Grauen in Grenchen

Reformierte Presse vom 27.01.2012

Der Ansatz für die Reportage war gut: Grenchen, die Industriestadt von «gutschweizerischer Normalität», ist in Wahrheit ein Ort des Grauens wie aus einem Film von David Lynch. Autor Christoph Keller suchte die Ingredienzen gekonnt zusammen und verknüpfte sie lakonisch, untermalt mit unheimlichen Xylophontönen.

Am Anfang hörte man noch eine Schulklasse «O du goldigs Sünnäli» in der Bahnhofsunterführung singen, aber dann kam die Rede auf dieses Attentat auf ein Grundstück, wo eine Moschee gebaut werden soll: Schweineköpfe und -blut wurden dort in November vergraben und verspritzt («eine grosse Sauerei», so der Stadtpräsident). Die Polizei ermittelt nicht wegen Rassimus, sondern wegen Verstosses gegen die Bundesverordnung zur «Entsorgung von tierischen Nebenprodukten».

Seltsam. Da ist aber auch dieser Stadtpräsident, Boris Banga, der sich zwar deutlich vom Attentat distanziert, aber «ein Stadtkönig» ist, wie «manche» sagen, direkt, unzimperlich, es soll Mobbingvor- würfe gegen ihn geben, jedenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Und dann der SVP-Gemeinderat Ivo von Büren, dem Keller Sexorgien nachsagt und der das Grundstück für die Moschee an die albanisch-islamische Glaubensgemeinschaft verkauft hat – angeblich ohne zu wissen, wofür sie das Land braucht. Rätselhaft.

Und dann die rechtsextreme Szene: Keller erwähnt andere Orte Europas, wo sich ähnliche Attentate ereignet haben, und die rassistischen Web-Portale, die das Grenchner Attentat bejubeln. Auch die Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji (sie wohnt in Grenchen!) konnte verständlicherweise nicht viel zur Ehrenrettung Grenchens beitragen. Andreas Tunger vom Zentrum für Religionsforschung der Universität Luzern analysierte dann aber ausführlich Planung und Bau von Sakralbauten. Er hob das Thema damit über Grenchen hinaus. Grenchen ist überall.

Das Grauen in Grenchen – ist dieser Ort wirklich unheimlich, eine Stadt der «Peinlichkeiten und Intrigen»? Eigentlich nicht. Das Attentat ist in der Tat abscheulich, aber sonst konnte Keller seine journa- listische These nicht besonders gut belegen – es blieb alles im Vagen und Vermuteten; weder gab es Beweise noch Indizien, dass hier eine rechtsextreme Verschwörung gegen den Islam stattfindet.

Aber als böser Bube eignet sich das ehemalige Solothurner Uhrendorf allemal. Matthias Böhni