Die Spur der Gewalt führt ins Oberbaselbiet

Basler Zeitung

Sissach. Behörden reagieren resolut auf Schlägereien

PHILIPP LOSER

Entwickelt sich Sissach nach Liestal zum neuen «Gewalt-Hotspot»? Die Behörden wiegeln ab – und reagieren gleichzeitig mit aller Härte auf die Schlägereien in Sissach.

Die Atmosphäre war aufgeladen. Mit Gewalt. Es war zu sehen, es war zu spüren. Ein Muskelprotz stolzierte aufgeblasen über die Tanzfläche und stiess regelmässig wie zufällig an den patrouillierenden Mann von der Security. Seine Kollegen feuerten ihn an, die Umstehenden musterten sein Gehabe aufmerksam.

Es war eine Unachtsamkeit, eine leichte Berührung, die das Pulverfass im Sissacher Tanzlokal «Joker» schliesslich zum Explodieren brachte: Mann berührt Frau am Hintern, zweiter Mann geht auf ersten Mann los, die beiden prügeln sich, und innerhalb von Sekunden schlagen fünfzehn junge Männer mit Bierflaschen und Barhockern aufeinander ein.

Die Schlägerei vor einer Woche war nicht der erste Gewaltexzess am Sissacher Bahnhof in diesem Jahr. Bereits am Wochenende davor prügelten sich eine Horde Punks mit einer Horde Rechtsextremer, und ein junger Mann im Vollrausch versuchte seine Begleiter mit einer 25-Zentimeter-Klinge abzustechen.

Die Reaktion. An diesem Wochenende hat die Polizei reagiert. Der Bereich rund um die Disco «Joker» befand sich am Freitagabend im Belagerungszustand. Zwei Polizeiautos standen demonstrativ vor der Disco, vier Security-Männer samt neuem Gitter vor dem Eingang, Polizisten in Uniform, in Zivil und dazwischen Gruppen von Jugendlichen, die sich nur zögernd zur Disco vorwagten.

Tags darauf die nächste Polizeiaktion: In schwarzen Kampfanzügen kontrollierten Dutzende von Polizisten die Bahnstrecke zwischen Basel und Gelterkinden. Mit Erfolg. Niemand wagte es, eine Schlägerei anzuzetteln.

«Wir arbeiten intensiv an der Situation in Sissach», sagt Sabine Pegoraro, Vorsteherin der Baselbieter Justiz-, Polizei- und Militärdirektion (JPMD), «mit der verstärkten Präsenz wirken wir präventiv.» Ein Rezept, das zu funktionieren scheint: «Wir wissen, dass bei Jugendlichen Repression eine präventive Wirkung hat», sagt JPMD-Sprecherin Barbara Umiker, «man muss diesen Burschen ihre Grenzen zeigen.»

Eineinhalb Jahre ist es her, seit man im Baselbiet zuletzt Polizeiaufgebote wie in der Samstagnacht gesehen hat. Nachdem die Gewalt auf dem Liestaler Bahnhof mit dem brutalen Überfall auf den Coop-Pronto-Shop ihren Gipfel erreicht hatte, war die Polizei dauerpräsent. Heute hat sich die Situation in Liestal beruhigt.

DAS LOKAL. Und jetzt Sissach? Hat sich die Gewalt von Liestal einfach drei Zugstationen nach oben verschoben? «Das ist zu platt», sagt Dieter Bongers, Leiter der Anlauf- und Beratungsstelle für Rechtsextremismus, «Gewalt-Hotspots sind nie über längere Zeit am gleichen Ort. Sie bewegen sich stetig.» Dies hänge unter anderem davon ab, ob es Lokale gebe, die eine gewisse Klientel anziehe. Lokale wie das «Joker». Seit 13 Monaten betreibt der Billard-Klub im ersten Stock eine Disco. Das Geschäft läuft: «Wir haben ein riesiges Einzugsgebiet», sagt Dieter Wanner, Inhaber der Disco. Aber leider sei es wie überall: «Wenn ein Lokal gut läuft, kommen nicht nur die Guten.»

Im September vergangenen Jahres hatte er plötzlich eine Gruppe von Rechtsextremen im Haus – er erteilte ihnen Lokalverbot. Gleiches gilt für die Urheber der Schlägerei vor einer Woche. Zudem hat Wanner das Sicherheitsdispositiv angepasst: Neu wachen jedes Wochenende vier Security vor dem Eingang der Disco.

«Er macht etwas von sich aus, das ist sehr lobenswert», beurteilt Sissachs Gemeindepräsidentin Petra Schmidt das Engagement von Wanner. Aber alleine könne er wenig machen. Für Schmidt ist klar: Die momentanen Probleme in Sissach sind nicht hausgemacht, sondern grösstenteils importiert: «Wir haben ein riesiges Einzugsgebiet.» Gestern Abend wurde die Gewalt im Gemeinderat ein weiteres Mal thematisiert. Schmidt: «Wir wollen die erhöhte Gewaltbereitschaft im Keim ersticken.»

Die Ursachen. Nur wie ist noch unklar. Eine Präsenz wie in Liestal wird in Sissach nicht über längere Zeit möglich sein: «Wir haben beschränkte Ressourcen», sagt Pegoraro. «Längerfristig muss man die Ursachen der Probleme bekämpfen.» Aus diesem Grund hat die Regierungsrätin schon vor längerer Zeit die so genannten «runden Tische» geschaffen, an denen Kantons-, Gemeinde-, Polizeivertreter und Leute aus dem sozialen Bereich vertreten sind. Sie kann sich aber auch vorstellen, dass Modelle wie die patrouillierenden Securitas in Sissach Zukunft haben könnten.

Fünf «runde Tische» gibt es im Baselbiet. Pegoraro weiss: Die Gewalt wird nicht für immer in Sissach bleiben: «Wir haben es mit verschiedenen Phasen und dementsprechenden Verschiebungen zu tun.» Im Sommer sei die Situation anders als im Winter und es gebe eigentlich nur eine Konstante: der Alkohol. «Die Jugendlichen trinken mehr als früher. Das ist ein Problem», sagt die Regierungsrätin.

Die Gewalt. Ein Problem, das sich auch auf die Gewalt an sich auswirkt. Kneipenschlägereien gab es schon immer, deren Intensität hat sich aber im Verlauf der Jahre verstärkt: «Früher wurde mit Fäusten gekämpft. Heute schlagen sich die Jungen mit Rohren und Baseballschlägern», sagt Dieter Bongers. Soziologieprofessor Ueli Mäder ergänzt: «Die Gewalt wird mehr wahrgenommen. Und neu werden Tabus gebrochen: Wenn die Nase blutet oder einer am Boden liegt, hört heute das Treten nicht auf.» Auch mit Messern werde anders umgegangen: «Wir brauchten sie früher noch zum Schnitzen.»