Staatsanwaltschaft duldet den Hitlergruss

Zürichsee-Zeitung: RECHTSEXTREMISMUS Der Fall des Neonazi-Konzerts im Toggenburg hat kein rechtliches Nachspiel: Die St. Galler Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Untersuchung – weil den Rechtsextremen keine Propaganda nachgewiesen werden könne. Gleiches gilt für die Pnos, die sich in Kaltbrunn trafen.

Es war einer der grössten Neonazi-Anlässe und sorgte schweizweit für Schlagzeilen: 5000 Rechtsextreme marschierten in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober im sankt-gallischen Unterwasser auf und feierten ein gigantisches Rechtsrock-Konzert. Die Polizei stand machtlos daneben. Nach dem Konzert reichte die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus Anzeige gegen unbekannt ein wegen des Verdachts der Rassendiskriminierung. Am Konzert hatten diverse Bands aus der rechten Szene gespielt. Nun gibt die Staatsanwaltschaft St. Gallen bekannt, dass sie im Zusammenhang mit besagtem Rechtsrock-Konzert keine Strafuntersuchung eröffnet.

«In der Anzeige und den eingereichten Akten sowie in den von der Kantonspolizei St. Gallen eingereichten Wahrnehmungsberichten finden sich keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der unbekannten Täterschaft», heisst es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Auch aus dem in den Medien kursierenden Bildmaterial ergebe sich kein hinreichender Tatverdacht, dass die Rassismus-Strafnorm verletzt worden sei.

Erlaubt unter Gleichgesinnten

Der teilweise auf diesen Bildern zu sehende Hitlergruss beziehungsweise die zu hörenden «Sieg Heil»-Rufe fallen nicht unter die Strafnorm gegen Rassendiskriminierung, hält die Staatsanwaltschaft fest. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung fehle bei der Verwendung des Hitlergrusses unter Gleichgesinnten der «Aspekt der werbenden Beeinflussung und damit des Verbreitens». «Wenn Rechtsextreme unter sich den Hitlergruss machen, ist das nicht per se strafbar, solange dies nicht zu Propagandazwecken gemacht wird», erklärt Roman Dobler, Medienbeauftragter der Staatsanwaltschaft St. Gallen. Drücken sie damit lediglich ihre Gesinnung aus oder nutzen dies zur Provokation, selbst an unbeteiligte Dritte, sei der Tatbestand der Rassendiskriminierung nicht erfüllt.

Ob am besagten Konzert in Unterwasser tatsächlich nur Rechtsextreme unter sich gewesen sind – also keine zusätzlichen Personen anderer Gesinnung, die von den Neonazis hätten beeinflusst werden können –, wisse man schlicht nicht, hält Dobler fest. Angesprochen auf das Video des Konzerts, welches die Antifaschistische Aktion (Antifa) hinterher publik gemacht hatte, sagte Dobler, man wisse nicht, wer dort tatsächlich gefilmt habe.

Bei der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, die Anzeige eingereicht hatte, kommt der Entscheid nicht ganz überraschend. Trotzdem sei man enttäuscht: «Das ist absolut traurig, dass 5000 Neonazis entspannt bei uns feiern dürfen und das keine Konsequenzen hat», sagt Geschäftsführer Dominic Pugatsch. Es sei wichtig, nun Lehren aus solchen Vorfällen zu ziehen. Die Behörden müssten sensibilisiert werden und Politiker Massnahmen ergreifen. Dies, um Anlässe wie das Rechtsextremenkonzert künftig schon im Ansatz zu verhindern.

Keine Folgen für die Pnos

Auch im Fall des Pnos-Aufmarschs Ende November im Löwen in Kaltbrunn plant die Staatsanwaltschaft keine Untersuchung. Dies, obwohl dort, wie nachträglich bekannt wurde, der Sänger der rechtsextremen Band Flak aufgetreten war. «Weder bei uns noch bei der Polizei ist eine Anzeige eingegangen», sagt Dobler. Wenn eine Gruppe Rechtsextremer in einem geschlossenen Raum eine Versammlung abhalte, sei dies nicht strafbar. Auch das Video, das den umstrittenen Sänger der Band Flak zeigte, sei als solches kein Grund für eine Strafuntersuchung. Dazu müssten etwa explizite Hassparolen gegen Personen anderer Religion oder Herkunft zu hören sein, erklärt er.

Beschwerde einreichen

Gegen den Entscheid der St. Galler Staatsanwaltschaft kann die Stiftung GRA gegen Rassismus und Antisemitismus als Urheber der Anzeige Beschwerde bei der Anklagekammer des Kantons St. Gallen einreichen. Wie Dominic Pugatsch sagte, wolle man die Situation nun erst in Ruhe überdenken und analysieren, bevor die nächsten Schritte entschieden werden.

GEMEINDEN SOLLEN SICH HILFE HOLEN KÖNNEN

Fässler: «Nach dem Fall Unterwasser haben wir reagiert»

Der St. Galler Regierungsrat Fredy Fässler (SP) sagte auf Anfrage, den Entscheid der Staatsanwaltschaft habe er als Exekutivmitglied nicht zu kommentieren. Jedoch betonte er, man habe nach dem Fall Unterwasser sehr wohl reagiert: So hätten in der Folge alle Gemeinden ein Merkblatt erhalten mit Tipps, wie sie künftig reagieren und worauf sie achten sollen, wenn der Verdacht bestehe, dass Rechtsextreme sich in ihrer Region treffen wollen. Es sei etwa wichtig, mit den Eigentümern der betreffenden Lokale zu sprechen. Konkret gibt es für die Gemeindebehörden nun einen telefonischen Kontakt bei der Kantonspolizei. Von dort aus werden alle weiteren Abklärungen koordiniert. Dies können laut Fässler Abklärungen mit dem Nachrichtendienst, der Kripo oder dem Sicherheits- und Justizdepartement sein. Es gehe darum, für die Gemeinden administrative Hürden tief zu halten, damit solche Anlässe künftig vermieden werden können. Sollten Aufmärsche von Rechtsextremen sich häufen, gälte es, das Problem auf Bundesebene anzupacken. Es könne nicht sein, dass die Schweiz «zur Oase für Rechtsextreme und ihre Aktivitäten werde», sagte er. In Deutschland ist der Hitlergruss im Gegensatz zur Schweiz gänzlich verboten.

Eine entsprechende Reaktion kam gestern bereits von der SP St. Gallen: Sie fordert ein nationales Verbot von Hakenkreuz und Hitlergruss. SP-Nationalrätin Barbara Gysi werde dazu im Nationalrat einen Vorstoss einreichen. Die CVP/GLP-Kantonsratsfraktion fordert die Regierung in einer Interpellation auf, dass Nachrichten über geplante Anlässe extremistischer Kreise schnell erfasst werden. rkr

POLIZEI ERMITTELT NOCH

Im Fall des Kaltbrunner Restaurants Löwen, das kurz nach dem Pnos-Treffen Ende November mit Sprayereien beschmiert wurde, laufen bei der Kantonspolizei St. Gallen noch immer die Ermittlungen. Die Polizei behandle den Sachverhalt als «Sachbeschädigung mit Farbe», sagte Polizeisprecher Florian Schneider auf Anfrage.

Zu den Anti-Pnos-Parolen auf der Hausfassade hatte sich damals die Antifa Schweiz per Mail bekannt. «Von diesem E-Mail haben wir Kenntnis», sagte Schneider, mehr könne man im Moment aber nicht dazu sagen. «Wir ermitteln in alle Richtungen.» rkr