«Im Stadion spürst du den Hass»

Tel Aviv

Gad Salner und Vadim Tarasov kennen sich ein wenig im Schweizer Fussball aus. Während sie die Kellnerin dazu bringen, im vollen Café doch noch einen freien Tisch zu finden, erkundigen sie sich, ob Munas Dabbur, der Israeli, den Grasshoppers im Abstiegskampf helfen könne. Ob Basel wieder Meister werde? Und ob die Young Boys ihre Titelambitionen wieder viel zu früh begraben mussten? Alles wird bejaht. Die beiden lächeln zufrieden und bestellen einen Kaffee. Der Fussball – das ist ihr Leben. Lange galten sie als normale Fans mit ausgeprägtem Fachwissen. Mittlerweile aber sind Salner und Tarasov mit ihren Bildern Botschafter des israelischen Fussballs.

Vor einiger Zeit verliessen die beiden Freunde Tel Aviv, um die Fussballkultur in ihrem Land zu entdecken – und fotografisch festzuhalten. Daraus wurde «Kaduregel Shefel», ein Fotoprojekt, das übersetzt «niederer Fussball» heisst, und schon in diversen europäischen Metropolen ausgestellt wurde. Salner und Tarasov besuchten Amateurspiele an den abgelegensten Orten, wollten spüren, was der Sport in Israel bewirkt. In diesem Land, in dem die ethnische Vielfalt so gross ist wie die Differenzen zwischen den Juden und den Arabern. In diesem Land, in dem seit der Staatsgründung 1948 ein friedliches Zusammenleben nicht möglich ist.

«Unser Projekt ist kein politisches», sagt Tarasov dezidiert. Dennoch weiss auch er, dass ausserhalb Israels vor allem die politischen Botschaften wahrgenommen werden. Auf ihren Bildern zeigen Salner und Tarasov unter anderem, wie gross die verbindende Kraft des Fussballs im Land ist. Juden und Araber spielen im selben Team. Arabische Fans feuern jüdische Fussballer an. Und umgekehrt. «Wenn die Leute das hören, sind sie überrascht», erzählt Salner. «Sie denken, dass selbst die Fussballligen gespalten sind.» Dabei sei die friedliche Koexistenz zwischen Juden und Arabern auf dem Rasen vor allem eines: völlig normal. Auch in der Ligat ha’Al, der Super League Israels.

Nur an einem Ort werden die Bedenken bestätigt, dass sich der Konflikt auch im Fussball niederschlägt: in Jerusalem. Beitar heisst der Club, beheimatet im Teddy-Kollek-Stadion. Benannt ist es nach einem ehemaligen Bürgermeister, der sich einst für ein friedliches Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen starkmachte. Ausgerechnet in diesem Stadion aber treffen sich die rassistischsten Fans Israels. «Nicht alle Beitar-Anhänger sind extrem», schiebt Vadim Tarasov dazwischen. «Aber die Extremen sind nun mal die lautesten.»

Captain mit Steinen beworfen

«La Familia» nennt sich die Ultra-Gruppe. Ihre Anhänger: frustrierte junge Männer. Ihre Ausrichtung: rechtsextrem. Sie singen «Mohammed ist tot» oder präsentieren Transparente mit Botschaften wie «Tod den Arabern». Stolz sind die Beitar-Anhänger vor allem darauf, dass der Club als einziger im Land noch nie einen arabisch-muslimischen Spieler unter Vertrag hatte. «Beitar – für immer rein» stand 2013 auf einem Plakat in der Kurve.

Als der Club aus Jerusalem einmal zwei muslimische Tschetschenen verpflichtete, steckte «La Familia» das Vereinsgebäude in Brand. Als der Mannschaftscaptain die Ultras beruhigen wollte, wurde er mit Steinen beworfen. Und als einer der Tschetschenen sein erstes Tor erzielte, verliessen sie das Stadion. Solche Episoden gibt es zuhauf. «Im Stadion spürst du den Hass», sagt Vadim Tarasov.

Am schlimmsten ist es, wenn Beitar auf Sachnin trifft, das einzige arabische Team in Israels erster Liga. Um den Rassismus zu bekämpfen, einigten sich die beiden Teams jüngst darauf, keine Auswärtsfans mehr zuzulassen. Für das Gebaren der Ultras wird Beitar vom israelischen Fussballverband laufend gebüsst. Alleine jedes Mal dann, wenn die Anhänger beim Einlaufen ihrer Mannschaft singen, dass hier das rassistischste Team des Landes komme. Beitar distanziert sich zwar von der Ideologie seiner Ultras, dem Machtkampf mit «La Familia» fielen allerdings schon einige Funktionäre zum Opfer. Man sagt, sie habe den Verein längst erobert.

Vor kurzem kommunizierte Beitar, dass die Mannschaft geschlossen das Spielfeld verlassen werde, wenn «La Familia» das Einlauflied noch einmal anstimme. Die Ultras reagierten und sangen fortan von der «zionistischsten» Mannschaft des Landes. Alle Beitar-Spiele wurden seither zu Ende gespielt.

Vorwurf an westliche Medien

«Der Fussball ist ein Spiegel der Gesellschaft», sagt Gad Salner. Man könne nicht bestreiten, dass es in Israel eine rechtsextreme Szene gebe. «Der Fussball kann dieses Problem allerdings nicht alleine lösen.» Salner findet, dass er lediglich ein Vorbild für ein friedliches Zusammenleben sein könne. «Es stimmt mich positiv, dass wir dieses Rassismus-Problem immerhin nur in einem Club des Landes haben.» Von westlichen Medien würde dieses aber gerne zugespitzt. Er betont: «Auch die grossen Ligen Europas kämpfen gegen Rassismus.»

Salner nimmt den letzten Schluck seines Kaffees und sagt dann, dass in Israel vieles besser wäre, wenn die gesamte Bevölkerung einen solch respektvollen Umgang wie im Fussball pflegen würde. Dann verabschieden sich Salner und Tarasov, um am Nachmittag noch einem Fussballspiel beizuwohnen. Auf dem Matchblatt beider Mannschaften werden Juden und Araber stehen.

Bilder Das Fotoprojekt von Gad Salner und Vadim Tarasov

israelfotos.tagesanzeiger.ch