Die «Weltwoche» war schon früher einmal rechts

«Alles Gute und Schöne»: Sein Wunsch, den er alsGruss unter jeden seiner Brief setzte, war bis zuletzt seinLebensprogramm. Als schreibender Sinnesmensch, der er war: ManuelGasser, geboren 1909, gestorben 1979. Heute weitgehend vergessen. Obwohl die Lebensleistungen des Journalisten nicht gering zu schätzen sind:Gasser gehörte zu den Gründern der «Weltwoche»; später war der gebürtige Luzerner langjähriger Chefredaktor der Kulturzeitschrift «Du».Ausserdem war er an der Konzeption der Frauenzeitschrift «annabelle»beteiligt, die erstmals 1938 erschien. An all das erinnert nun einewuchtige Biografie, die David Streiff, früherer Direktor des Bundesamtes für Kultur und des Filmfestivals Locarno, geschrieben hat. Im Umfangvon etwas mehr als 700 Seiten. Und auf der Grundlage des umfangreichenNachlasses, der bisher unzugänglich in einem Keller gelagert hatte.

Biografie eines Schwulen

Die Leistung von Streiffs grossem Gasser-Buchbesteht nicht allein in der Nacherzählung eines Journalistenlebens.Sondern auch darin, dass es die Biografie eines Schwulen erzählt, derseine Homosexualität mit mehr als nur bemerkenswerter Offenheit lebenkonnte. Obwohl die Zeichen dafür schlecht standen: Als 18-Jähriger sahsich Gasser mit einem Arzt konfrontiert, der ihn von seinerHomosexualität therapieren wollte. Auf Wunsch der Eltern. Wenige Jahrespäter wurde Gasser am Lehrerseminar in Bern rausgeworfen. Mutmasslichwegen «Sittlichkeitsvergehen an höheren Schulen».

Zweifel und mangelndes Selbstbewusstsein scheinennie ein Problem von Gasser gewesen zu sein. «Ich bin entzückt von mir»,heisst es mal in seinen Tagebüchern, die David Streiff erstmalsauswerten konnte. Und die eine eigentliche «Chronik des Begehrens» sind, wie Streiff schreibt. Von diesem Begehren zeugen auch die zahlreichenFotos, die sich Gasser im Laufe seines Lebens von seinen Bekanntschaften erbeten hat. Und die nun bei Streiff nachgedruckt sind. Sie belegen mit Nachdruck, dass der First-Class-Journalist geradezu unersättlich war.Matrosen, Intellektuelle, Radfahrer von der Rennbahn Oerlikon. ManuelGasser hatte sie alle. Aber wer interessiert sich schon für Langweiler?

Die nazifreundliche «Weltwoche»

Die «Weltwoche» wurde im September 1933 gegründet. Von Manuel Gasser und dem damals 39-jährigen Karl von Schumacher,Spross einer alten Luzerner Patrizierfamilie. Die Erinnerung an dieseGründungsgeschichte ist wichtig. Denn noch heute verkündet die«Weltwoche» auf ihrer Website stolz, dass ihr Blatt «ab 1935 auf einenstark antinationalsozialistischen Kurs» eingeschwenkt sei. Die Zeitungsei eine «der wenigen freien publizistischen Stimmen» in einem von denNazis besetzten Europa gewesen. «Wegweisend» seien insbesondere dieArtikel Karl von Schumachers gewesen, «der schon sehr früh einemilitärische Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkriegprognostizierte».

Wie David Streiff nun herausarbeitet, ist all dasfalsch: Zwar erschienen nach 1935 in der «Weltwoche» Artikel, die sichkritisch gegenüber dem NS-Regime verhielten. Nazifreundliche Texte sindaber noch bis 1942 nachweisbar. Bis dahin gab sich insbesondere Karl von Schumacher wiederholt seiner Bewunderung für Mussolini und Hitler hin.Wobei gerade der «Führer» «immer schlafwandelnd sicher das Richtige»tue, wie es in einem Artikel eines Korrespondenten der «Weltwoche»heisst. An eine Niederlage der Nazis konnte von Schumacher «bisStalingrad nicht glauben». So David Streiff.

Die ersten Filmkritiken

Und Gasser? Bei der Gründung der «Weltwoche» warder damals 25-Jährige hauptsächlich für den Aufbau des Feuilletonsverantwortlich, das unter seiner Ägide eines der ersten in der Schweizwurde, das eine ernsthafte Filmkritik pflegte: Gemäss Streiff wollteGasser «ein im Sehen geschultes Publikum» heranziehen. Nach dem Vorbildder französischen Filmkritik. David Streiff streicht deutlich hervor,dass Gasser auch während des Aufstiegs der Nazis ein Ästhet im Reich des Sinnlichen war, dem das Schöne wichtiger war als das Politische.

Und der trotz Warnungen von Freunden wie HermannHesse und dem Emigranten Klaus Mann an seiner Bewunderung für denFaschismus festhielt: Gasser schrieb begeisterte Artikel überSchlageter-Feiern und Besuche bei der Hitlerjugend. Und er war selbstvon 1933 bis 1937 Mitglied bei den Schweizer Frontisten. Diefaschistischen Bewegungen waren für ihn ein erotisches Phänomen, heisstes bei Streiff. Obwohl Gasser wusste, dass unter Hitler dieHomosexuellen verfolgt wurden. Erst nach dem «Anschluss» Österreichsnahm Gasser Abstand vom NS-Regime.

Dieses relativ späte Umschwenken sollte zu Gassers grösster Niederlage führen. Im sogenannten Brentano-Prozess, der imMärz 1947 in Winterthur stattfand und insgesamt acht Tage dauerte.Angeklagt war Gasser, weil er im September 1945 in einem raschzusammengeschusterten «Welt­woche»-Artikel Gericht über den AutorBernard von Brentano gehalten hatte. Dieser sei ein «rabiaterAntisemit», ein «begeisterter Anwalt» der Nazis.

Aussagen von 69 Zeugen

Das liess Brentano nicht auf sich sitzen. Es kamzum Prozess vor einem Schwurgericht – auf Antrag Gassers, der sich davon grössere Chancen für sich ausgerechnet hatte. So sagten schliesslich 69 Zeugen aus, darunter viele Vertreter der Zürcher Intelligenzija. EinAufwand, den man sonst nur für die Aburteilung von Schwerstverbrechernbetrieb. Und der für Gasser zum Fiasko wurde: Der Anklage gelang es, die einstige Nähe der «Weltwoche» zu frontistischen Kreisen in denVordergrund zu rücken. Und Gasser so als Lügner darzustellen, der erstnach Vorlage von Indizien einräumte, dass seine Kontakte zu denSchweizer Faschisten wesentlich stärker gewesen waren, als er eszugegeben hatte. Diese Verteidigungsstrategie wie auch seine offengelebte Homosexualität, die nun gegen ihn verwendet wurde, brachen ihmdas Genick: Gasser wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.

Seine Stärken als «unbändiger Verehrer vonSchönheit» konnte Gasser von 1958 bis 1974 entfalten – als Chefredaktorder Kulturzeitschrift «Du», zu der es im Landesmuseum Zürich aktuelleine Ausstellung gibt. Zu den Höhepunkten von Gassers «Du»-Zeit gehörtein Heft zu Bruce Davidsons «New York East 100th Street», das weitgehend ohne Text und nur mit Fotos auskam. Auch davon kann Streiff in seinemreich bebilderten Buch erzählen.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 13.01.2017, 18:41 Uhr)