brachte Antifa die beeindruckende Menge von über 800 Demonstrierenden für den «Antifaschistischen Abendspaziergang» auf die Strasse. Ohne Polizei wärs wohl zu blutigen Zusammenstössen gekommen: 250 rechte Militante wollten den Umzug angreifen, 100 mutmassliche Störer wurden abgeführt. Neue Gewalt von Rechten folgte: Am «Barstreet-Festival» vom Februar randalierten 30 Skinheads und Angetrunkene, schlugen Fenster ein, wollten die Festhalle stürmen (vier Verletzte). Und an der Fasnacht im März gingen rechte Trupps mit Fäusten und Pfefferspray auf Linkenhatz und trafen dabei Unbeteiligte (drei Verletzte). Soweit zu letzten Vorfällen allein in der Stadt, weitere wurden in Berner Vororten bekannt.

Längst nicht jeder rauffreudige junge Provokateur, der da als «Patriot», «Neofaschist» oder «Aarier» (Arier von der Aare) auftritt, ist politisch ernst zunehmen. Im Gegenteil, viele politisch völlig unbedarfte, mithin blutjunge «Bubis» tummeln sich da. Jedoch, hinter «rechten» Jugend-Subkulturen agieren politisch Bewusste. Berner Skinhead-Führer stehen in Kontakt mit international vernetzten Verbindungen wie den«Hammerskins» oder «Blood &Honour», organisierten NS-Ultras. Berns «Nationale Offensive» vernetzt Berner ihrerseits mit auswärtigen Szenen. Und quasi als Doyens der Berner Rechtsradikalen im Hintergrund fungieren ältere, nicht (mehr) gewaltbereite, sondern sich als «Denker» versuchende «völkische Nationalisten», deren Zirkel«Avalon» gute Drähte nicht nur etwa zur «Nationalen Initiative Schweiz» spinnt, sondern auch zu ausländischen Kameraden. Der deutsche Republikaner Franz Schönhuber war bereits «Avalon»-Gast in Bern, der französische Nationalfrontist Jean-Marie Le Pen soll dieses Jahr ins Bernerland kommen.

Neue Phase: «Relevante Partei»

All diese Berner Gruppen rechts der parlamentarischen Rechten sind jedoch bisher politisch kaum in Erscheinung getreten, einzig «Avalon»-Chef Roger Wüthrich hat es bisher gewagt, offen aufzutreten. Seit gestern jedoch ist dies anders (siehe Kasten): «Neofaschist» David Mulas, ein 24-jähriger Berner, ist aus dem Dunkel der Anonymität herausgetreten, als Gründer und Chef einer «Nationalen Partei Schweiz» (NPS), die er als «relevante Partei» aufbauen will. Zur Schwesterpartei von Deutschlands National-Demokraten (NPD) will er die NPS machen; als erster Coup sollte diesen Samstag ein Kongress mit 200 Gästen inBern stattfinden, doch der Anlass platzte. 
Mit diesem «Outing» eines «echten Nazi», wie ernst oder spinnert ers auch meinen mag, hat Berns rechte Szene eine neue Qualität erreicht – und auch andere braune Kameraden kommen auf den Geschmack: Noch sei nicht die Zeit gekommen, offen aufzutreten, lässt der Chef der «Nationalen Offensive» wissen, «doch der Tag kommt, wo ich dies tun werde!» Nicht, dass nun ein Marsch auf Rathaus oder Erlacherhof anstünde, keineswegs – es sind immer noch sehr randständige Splittergruppen, die zwar für potenzielle Opfer rechter Attacken (Linke, Ausländer . . .) gefährlich sein können,gefährlich sind, nicht aber für die Sicherheit der Stadt, geschweige denn des Staats. Aber, und dies ist neu: Berner Faschisten und Nationalsozialisten scheuen Licht nicht mehr, sie bekennen Farbe, gehen in die Offensive – während andrerseits ihre Gegner von Antifa nach wie vor in Anonymität verharren, angeblich aus Furcht vor den Nazis. 
Antifas «Antifaschismus» ist zweifelhaft, denn ein Teil ihres autonomen Umfelds fällt mit dumpfem «Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft»-Gebahren mitunter ebenfalls recht faschistoid auf. Doch ist es Antifa zu danken, dass der rechte Auftrieb in und um Bern von der etablierten Politik endlich wenigstens zur Kenntnis genommen wird. Bisher war nämlich Verdrängung angesagt, wurden Vorfälle oft erst auf Medienanfrage bekannt. Als CVP-Stadtrat Arnold Bertschy 1999 anfragte, ob es Drähte zwischen Extremisten und Etablierten gebe, antwortete der Gemeinderat so lapidar wie unwahr: «Keine Feststellungen». In diesem Februar dann, unter Mediendruck im Gefolge des Antifa-Marschs, der das allseitige Schweigen durchbrochen hatte, liess sichdie Polizei zur «heiklen Frage» immerhin so viel entlocken: «Es bestehen Verbindungen – auf unterschiedlichen Ebenen.»

Etablierte Politik angesprochen

Verdrängen geht nicht mehr – und das ist gut so, denn Verdrängen zeitigt fatale Folgen. Beim braunen «Frontenfrühling» in der rot-grünen Stadt und ihrem Umlandhandelt es sich ja nicht zuletzt um ein Warnsignal keimender Jugendunruhe – und schon einmal hat man solche Signale ignoriert: Vor genau 20 Jahren, als Jugendunrast noch gemeinhin den Stempel «links» bekam, mussten erst Pflastersteine Scheiben klirren lassen, bis der tiefsitzende Frust unzufriedener «Bewegter» überhaupt erst wahrgenommen wurde. Und heute ist «Rechts»-sein mit Bomberjacke und Hakenkreuz ja auch deshalb «in Mode», weil solches letzte Provokationen sind, mit denen «die Gesellschaft» noch wirklich nachhaltig provoziert werden kann. Die so provozieren, stelleneine kleine Minderheit der Jugenddar – noch. Aber wer weiss . . .1979 war auch von braver Jugenddie Rede, und 1980 brannte es.Man kann es, man sollte es ja auch mal so betrachten. Es stehenda doch letztlich gesellschaftliche Probleme zur Debatte, und diesen allein polizeilich-repressiv zubegegnen, hiesse den Kopf in den Sand stecken. Der in Bern schwelende Bandenkleinkrieg «rechter» gegen «linke» Subkulturen verlangt nach interdisziplinären Antworten: Schul- und Fürsorgedirektion sind hier ebenso gefordert. Städte im Ausland, so etwa in Deutschlands Osten, haben darin bereits viel Erfahrung, die angezapft werden könnte, zum Beispiel für Bern.

Nur ja kein billiges Politgezänk!

Hinzu kommt der politische Diskurs, der Not tut – zum Beispiel über die Verbindungen zwischen Extremisten und Etablierten. Bald wird das Themaim Stadtparlament zu reden geben- und es ist sehr zu hoffen, dass sich die Parteien, trotz dem Wahlkampf, ehrlich und ernsthaft damit befassen. Vorwürfe müssen sich die «Sozialpatrioten» von Berns Schweizer Demokraten oder die «Blocheristen» von der SVP gefallen lassen. Denn wer, wie Bernhard Hess (sd), gern verbal-brachiale Bürgerwehr-Agitation verbreitet, gar selber mithin in Nazijargon verfällt, und wer, wie Thomas Fuchs (jsvp), schon selber einmal am TV zu sehen war, wie er mit Faust statt Mund gegen Linke ausholt . . . der darf sich nicht wundern, wenn solche Saat böse Ernte einbringt. Und die Mitte ,ja auch die SP, sollte nicht bloss billig mit dem Finger auf Fuchs oder Hess zeigen. Auch sie haben Erfahrung mit (Ex-)Mitgliedern, die zu scharfen Rechten wurden; die FDP hatte 1998 ihre Affäre um den Belper S., die SP Bern die ihrige um einen Herrn Huber.

 

(Kasten:)

 

Der Bund von 27.04.2000

Berns alternatives Radio ist «baff»: Eben noch akkreditierter Journalist im Bundeshaus, entpuppt sich Praktikant Mulas als Nazi.

Rudolf Gafner

«Wir sind völlig baff, wir haben nichts geahnt», sagte Lukas Vogelsang, administrativer Leiter beim linken, alternativen Berner Lokalsender Radio RaBe auf Anfrage zum «Bund»-Bericht von gestern, wonach David Mulas die rechtsradikale «Nationale Partei Schweiz» (NPS) gegründet hat. Mulas arbeitete in den letzten Wochen als freier Mitarbeiter (Praktikant) für die Info-Abteilung – und «machte denJob gut», wie Vogelsang sagte. Der 24-Jährige war in der Märzsession gar akkreditierter RaBe-Reporter im Bundeshaus und hatte etwa auch Bundesrätin Ruth Dreifuss einmal eine Frage gestellt. Integer habe er gewirkt, sich stets ans Redaktionsstatut gehalten, so Daniel Zieli, Infoleiter. Und jetzt dies: ein bekennender Rechtsextremist. Im RaBe ist Mulas nun Geschichte.

«. . .ansonsten künftig illegal»

Gegenüber der Nachrichtenagentur SDA hat Mulas gestern den «Bund»-Bericht über seine Parteigründung bestätigt – und gehörig eins draufgegeben: Die Bundespolizei sei besser beraten, die NPS zu tolerieren, «ansonsten wir künftig im illegalen Bereich politisieren». Die NPS strebe ein Mandat im Nationalrat an und plane Initiativen in der Stadt Bern, so etwa «gegen Drögeler auf der Gasse» oder «gegen Strassenmusikanten, besonders gegen solche aus dem Osten». Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) war über die Gründung der NPS im Bilde. Man werde die Aktivitäten der Partei genau beobachten, sagte BAP-Sprecherin Danièle Bersier. Eingeschritten werde, wenn «gewalttätige oder extreme Aktionen» geschehen sollten.

 

 

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