Bund soll auch die Linksextremen unter die Lupe nehmen

TagesAnzeiger

Der Bundesrat will kein Geld für Studien zum Linksextremismus lockermachen. Just dies fordern die SVP und das Bundesamt für Polizei. Nicht grundlos: Linksextreme Gewalt nimmt zu.

Von Stefan Häne

Sie zünden Autos an, zerstören Bankfilialen, werfen Steine gegen Polizisten: Erbittert führen Linksextreme einen Klassenkampf gegen das kapitalistische System, zuletzt am 1. Mai in Zürich. Und sie tun dies immer häufiger: 2005 registrierte das Bundesamt für Polizei (Fedpol) 140 Vorfälle, ein Jahr später waren es 227 (+67 Prozent), zwei Drittel davon waren gewalttätiger Art. Zum Vergleich: Die Zahl pro Jahr gemeldeter rechtsextremistischer Vorfälle schwankt seit 2000 um die 120, nachdem sie sich in den 90er-Jahren auf deutlich tieferem Niveau bewegt hatte. Beim Linksextremismus lassen sich solche Entwicklungen nicht nachzeichnen, wie Fedpol-Sprecher Guido Balmer erklärt: Zu dessen Ausmass vor 2005 liege keine aussagekräftige Studie vor, die sich mit jener zum Rechtsextremismus vergleichen lasse.

Dies empört die SVP. Ihrer Ansicht nach verschweigt oder beschönigt ein Grossteil der Politiker und Medien linksextreme Gewalt. Im Gegenzug würden rechtsextreme Vorfälle regelmässig skandalisiert, zeigt sie sich überzeugt. Ihren Ausdruck finde diese Einseitigkeit auch in der Forschung, konkret: im Nationalen Forschungsprogramm (NFP 40+) über Rechtsextremismus, das der Bundesrat 2001 bewilligt hat. Mittlerweile sind 13 Studien zur Thematik erschienen, dies bei Kosten von rund vier Millionen Franken; linksextreme Gewalt war dabei kein oder nur am Rand ein Thema. «Es kann nicht sein, dass die mit Bundesgeldern finanzierte Forschung auf einem Auge blind ist», ärgert sich SVP-Ständerat Maximilian Reimann. In einer Interpellation hat er deshalb den Bundesrat angefragt, ob er diese Lücke zu schliessen gedenke. Der wissenschaftliche Nutzen wäre «wesentlich grösser», wenn das gesamte Spektrum des Gewaltextremismus erforscht würde, schreibt er. Die Antwort, die dem TA vorliegt, wird ihm und der SVP nicht gefallen: Der Bundesrat sieht auch künftig keine spezifische Forschung zum Linksextremismus vor.

Linksextreme sind gewaltbereiter

Für SVP-Pressesprecher Roman S. Jäggi ist dies «unverständlich». Die Ausgangslage habe sich geändert – das Fedpol bestätigt diesen Befund: Gemäss seinen Schätzungen stehen rund 1000 gewaltbereiten Rechtsextremen 2000 auf der linken Seite gegenüber. Hinzu kommt: «Die sicherheitspolizeilichen Einsätze müssen bei linksextrem motivierten Aktionen weit grösser dimensioniert werden», sagt Fedpol-Sprecher Balmer. Der Grund dafür liege in der «erfahrungsgemäss häufigeren Gewaltanwendung und dem höheren Mobilisierungspotenzial». Eine nationale Statistik zum Umfang der einzelnen Polizeieinsätze existiert laut Balmer nicht, da die Polizeihoheit bei den Kantonen liegt.

Wie die SVP beobachtet auch das Fedpol die Entwicklung des Linksextremismus in der Schweiz mit Sorge. Die innere Sicherheit der Schweiz sei zwar nicht gesamthaft gefährdet, aber punktuell, warnt Balmer. Für die Arbeit des Fedpol wäre es daher «wichtig», wenn die Forschung den linken Extremismus gründlicher ausleuchten würde. Dies ergäbe wertvolle Rückschlüsse für die Praxis, betont Balmer.

Die Einschätzung des Fedpol ist Wasser auf die Mühlen der SVP. Dem Vernehmen nach will die Partei den Druck weiter erhöhen, dies im Hinblick auf den neuen Bericht zur inneren Sicherheit, der voraussichtlich Ende Mai publiziert wird. Konkret stehen in der SVP zwei Stossrichtungen zur Diskussion: Die eine sieht vor, dass der Bundesrat Forschungsgelder für den Nationalfonds nur noch dann sprechen soll, wenn die Studie einen direkten wirtschaftlichen Nutzen bringt und die Wissenschaftler eine Thematik ganzheitlich und fern jeglicher politischer Hintergedanken untersuchen. Die zweite Variante ist radikaler: Sie verlangt, sämtliche Auftragsgelder für den Nationalfonds ersatzlos zu streichen.