Schlachtjubiläen sind nicht sinnvoll

NZZ am Sonntag 02.09.2012

Statt einzelner Ereignisse zu gedenken, soll man über Entwicklungsströme nachdenken

Markus Notter

Die Schweiz kennt eine Reihe von schönen Schlachtfeiern: Morgarten, Sempach, Näfels. Ich weiss ehrlich gesagt auf Anhieb nicht genau, wann wir gewonnen haben. (Bei Morgarten kann man es sich noch merken. «Viertel nach eins» heisst die Eselsbrücke.) Aber dass wir gewonnen haben, steht fest. Und immer gegen die Habsburger.

Obwohl wir uns Jahrhunderte später darüber freuen, waren Schlachtfeiern immer äusserst ernste Angelegenheiten. Da durfte der Marsch auf das Schlachtfeld unter Beteiligung regionaler und eidgenössischer Prominenz nicht fehlen. Und tiefsinnige Reden auch nicht. In jüngerer Zeit haben sich rechtsextreme Kräfte störend bemerkbar gemacht, und es kam auch schon zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten. Deshalb gibt es jetzt in Sempach ein fröhliches und familienfreundliches Mittelalterfest. Die Feier der letzten Jahrzehnte sei geprägt gewesen durch die Bedrohung von aussen. Die neue Feier stehe dagegen im Zeichen der Begegnung, begründete der Luzerner Landammann letztes Jahr die Neuerung. Vielleicht werden spätere Historiker das Jahr 2011 aufgrund der neuen Art der Sempachfeier als Ende der Bedrohung der Schweiz von aussen festmachen können – und als Beginn des Zeitalters der Begegnung?

In diesem Jahr haben wir eine neue Schlachtfeier erlebt. Die Initiative ging diesmal nicht auf patriotische Kreise zurück. Die Anregung kam vom damaligen grün-alternativen Nationalrat und Pazifisten Josef Lang. Der Zweite Villmergerkrieg von 1712 solle als Warnung vor religiösen Konflikten in Erinnerung gehalten werden. Der Bundesrat verwies auf die Schlachtfeierhoheit der Kantone und wollte sich des Anliegens nicht annehmen. Da wurden die Aargauer aktiv. Schliesslich liegt Villmergen im Kanton Aargau. Den gab es zwar 1712 noch nicht, aber der Friedensschluss wurde in der Stadt Aarau besiegelt. Und die gab es damals schon, wenn auch unter bernischer Herrschaft.

Im Mittelpunkt der Feier stand nicht die Schlacht, sondern der Friedensschluss. Bundesrätin Doris Leuthard sprach vom Frieden von Aarau als Grundstein für eine Kultur des Dialogs. «Villmergen darf nie umsonst gewesen sein», lautete ihre Schlussfolgerung. Und der Politologe Wolf Linder ermahnte die politischen Parteien. Sie sollten sich daran erinnern, wie gefährlich es sei, soziale Konflikte des Zusammenlebens als Religionskonflikt zu konstruieren. Das hätten schon die alten Eidgenossen erfahren. Heute bereite das multikulturelle Zusammenleben im Einwanderungsland Schweiz einem Grossteil der Bevölkerung mehr Schwierigkeiten als Spass. Die Einwanderung und ihre Folgeprobleme auf einen Religionskonflikt zuzuspitzen, sei ein Spiel mit dem Feuer, das die darunterliegenden Wirtschafts- und Sozialkonflikte nicht löse, aber das kostbare Gut des Religionsfriedens gefährde.

Das ist sicher alles richtig. Und es ist wichtig, dass wir uns der Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des friedlichen Zusammenlebens vergewissern. Aber braucht es dazu wirklich Schlachtfeiern? Verhindert dieser starre Blick auf ein Einzelereignis nicht das Verständnis für die historischen Zusammenhänge? Kann man aus dem Frieden von Aarau wirklich Erkenntnisse für eine vernünftige Migrations- und Integrationspolitik von heute gewinnen? Ich habe meine Zweifel.

Müsste man Gedenktage nicht besser Entwicklungsströmen widmen? Eben zum Beispiel dem Umgang mit Konflikten. Dann wäre von vielen Ereignissen unserer Geschichte zu reden, die damit zu tun haben, von Gelingen und Scheitern. Es wäre etwa der Frage nachzugehen, weshalb sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die alten, konfessionellen Konfliktlinien einebnen liessen. Und weshalb die neue Konfliktlinie zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum im Generalstreik eskalierte. Ein Konfliktbewältigungs-Gedenktag könnte wohl bessere Dienste leisten als alle Schlachtfeiern zusammen.

Markus Notter war bis 2011 Regierungsrat im Kanton Zürich und leitete die Direktion für Justiz und Inneres.

Jetzt gibt es in Sempach ein fröhliches und familienfreundliches Mittelalterfest.