Man kann nicht genug informieren

TagesAnzeiger

Die Frage ist nicht, ob, sondern wie die Medien über Rechtsextreme informieren sollen.

Von Hans Stutz*

Pfeifend und johlend demonstrierten am 1. August auf dem Rütli rund 800 Rechtsextremisten, zumeist Nazi-Skinheads, gegen die Rede von Bundesrat Samuel Schmid (SVP). Der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof behauptete Tage später in der «Aargauer Zeitung»: Junge Menschen würden rechtsextreme Parolen skandieren, weil es für sie «die beste Möglichkeit» sei, «Medienaufmerksamkeit zu bekommen». Imhof weiter: Die Rütli-Feier sei «zu einem Event geworden, nach dem man sich am Abend im Fernsehen sehen kann und am nächsten Tag in den Zeitungen darüber liest. Das ist essenziell für das Selbstwertgefühl dieses Milieus.» Imhof bestätigt damit alle jene, die meinen, dass die Medien über Rechtsextremismus vor allem schweigen sollten.

Nur: Für Imhofs Behauptung finden sich in der Realität kaum Belege. Für das Gegenteil hingegen schon: «Die Presse lügt», meinten Mitglieder der Helvetischen Jugend – einer Umfeldorganisation der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) – bereits auf dem Rütli und formierten sich zu einer entsprechenden Kurzkundgebung. In rechtsextremistischen Foren waren in den Tagen nach dem Rütli-Auftritt gehässige Klagen und Verwünschungen über «Presseschmierer» zu lesen. Nichts von Befriedigung des «Selbstwertgefühls dieses Milieus» also, sondern Empörung über die breite kritische mediale Beachtung und dem dadurch entstehenden gesellschaftlichen Druck. Dies war übrigens bereits im Sommer 2000 der Fall, nachdem der Rütli-Aufmarsch erstmals grosse mediale Beachtung erhalten hatte: In den darauf folgenden Wochen tauchten an verschiedenen Orten in der Schweiz rechtsextremistische Flugblätter auf, auch damals überschrieben mit «Die Presse lügt.»

Fakt ist also: Rechtsextremisten – wie übrigens auch andere Diskriminierungswillige – lieben die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser. Ausser selbstverständlich, wenn sie Massenmedien, beispielsweise in Interviews, als Megafon benutzen können.

Es braucht detaillierte Kenntnisse

Und selbst wenn es zuträfe, dass Medienberichte das Selbstwertgefühl des rechtsextremistischen Milieus fördern würden, dürften die Medien nicht schweigen. Denn nur das öffentliche Wissen über rechtsextremistische Strukturen und Vorkommnisse stärkt jene Männer und Frauen, die Rechtsextremismus – wie übrigens auch Rassismus – als unvereinbar mit einer demokratischen und menschenrechtsfreundlichen Gesellschaft erachten, seien es Eltern, Lehrer, Politiker oder Aktivisten der Antifa. Sie alle brauchen detaillierte Kenntnisse. Dazu kommt: Rechtsextremisten halten dem gesellschaftlichen Druck in öffentlichen Diskussionen meist nicht stand.

Die Frage ist folglich nicht, ob Medien über Rechtsextremismus berichten sollen, sondern wie sie berichten sollen. Medien sollen nicht nur amtliche Mitteilungen zusammenfassen, sondern sie auch politisch einordnen, vor allem dort, wo die Behörden (Polizei, Justiz oder Armee) nicht hinsehen wollen. Wie beispielsweise bei der Frage: Welcher Rechtsextremist hat wieder einen Vorschlag für eine Vorgesetztenfunktion erhalten?

Sollen Medien aber auch über angekündigte Ereignisse (wie Konzerte und Kundgebungen) berichten? Angenommen, eine Schweizer Sektion des Nazi-Skin-Netzwerkes «Blood and Honour» plant für morgen Samstag ein grösseres Konzert an einem noch unbekannten Ort in der Schweiz, vielleicht in einer gemeindeeigenen Mehrzweckhalle oder in einer ländlichen Turnhalle. Die Publikation einer solchen Information erhöht die Wachsamkeit, auch der Saalvermieter und Gemeindeverwaltungen. Es wäre nicht das erste Mal, dass nach entsprechenden Hinweisen die angemieteten Räume noch rechtzeitig gekündigt wurden. Nur wer konkrete Informationen hat, kann handeln.

PS: Ein «Blood and Honour»-Konzert soll morgen Samstag tatsächlich stattfinden; sechs Bands aus verschiedenen Ländern sind angekündigt, darunter auch die Zürcher Gruppe Amok.

* Hans Stutz ist Journalist mit Schwerpunkt Rechtsextremismus und Rassismus und ein langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene.