«Wir müssen auf alles gefasst sein»

NeueLuzernerZeitung

Nun haben auch Linksaktivisten den 1. August «entdeckt». Der oberste Staatsschützer schliesst gewalttätige Konflikte nicht aus, rät aber zur Gelassenheit.

INTERVIEW VON EVA NOVAK, BERN

Heuer gibt es keine öffentliche 1.-August-Feier auf dem Rütli. Das Zentralschweizer Polizeikonkordat befürchtet Ausschreitungen von Extremisten. Sie auch?

Urs von Daeniken:* Das Zentralschweizer Konkordat will allen möglichen Eventualitäten verhältnismässig und unmittelbar entgegentreten können. Weil auf dem Rütli nur eine interne Feier mit Theaterstück stattfindet, verteilen sich die Rechtsextremen und vor allem auch ihre Gegner, die Antifaschistische Bewegung, auf den ganzen Zentralschweizer Raum, mit Aktionen in Brunnen und vor allem auch in der Stadt Luzern. Das verlangt ein grösseres Dispositiv.

Wer bereitet Ihnen grössere Sorgen ­ die Rechts- oder die Linksextremen?

von Daeniken: Meine grösste Sorge ist eine gewaltsame Begegnung der beiden Gruppen. Bei den Autonomen halte ich das Gewaltpotenzial zurzeit für eher grösser. Doch auch bei den Rechten ist latent Gewaltpotenzial vorhanden, vor allem wenn sie in der Gruppe etwa durch Alkohol aufgewiegelt werden.

Gibt es mehr gewaltbereite Linksextreme als Rechtsextreme in der Schweiz?

von Daeniken: Der harte Kern ist auf beiden Seiten etwa gleich gross, so zwischen 800 und 1000 Personen. Aber die Linken können zurzeit deutlich stärker mobilisieren, weshalb wir vor ihnen etwas mehr Respekt haben.

Könnten Krawalle wie vor vier Jahren auf dem Rütli diesmal von links kommen?

von Daeniken: Ob eine solche Demonstration überhaupt zu den Zielen der Autonomen gehört, erscheint mir fraglich. Vor vier Jahren war es den Rechtsextremen auf dem Rütli um eine bewusste Provokation gegangen. Sie wollten Präsenz markieren und in den Medien wahrgenommen werden, was ihnen auch voll gelungen ist.

Genau deswegen könnten die Linken versuchen, es der Gegenseite nachzumachen.

von Daeniken: Persönlich zweifle ich daran. Ich gehe eher davon aus, dass die Linksaktivisten am 1. August eine Gegenveranstaltung planen und nicht mit eigenen Themen auftreten werden ­ dafür haben sie zum Beispiel den 1. Mai oder das WEF in Davos. Bei den Rechtsextremen hingegen geniesst der 1. August aus nahe liegenden Gründen eine gewisse «nationalistische Überhöhung».

Wo sehen Sie die grösste Gefahr für Ausschreitungen: auf dem Rütli, in Brunnen oder in Luzern?

von Daeniken: Das ist schwierig abzuschätzen. Wir wissen, dass etwa 80 bis 100 Personen aus der rechten Szene mit Billetts für die Theaterveranstaltung auf dem Rütli ausgerüstet sind. Wenn diese Gruppe die Veranstaltung stört, wäre das überaus unangenehm, die Polizei ist aber vorbereitet. Wenn in Brunnen mehrere hundert Rechte und Linke aufeinander treffen sollten, gilt das Gleiche. Und wenn sich in der Stadt Luzern Auseinandersetzungen abspielen und in die Länge ziehen sollten, wäre das gerade an einem 1. August, an dem überall gefeiert wird, äusserst störend. Die ganze Situation ist durch eine grosse Unwägbarkeit gekennzeichnet, weshalb wir auf alles gefasst sein müssen.

Anders als in den letzten Jahren?

von Daeniken: Aussergewöhnlich ist die sehr breite und aggressive Mobilisierung von links. Antifaschistische Bündnisse aus Zürich und Bern sind daran, über das Internet, Radiosender, Flugblätter und Plakate zu mobilisieren. Unter dem Motto «Tell to Hell» werden die Leute nach Luzern gerufen, während sich die Rechten auf Brunnen und das Rütli konzentrieren. Es ist nicht auszuschliessen, dass die beiden Gruppen aufeinander prallen, was ein erhebliches Gewaltpotenzial darstellt.

Weshalb mischen die Linken plötzlich mit?

von Daeniken: Sie wollen wohl den Rechten das Terrain am 1. August nicht einfach kampflos überlassen. Mit anderen Worten handelt es sich um eine Reaktion auf den Erfolg der verstärkten Mobilisierung der Rechten auf dem Rütli. Sie brauchten vier Jahre, um zu reagieren ­ denn zuvor war der 1. August für die extremen Linken nie ein Thema.

In der Innerschweiz tritt kein Bundesrat auf, dafür spricht Bundespräsident Deiss in Bern. Erwarten Sie da Ausschreitungen?

von Daeniken: Bisher liegen uns keine Hinweise vor, dass die Feier auf dem Bundesplatz Ziel von Gegenaktionen werden sollte. Die Mobilisierung konzentriert sich rechts und links auf die Anlässe in der Zentralschweiz.

Es sind ja jeweils auch Ausländer beteiligt. Weshalb ist die Schweiz gerade für Rechtsextremisten derart attraktiv?

von Daeniken: Das gilt vor allem für Skinhead-Konzerte, die im Ausland oft verboten sind oder durch Auflagen erschwert werden. In der Schweiz ist das nicht generell der Fall. Es liegt an den zuständigen lokalen oder kantonalen Behörden, ein Konzert zu verbieten, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet werden könnte. Das führt dazu, dass bei uns allein im letzten Jahr mehr als zwei Dutzend Skinhead-Konzerte stattgefunden haben. In der Tat nahmen daran viele Ausländer teil, und es stimmt, dass sich zum Beispiel deutsche Rechtsextreme darüber freuen, dass dies in der Schweiz möglich ist.

Sie freuen sich aber weniger?

von Daeniken: Wir versuchen alles, damit solche Veranstaltungen nicht stattfinden können. Durch gezielte Einreisesperren können wir zum Beispiel die Einreise von Bands mit rassistischen Liedertexten verhindern. Wir wollen ja nicht zu einem rechtsextremen Sammelbecken in Europa verkommen. Das hat ungünstige Auswirkungen auf unsere Jungen. Die kommen in Kontakt mit scheinbar harmloser Musik, aber mit rassistischen Texten, und geraten dadurch in ein Umfeld, in dem wir sie tatsächlich lieber nicht sehen würden.

Sind für den 1. August Skinhead-Konzerte in der Innerschweiz geplant?

Von Daeniken: Ja, es liegen uns Hinweise vor, dass am Vorabend die eine oder andere Veranstaltung stattfindet.

Was empfehlen Sie der Bevölkerung? Sollen die Leute besser zu Hause feiern?

von Daeniken: Auf gar keinen Fall! Man soll den 1. August im Bewusstsein begehen, dass es vielleicht ein paar Leute gibt, die den Anlass für ihre eigenen Zwecke ausnützen. Wo das passiert, soll man sich fernhalten, um nicht in gewalttätige Auseinandersetzungen einbezogen zu werden. Das darf aber niemanden daran hindern, den Geburtstag unseres Landes so zu feiern, wie er oder sie es geplant hatte.

Wie lautet denn Ihre Prognose für den kommenden Sonntag?

von Daeniken: Ich glaube, dass der 1. August im grossen Ganzen ein schöner Abend sein wird, den man an den allermeisten Orten in Würde feiern können wird. Möglicherweise werden auf dem Rütli, in Brunnen, in Luzern oder an anderen Orten in der Zentralschweiz die offiziellen Feiern durch Aktionen begleitet. Eventuell werden die Gegenkundgebungen zu Konfliktsituationen führen. Die Polizei steht aber bereit mit einem angepassten, flexiblen Dispositiv, um sofort einwirken und die Sicherheit gewährleisten zu können.

* Urs von Daeniken ist Chef des Dienstes für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei, wie der Inland-Nachrichtendienst der Schweiz heisst.