Der mysteriöse Tod des Patric G.

Tages-Anzeiger vom  08.09.2012

Ein 19-jähriger Aargauer wurde im März tot aufgefunden. Alles deutete auf einen Unfall hin. Nun stellt sich heraus: Der Lehrling verkehrte in der rechtsextremen Szene – und könnte getötet worden sein.

Von Patrick Kühnis

Bremgarten AG – Die Handydaten sind aus Sicht der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten die letzte Chance, das Rätsel um den Tod von Patric G. zu lösen. Sie hat deshalb vor Bundesgericht eine rückwirkende Telefonüberwachung erstritten. Mit wem hat der 19-Jährige zuletzt telefoniert? Wem schrieb er eine SMS? Und vor allem: Wo hielt er sich überall auf?

Auf diese Fragen erhofft sich die Untersuchungsbehörde Antworten, wenn sie in den nächsten Wochen den Telefonverkehr des Verstorbenen auswerten kann. Das Bundesgericht hat den Zugriff gegen den Willen des Aargauer Zwangsmassnahmengerichts erlaubt, wie aus einem jetzt publizierten Urteil hervorgeht. Zuvor war es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, das Handy des Toten zu knacken – obwohl sie einen Spezialisten angeheuert hatte.

Die Ermittler wollten die Daten von der Mobilfunkfirma unbedingt, denn bisher tappten sie in diesem Fall völlig im Dunkeln. «I vermisse di» von Gölä – das war das letzte Lebenszeichen von Patric G. Der 19-Jährige aus dem Freiamt hat den Song am 14. März um 22.22 Uhr auf seiner Facebook-Seite gepostet. Seinen Eltern hatte er am besagten Mittwochabend nach dem Nachtessen gesagt, dass er noch nach Bremgarten in den Ausgang gehe.

Unweit der Stammbeiz gefunden

Der Sanitärlehrling kehrte nicht zurück. Neun Tage lang suchten die Eltern verzweifelt nach ihm. Sie gaben eine Vermisstenanzeige auf, wandten sich ans Regionalfernsehen. Die Polizei setzte Spürhunde ein und suchte die Reuss ab. Doch sie fand nur das Auto, das der schmächtige Teenager mit den kurzen blonden Haaren vor einer Bar abgestellt hatte. Am 23. März dann die traurige Gewissheit. Bei einem Postenlauf in Bremgarten stiess eine Schulklasse aus Spreitenbach auf die Leiche von Patric G. Er lag mitten im Städtchen am Fuss einer steilen, versteckten Treppe – nur unweit von seiner Stammbeiz entfernt.

Das Institut für Rechtsmedizin Bern (IRM) fand keinerlei Hinweise auf einen Suizid, als es den Leichnam von Patric G. obduzierte. Die Untersuchung ergab, dass der «Tod durch Ersticken aufgrund der Endlage» eingetreten sein musste. Sechs bis neun Tage sei der leblose Körper auf der letzten Treppenstufe gelegen. Knochenbrüche und Einstichstellen fand das IRM keine. Der Tote hatte 1,3 Promille Alkohol im Blut. Für die Gerichtsmediziner war klar, dass es keine Hinweise auf ein Verbrechen gibt.

Gutachten angezweifelt

Umso mehr lässt das Urteil des Bundesgerichts aufhorchen. Aufgrund der Untersuchungsakten aus dem Aargau kommt es zu einem anderen Schluss als die medizinischen Gutachter: «Es erscheint als unwahrscheinlich, dass der 19-Jährige völlig allein Alkohol konsumiert und dann ebenso allein die steile Treppe hinuntergestürzt ist», heisst es im Entscheid. Ebenso gut komme in Betracht, dass «eine oder mehrere Personen den Verstorbenen die Treppe hinuntergestossen haben». Und gerade weil es um die Aufklärung eines möglichen Schwerverbrechens gehe, bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass «die noch erhebbaren Beweise soweit als möglich gesichert werden».

Wie lange die Auswertung der Telefondaten dauert, kann der Aargauer Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht noch nicht sagen. «Wenn Patric G. immer am gleichen Ort war, haben wir rasch Resultate. Wenn er in einem grösseren Gebiet unterwegs war, wird es komplizierter.»

Ein Rechtsextremer?

Auch bezüglich des politischen Hintergrunds von Patric G. wartet das Bundesgerichtsurteil mit einer Überraschung auf. So spricht aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden insbesondere für ein Tötungsdelikt, «dass der Verstorbene in der rechtsextremen Szene verkehrt hatte». Ein Verdacht, der früher schon einmal im Raum stand – und damals von den Eltern bestritten wurde.

Laut der Kantonspolizei ist es kein Geheimnis, dass es im Freiamt mehrere rechtsextreme Gruppierungen gibt. Diese träfen sich aber meistens im kleinen Kreis und abseits der Öffentlichkeit. Die Gewaltbereitschaft habe spürbar abgenommen. Der letzte Vorfall mit Neonazis in Bremgarten liegt denn auch schon zehn Jahre zurück. Neun Skinheads warfen damals mit Steinen gegen das alternative Kulturzentrum und verprügelten einen Mann, «weil er lange Haare trug».