Angst vor weiteren Anschlägen

Liechtensteiner Vaterland vom 5.3.2010

Eine Reihe von Gewaltakten verunsichert und verängstigt zurzeit die Bevölkerung Liechtensteins. Der Anschlag auf das türkische Bistro in Nendeln war bereits der dritte in kurzer Zeit. Vor allem ausländische Familien haben Angst vor weiteren Gewalttaten.

Bianca Negele und Irina Radu

Ein Auto parkt vor dem Geschäft. Erdal Kilic schaut vorsichtig durch die Fenster des Kebab-Ladens. Erst letzten Freitag wurde auf das Bistro seines Bruders Sekran ein Molotowcocktailanschlag verübt. Ein mulmiges Gefühl begleitet die Brüder seither. Das Entsetzen über den Brandanschlag ist immer noch gross: «Der Sachschaden ist Nebensache, aber die Tatsache, dass im selben Haus noch zwei Familien leben und sie durch den Anschlag ebenfalls gefährdet wurden, finden wir sehr schlimm», erklärt Erdal Kilic. Natürlich werde man seither von einer gewissen Angst begleitet, dass so etwas wieder passiere könnte. «Wir wollen uns aber nicht einschüchtern lassen. Unser Ziel ist es, die Renovationen bis Ende Woche abzuschliessen und bald zu eröffnen», sagt Erdal Kilic. Ausserdem wollen die Brüder mit dem Installieren von Kameras die Sicherheit erhöhen.

Besonders gerührt hat die Brüder die Anteilnahme einiger Nachbarn und Einwohner Nendelns: «Sie sind vorbeigekommen, um zu fragen, wie es uns geht und haben gesagt, wie leid es ihnen tut, was mit unserem Bistro passiert ist», so Erdal Kilic.

Keine konkreten Hinweise

Auf die Frage, ob es schon Hinweise zum Tathergang und zur Täterschaft gebe, zuckt Erdal Kilic nur mit den Schultern und schüttelt den Kopf: «Wir haben seit dem Anschlag von der Polizei nichts mehr gehört und auch keine weiteren Informationen erhalten.» Die Brüder vermuten, dass der Anschlag zwischen 5.15 und 6 Uhr verübt worden ist, denn um 4.20 Uhr sei ein Bekannter mit dem Hund vorbeigegangen, da sei alles noch ruhig gewesen. Und auch um fünf Uhr, als sein Bruder zur Arbeit gefahren sei, habe dieser nichts Verdächtiges festgestellt. Erst kurz vor 6 Uhr habe dann ein Bekannter den schwarzen Fleck und den Rauch gesehen und anschliessend die Polizei verständigt. «Wir können wirklich von Glück sprechen, dass niemand zu Schaden gekommen ist», sagt Erdal Kilic mit ernstem Blick.

Bei der Landespolizei ist auch nicht mehr zu erfahren: «Bislang gibt es keine konkreten Hinweise auf die Täterschaft», sagte Tina Enz gestern auf Anfrage. «Es werden zurzeit diverse Hinweise überprüft und die Ermittlungen der Landespolizei werden mit Nachdruck geführt», so die Mediensprecherin. Der Anschlag auf das Kebab-Bistro in Nendeln war bereits der dritte innert kurzer Zeit. Bereits Ende November gab es gleich zwei Anschläge mit Molotowcocktails in einer Nacht. Die an der Hausfassade verursachten Schäden sind bis heute noch zu sehen und erinnern die Betroffenen täglich an die Gewalttaten. «Wir wissen nicht, ob das Haus irgendwann renoviert wird», sagt der Mann einer betroffenen Familie. Auch ob es zwischenzeitlich Hinweise auf die Täterschaft gebe, wisse er nicht. «Die Polizei war damals für Befragungen und zum Fotografieren da, danach haben wir nichts mehr von ihnen gehört.» Auch beim zweiten Wohnhaus haben die Betroffenen keine näheren Informationen seitens der Polizei erhalten. «Der Familienvater hat mir erzählt, dass sich seither kein Mensch mehr blicken gelassen habe. Ausserdem hat er gesagt, dass seine Frau seit dem Anschlag immer Angst habe», so eine Bewohnerin des Hauses. «Die Familie hatte grosses Glück, dass die Rolläden unten waren – wahrscheinlich wäre sonst Schlimmeres passiert», ist die Nachbarin überzeugt.

Tina Enz relativiert die Vorwürfe: «Die Ermittlungen im Fall vom November sind noch nicht abgeschlossen und es laufen immer noch Abklärungen», so die Mediensprecherin. «Natürlich verstehen wir das Bedürfnis der Betroffenen nach Informationen. Aus ermittlungstaktischen Gründen können wir die Geschädigten jedoch über die Ermittlungsergebnisse nicht laufend informieren.» Dies entspreche nicht der kriminalpolizeilichen Praxis.

Der Besitzer eines der beiden betroffenen Wohnhäuser will die Rückstände, die es durch die Molotowcocktails gegeben hat, baldmöglichst beseitigen: «Natürlich muss das wieder in Ordnung gebracht werden», sagte er auf Anfrage. Die Renovation sei in Planung.

«Die Polizei kann nicht überall sein»

Ob es bei den drei Anschlägen in Nendeln einen Zusammenhang gibt und ein rechtsextremer Hintergedanke mitgespielt hat, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

«Ein Tatzusammenhang wird aufgrund des ähnlichen Tatvorgehens genau überprüft», so Tina Enz. Zum jetzigen Zeitpunkt könnten keine weiteren Angaben zu den Hintergründen zur Tat bekannt gegeben werden. Die Landespolizei schätze aber die Mithilfe der Bevölkerung und die Reaktionen auf die Aufrufe sehr, diese unterstützten die Ermittlungen massgeblich. Der Möglichkeit eines Tatzusammenhangs mit dem Vorfall in Triesen, wo ein Briefkasten gesprengt und danach ein abgeschnittener Schafskopf deponiert wurde, werde ebenfalls nachgegangen. «Bislang gibt es aber keine Erkenntnisse, die auf eine gemeinsame Täterschaft hindeuten», erklärt die Mediensprecherin weiter.

Kursierende Gerüchte, wonach es sich bei allen Anschlägen um Täter aus der rechten Szene handelt, will sie weder bestätigen noch dementieren: «Die Landespolizei kann bislang keinen Zusammenhang zwischen den Anschlägen und der rechten Szene bestätigen. Bei den Ermittlungen wird jedoch keine Möglichkeit ausgeschlossen », so die Mediensprecherin.

Erdal Kilic und seine Brüder sind davon überzeugt, dass ein rechtsextremer Hintergedanke mitspielte, denn in den Häusern wohnten ausschliesslich ausländische Familien. Ausserdem sei vor einigen Wochen ein türkischer Junge im Bus von einem Mann angegriffen worden, und schon etwas länger sei der Angriff im Kebab-Laden in Eschen her, als der Besitzer von vier Jugendlichen – angeblich ebenfalls Rechtsorientierte – geschlagen wurde.

Vorsteher verurteilt Anschläge

Vorsteher Gregor Ott, der sich die vergangene Woche persönlich ein Bild über den Brandanschlag in Nendeln gemacht hat, zeigt sich erschüttert über die Tat: «Ich schliesse mich der Meinung der Regierung an, dass solche Anschläge aufs Schärfste zu verurteilen sind», sagte er gestern. Dieser Meinung seien auch die Einwohner, wie er persönlich vernommen habe. Es gebe aber auch Befürchtungen, dass solche Gewaltakte zukünftig vermehrt vorkommen würden. «Deshalb rufe ich alle Einwohner auf, dass sie hin- statt wegsehen – denn nur gemeinsam können wir etwas dagegen unternehmen», so der Vorsteher. Massnahmen befänden sich in Ausarbeitung, dabei wolle man in erster Linie eng mit zuständigen Stellen des Landes und dem Gemeindepolizisten zusammenarbeiten. Ausserdem sei Rechtsradikalismus ein Dauerthema in der Jugendarbeit. Das heisse aber nicht, dass er hinter dem Anschlag Jugendliche vermutet. Im Gegenteil. Er glaube, dass kein 12- bis 18-Jähriger zu einer solcher Tat im Stande sei.

Die Landespolizei plant keine Massnahmen aufgrund der Anschläge: «Wir sind regelmässig mit Patrouillen im ganzen Land präsent, aber wir können nicht immer überall sein», sagt die Mediensprecherin. Darum sei die Polizei auch auf Meldungen und Hinweise über verdächtige Vorfälle und Ereignisse durch die Bevölkerung angewiesen.

Stimmen aus der Bevölkerung

• «Ich finde es sehr schlimm, dass es in Liechtenstein in der vergangenen Zeit vermehrt zu Anschlägen und Gewalttaten gekommen ist. Durch sie sieht man, dass die Welt auch in Liechtenstein nicht mehr nur heil ist, und dass es leider auch hier ausländerfeindliche Menschen gibt. Ob die Polizei genug unternehmen wird, damit so etwas nicht mehr passiert, wird sich herausstellen. Zurzeit laufen die Ermittlungen. Ich hoffe, dass sie die Täter finden und entsprechend verurteilen. Ich bin überzeugt, dass die Kriminalität in Zukunft zunehmen wird. Auch, dass es vermehrt zu Einbrüchen kommen wird. Diese führe ich auf die Grenzenöffnung zurück. Es wird immer schlimmer!»

• «Ich finde es schlimm, dass es solche Gewaltakte auch bei uns gibt. Es handelt sich dabei bestimmt um Rassendiskriminierung, denn von den Anschlägen waren in erster Linie ausländische Familien betroffen. Es macht mich traurig, dass die schwarzen Rückstände der Molotowcocktails bis heute noch zu sehen sind, und die Betroffenen dadurch täglich an die Anschläge erinnert werden. Ich finde, die Polizei könnte mehr unternehmen, zum Beispiel Zivilpolizisten platzieren und mehr Streife fahren. Ich habe nach den Anschlägen der vergangenen Monate grössere Angst und glaube, dass die Gewalttaten in Zukunft zunehmen werden.»

• «Es ist verwerflich. Jeder sollte jeden respektieren – ungeachtet seiner Herkunft!»

• «Ich vermute einen rechtsradikalen Hintergrund. Ich weiss nicht, was die Polizei dagegen unternehmen wird, aber es muss etwas geschehen, denn in letzter Zeit gab es zu viele Vorfälle. Ich dachte nie daran, dass es in Nendeln zu Anschlägen kommen wird und ich bin erschüttert darüber. Ich habe Angst, dass die Gewalt unter der Bevölkerung – egal, welcher Abstammung sie sind – zunehmen wird. Es ist ein ungutes Gefühl, das man hat, auch, dass es vielleicht nicht mehr nur bei Molotowcocktails bleibt und Personen ernsthaft zu Schaden kommen. Man spürt, dass es den Nendlern leid tut, was da geschehen ist – viele fühlen mit den betroffenen Familien mit.»

• «Ich finde es eine Schweinerei, was in Liechtenstein die vergangenen Monate geschehen ist. Ich vermute hinter den Anschlägen ausländerfeindliche Jugendliche. Ich komme aus dem Kanton Uri und wir haben auch Probleme mit jugendlichen Gewalttätern. Aber was kann man gegen sie tun? Das ist eine schwierige Frage. Als älterer Mensch ist die Angst gross. Ich verlasse mein Haus abends nach sechs Uhr nicht mehr – aus Angst, überfallen zu werden.»

• «Obwohl ich in Nendeln wohne, habe ich keine Angst vor weiteren Anschlägen und Gewalttaten. Ich denke, dass es in jeder Ortschaft zu solchen Vorfällen kommen kann. Komisch finde ich, dass der Anschlag vor der Eröffnung passiert ist. Es kommt mir so vor, als wollten diejenigen, die den Anschlag verübt haben, nicht, dass das Kebab- Bistro eröffnet. Ich finde die Landespolizei kann nicht viel machen, ausser die Leute suchen, die die Anschläge verübt haben.»