Rechtsextremismus: Die Situation in Biel

Bieler Tagblatt

19. Februar 2002«Hinschauen, ablehnen, verhindern»In einem anonymen Communiqué fordern Vertreter der linken Szene zum Widerstand gegen Rechtsextreme in Biel auf. Ihr Motto: «Wehret den Anfängen». Nur: Wie gross ist die rechte Szene überhaupt?egs. Letzten Donnerstagabend, Zentralstrasse 57, vor zehn Uhr, Fasnacht, viel Volk. Zwei Patrouillen der Stadtpolizei und eine der Kantonspolizei sind vor der Musik-Bar Rock Café, als vor den Augen der Polizisten ein offenbar betrunkener junger Mann aus dem Lokal stürmt, auf eine Gruppe Jugendlicher zugeht und einen von ihnen mit einem Schlag ins Gesicht niederstreckt. Umgehend wird der Täter in polizeiliche Gewahrsam genommen, weitere Beteiligten werden von der Polizei befragt und über ihre Rechte informiert. Die Bilanz: Eine eingegangene Anzeige wegen Sachbeschädigung, ob Strafanzeige wegen Tätlichkeit erstattet wurde, «ist noch unklar», wie Olivier Cochet, Pressesprecher der Kantonspolizei, gestern auf Anfrage mitteilte. Doch was einfach und alltäglich tönt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als delikate Angelegenheit. Denn will man einem anonymen Pressecommuniqué Glauben schenken, stamme der Schläger, dessen Tätlichkeit einem Exponenten aus dem linken Lager galt, aus rechtsextremen Kreisen.Kampfansage?Ob es sich bei der Auseinandersetzung tatsächlich um ein Mitglied aus dem rechten Lager handelt, sei bei derzeitigen Wissen «noch nicht eindeutig», und wer nun angefangen habe, nach den Befragungen «nur schwer eruierbar», meint hingegen André Glauser, Kommandant der Bieler Stadtpolizei und an diesem Abend verantwortlicher Pikett-Offizier. Pierre-Alain Descoeudres, letzten Donnerstag Bar-Chef im Rock Café, geht noch einen Schritt weiter. «Ich glaube nicht, dass dieser Mann in rechten Kreisen verkehrt.» Zwar, räumt Descoeudres ein, seien im Lokal gelegentlich Kunden mit kahl geschorenen Köpfen anzutreffen, zu Zwischenfällen sei es aber noch nie gekommen, «obwohl wir ein gemischtes Publikum haben.» Descoeudres, kundenfreundlich: «Man kann die Leute doch nicht nur nach ihrem Aussehen beurteilen und ?Glatze gleich Nazi? sagen.»Letztere jedoch, so das Presse- communiqué, hielten sich seit einiger Zeit öfters in Biel auf. Die Rede ist von vermehrten Provokationen und Drohungen seitens von Neonazis gegenüber anders denkenden Jugendlichen, Hitlergrüssen in der Öffentlichkeit, der Auftritt von Schlägertrupps in voller Montur auf den Strassen Biels und öffentlichen Lokalen. Was grotesk anmutet, liest sich zudem wie eine Kriegserklärung. «Kampf dem Faschismus in unseren Strassen und überall» steht in grossen Lettern. Und das Motto «Ablehnen, hin- statt wegschauen, Zivilcourage zeigen» macht eine Frage dringlicher als alle anderen: Existiert in Biel eine rechte Szene? «Organisiert, beängstigend»«Verfasst hat die Mitteilung ein Kollektiv von 35 Personen, Alter zwischen 16 und 30, bestehend aus verschiedenen Gruppierungen innerhalb der linken Szene», erklärt Adrian M.*, selber dazugehörig. Es sei, so M., eine erste Massnahme auf ein «akutes Problem», das seit rund zwei Monate in Biel bestehe: Jugendliche, junge Männer wie Frauen, zwischen 16 und 22, – oft angezogen wie Anhänger von Techno-Musik – die sich hauptsächlich in Kleingruppen abends zwischen neun und elf meist in der Nähe des Bahnhofs oder öffentlichen Lokalen aufhielten, Leute anpöbelten «und gegen alles tätlich werden, was ?links? aussieht», wie M. ausführt. Selber sei er zwar noch nie physisch belangt, aber Ende Januar von vier Personen verfolgt worden, die lauthals über antifaschistische Bewegungen wetterten. Sicher ist für M. zudem: «Diese Personen treten nicht unorganisiert auf, stammen aus der Region, Bieler Quartieren, kommen aber auch aus Solothurn oder Olten.» M.: «Der Auftritt solcher Gruppierungen ist beängstigend und für Biel neu.» Grossen: «Szene besteht»Nicht ganz. «Wir wissen seit zwei Jahren um die Existenz einer kleinen rechten Szene in Biel, die vorwiegend Kontakte mit Olten pflegt», korrigiert Heinz Grossen, Kommissär für Sicherheit und Ordnung. So habe im Rahmen des NLB-Eishockeyspiels zwischen Biel und Olten am 5. Januar eine geplante Massenschlägerei zwischen Jugendlichen aus Ex-Jugoslawien und Vertretern der rechten Szene aus Biel, der Region und Olten nur nach intensivem Dialog im Vorfeld verhindert werden können, «da man zufällig Wind davon bekommen hatte.» Denn die angekündigte Massenkeilerei war mehr als nur starke Worte. Bei Personenkontrollen im Bieler Bahnhof wurden am vorgesehenen Tag einiges konfisziert: Grossen: «Messer, Baseballschläger – so ziemlich alles, was weh tut.» Handelte es sich beim Vorfall in Biel vom letzten Donnerstag nun aber tatsächlich um einen Rechtsextremen, «wäre das der erste uns bekannte Fall, wo es in Biel zwischen Linken und Rechten zu Gewaltanwendung gekommen wäre». «Nicht verschärfen»Unpopuläre Massnahmen musste vor rund drei Wochen auch Max Merkatz, Geschäftsführer des Pickwick-Pub an der Aarbergsstrasse, treffen. Sein Lokal wurde immer häufiger Treffpunkt einer Gruppe Jugendlicher «zwischen schätzungsweise 17- bis 22-Jährigen» (Merkatz). «Ob es sich dabei um Leute mit rechtsextremistischer Gesinnung handelt, kann ich nicht sagen, obwohl das Äussere teils darauf schliessen liess», so Merkatz weiter. Auf jeden Fall hätten sie stets viel getrunken «und sich dementsprechend benommen». Damit ist vorläufig Schluss. Der Gruppe wurde vom Geschäftsführer ein Hausverbot auferlegt. Zwar keine polizeiliches, um diesen «Akt der Balance» (Merkatz) nicht unnötig zu verschärfen, aber ein «konsequentes». *Name der Redaktion bekannt.Braune Suppe?Eine Schlägerei und ein anonymes Communiqué sorgen in Biel derzeit für Ungewissheit und für eine brennende Frage. Gibt es eine rechte Szene?egs. «Seit rund zwei Jahren gibt es in Biel eine Gruppe Personen, die wir dem rechtsextremen Lager zuordnen», sagt Heinz Grossen, Kommissär für Sicherheit und Ordnung in Biel. Diese würden auch Kontakte mit gleichen Gruppierungen über die Kantonsgrenze hinweg pflegen, so etwa mit Olten. Nur, in der Vergangenheit kaum bemerkt und in Biel praktisch unbekannt, tritt nun offenbar seit zwei Monaten in Erscheinung, was linke Kreise in arge Besorgnis versetzt: Rechtsextreme Jugendlichen, junge Männer wie Frauen, die sich vermehrt beim Bieler Bahnhof oder in öffentlichen Lokalen aufhalten. Verschickt wurde ein anonymes Pressecommuniqué, das auf «den Rechtsextremismus in Biels Strassen» aufmerksam macht und zum aktiven Widerstand aufruft. Anlass zu diesem Appell ist eine Schlägerei, die sich vergangenen Donnerstag an der Zentralstrasse 57 vor der Musik-Bar Rock Café ereignet hat. Als, so das Schreiben, ein Nazi-Skin einem linksgerichteten Jugendlichen brutal ins Gesicht schlug.