«Hinschauen, ablehnen, verhindern»

BernerZeitung

In einem anonymen Communiqué fordern Vertreter der linken Szene zum Widerstand gegen Rechtsextreme in Biel auf. Ihr Motto: «Wehret den Anfängen.» Nur: Wie gross ist die rechte Szene überhaupt?

Letzten Donnerstagabend, Zentralstrasse 57, vor zehn Uhr, Fasnacht, viel Volk. Zwei Patrouillen der Stadtpolizei und eine der Kantonspolizei sind vor der Musik-Bar Rock Café, als vor den Augen der Polizisten ein offenbar betrunkener junger Mann aus dem Lokal stürmt, auf eine Gruppe Jugendlicher zugeht und einen von ihnen mit einem Schlag ins Gesicht niederstreckt. Umgehend wird der Täter in polizeiliches Gewahrsam genommen, weitere Beteiligte werden von der Polizei befragt. Die Bilanz: eine eingegangene Anzeige wegen Sachbeschädigung. Ob Strafanzeige wegen Tätlichkeit erstattet wurde, «ist noch unklar», wie Olivier Cochet, Pressesprecher der Kantonspolizei, gestern auf Anfrage mitteilte. Doch was einfach und alltäglich tönt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als delikate Angelegenheit. Denn will man einem anonym gezeichneten Pressecommuniqué Glauben schenken, stamme der Schläger, dessen Tätlichkeit einem Exponent aus dem linken Lager galt, aus rechtsextremen Kreisen.

Kampfansage?

Ob es sich bei der Auseinandersetzung tatsächlich um einen Exponenten aus dem rechten Lager handelt, sei bei derzeitigem Wissen noch nicht eindeutig, und wer nun angefangen habe, nur schwer eruierbar, meint André Glauser, Kommandant der Bieler Stadtpolizei und an diesem Abend verantwortlicher Pikett-Chef. Pierre-Alain Descoeudres, letzten Donnerstag Bar-Chef im Rock Café, geht noch einen Schritt weiter. «Ich glaube nicht, dass dieser Mann in rechten Kreisen verkehrt.» Zwar seien im Lokals gelegentlich Kunden mit kahl geschorenen Köpfen anzutreffen, zu Zwischenfällen sei es aber noch nie gekommen, «obwohl wir ein gemischtes Publikum haben». Descoeudres, kundenfreundlich: «Man kann die Leute doch nicht nur nach ihrem Aussehen – Glatze gleich Nazi – beurteilen.»Letztere jedoch, so das Pressecommuniqué, hielten sich seit einiger Zeit öfters in Biel auf. Die Rede ist von vermehrten Provokationen und Drohungen seitens von Neonazis gegenüber anders denkenden Jugendlichen, Hitlergrüssen in der Öffentlichkeit, der Auftritt von Schlägertrupps in voller Montur auf Strassen und in öffentlichen Lokalen. «Kampf dem Faschismus in unseren Strassen und überall» steht in grossen Lettern. Und das Motto «Ablehnen, hin- statt wegschauen, Zivilcourage zeigen» macht eine Frage dringlich: Existiert in Biel eine rechte Szene?«Verfasst hat die Mitteilung ein Kollektiv von 35 Personen, Alter zwischen 16 und 30, bestehend aus verschiedenen Gruppierungen innerhalb der linken Szene», erklärt Adrian M.*, selber dazugehörig. Es sei eine erste Massnahme auf ein akutes Problem, das seit zwei Monaten in Biel bestehe. Selber sei er zwar noch nie physisch belangt, dafür aber verfolgt worden. Sicher ist für M. zudem: «Diese Personen treten nicht unorganisiert auf, stammen aus der Region, Bieler Quartieren, kommen aber auch aus Solothurn oder Olten.»

«Kleine rechte Szene»

«Wir wissen seit zwei Jahren um die Existenz einer kleinen rechten Szene in Biel, die vorwiegend Kontakte mit Olten pflegt», sagt Heinz Grossen, Kommissär für Sicherheit und Ordnung. So habe im Rahmen des NLB-Eishockeyspiels zwischen Biel und Olten am 5. Januar eine geplante Massenschlägerei zwischen Jugendlichen aus Ex-Jugoslawien und Vertretern der rechten Szene aus Biel, der Region und Olten nach intensivem Dialog verhindert werden können, «da man zufällig Wind davon bekommen hatte.»Handelte es sich beim Vorfall in Biel vom letzten Donnerstag nun aber tatsächlich um einen Rechtsextremen, «wäre das der erste uns bekannte Fall, wo es in Biel zwischen Linken und Rechten zu Gewaltanwendung gekommen wäre», so Grossen. egs