Überfall im Backstage

Von Dinu Gautier

Affäre «Elvis et moi»-Ein Überfall auf eine Bar in Freiburg, eine Band, die rückwärtsgewandten Ideologien huldigt, Hausdurchsuchungen in Berns «linksextremem Milieu»: Suche nach Motiven bei Antifaschisten, einer Gartenzwergliebhaberin und an einer polizeilichen Waffenausstellung.

 

Die JournalistInnen scharen sich um einen Tisch im Hauptgebäude der Freiburger Kantonspolizei. Da liegen eine Pistole, Schlagringe, Feuerwerk, ein Halstuch, Messer, eine Gasmaske und noch einiges mehr. Den anwesenden Polizeikadern ist der Stolz anzumerken. Sie strahlen, als hätten sie gerade eine Untergrundarmee entwaffnet. Es ist Mittwoch, der 18. Februar. Tags zuvor hat die Freiburger Polizei in Bern, genauer «im linksextremen Milieu», acht Hausdurchsuchungen durchgeführt und sieben Personen festgenommen. Den 22-jährigen Alexander (Name geändert) hat sie in Untersuchungshaft genommen, die anderen sechs nach Verhören wieder freigelassen. Was war passiert?

Vier Monate zuvor, am 11. Oktober 2008, sollte in der Freiburger Bar «Elvis et moi» die italienische Darkwave-Band Camerata Mediolanense auftreten. Organisiert hatte den Anlass der des Rechtsextremismus bezichtigte Konzertveranstalter «Soleil Noir» (vgl. Text unten). Doch das Konzert sollte nie stattfinden.

Flucht in die Toilette

Valentine Jaquier, die Besitzerin der Bar «Elvis et moi» erinnert sich gut an jenen Samstagabend: «Die Musiker und der DJ assen gerade Raclette, als plötzlich das Fenster der Türe barst», erzählt sie. «Wie Wilde kamen sie hin eingerannt, zehn bis fünfzehn schwarz Vermummte. Sie schrien und begannen alles kaputt zu schlagen, die Instrumente, die Dekoration, einfach alles.» Die Bandmitglieder seien in die Toilettenräume geflohen. Man habe sie als «Faschistin» beschimpft und am Schluss sogar noch eine Tränengaspetarde ins Lokal geworfen. «Ich habe nicht verstanden, was sie wollten. Ich bin das Gegenteil einer Faschistin», so die 34-Jährige. Mit den Blumen in ihren blonden Zöpfen und den Tattoos an den Schultern passt sie bestens ins Dekor der Bar. In einer Ecke steht ein fast lebensgrosses Plastikzebra, und von der Decke hängen Plastikskelette und -blumen. Jaquier wird auch Schneewittchen genannt – wegen ihres Auftretens, vor allem aber wegen ihrer Begeisterung für die grossen und kleinen Gartenzwerge, die den Bartresen bevölkern.

Lars Kophal, den Präsidenten von Soleil Noir, kenne sie aus ihrer Zeit als Kulturjournalistin bei «24heures», wo sie mit ihm zusammengearbeitet habe. «Er ist ein sympathischer Typ, und die Band, die hätte spielen sollen, macht schlicht und einfach schöne Musik. Ich kann nicht glauben dass die rechtsextrem ist.» Ob sie denn nicht gewarnt worden sei? «Nein, nie.» Jaquier glaubt, die Angreifer seien «einfach krank und von reinem Hass getrieben».

Die WOZ trifft Phillip (Name geändert), einen jungen Mann aus der antifaschistischen Szene in Bern, der den Überfall auf die Bar rechtfertigt, aber betont, er habe selber nicht daran teilgenommen. Wenn er über Soleil Noir und Valentine Jaquier spricht, wirkt er eher distanziert denn hasserfüllt.

«Wir wissen, dass Jaquier selber keine Rechtsextreme ist», sagt er. «Aber sie veranstaltet solche Konzerte nicht zum ersten Mal. Sie ist nicht dumm und kennt sich in der Darkwave-Szene aus, weiss, mit wem sie es zu tun hat – und sie wurde in der Vergangenheit im Vorfeld eines früheren, ähnlichen Konzertes in ihrer Bar gewarnt. Das Konzert hat damals trotzdem stattgefunden.»

Und das rechtfertigt einen solchen kommandoartigen Überfall? «In der Vergangenheit wurden immer wieder Besitzer von Konzerträumen angeschrieben mit der Bitte, ihre rechtsextremen Gäste wieder auszuladen. Es wurden Warnungen verschickt, die Presse informiert und so weiter.» Aber man habe feststellen müssen, dass in der Mehrzahl der Fälle der Effekt gleich null sei, dass die Konzerte trotzdem stattgefunden hätten. Hier habe es sich deshalb auch um eine «Machtdemonstra tion» gehandelt. Dabei seien bewusst keine Leute angegriffen worden – «Sachbeschädigung hingegen ist legitim». Denn die Musik, Konzerte seien zentral für die Rekrutierung in der Neonaziszene. Und Soleil Noir versuche gar, eine ganze Subkultur zu unterwandern. «Wenn wir ‹wehret den Anfängen› sagen, dann müssen wir auch dort ansetzen», sagt der Mann mit dem schwarzen Kapuzenpulli.

Darauf angesprochen, dass die Besitzerin nach dem Überfall psychologische Behandlung benötigte und einen Gross teil des Sachschadens (Jaquier spricht von 30 000 Franken) selber berappen musste, ist Phillip dann doch etwas Kritik zu entlocken: «Man hätte Jaquier nochmals explizit warnen können. Und möglicherweise hätte es auch gereicht, nur die Instrumente zu zerstören.» Nichtsdestotrotz sei die Aktion ein Erfolg gewesen, habe sich doch Soleil Noir in der Folge aufgelöst.

Heterogene Antifa-Szene

In der Regel ist Berns antifaschis tische Szene meist eher indirekt aktiv. Sogenannte Recherche-Antifas wie die Gruppe Antifa Bern arbeiten ähnlich wie ein Nachrichtendienst. Sie verfolgen den Werdegang von Personen in der rechten Szene oder versuchen mit Tricks an vertrauliche Informationen über anstehende Konzerte und Mobilisierungen zu gelangen, um die Presse und mitunter gar die Polizei darüber zu informieren. Das etwa in Deutschland übliche Denunzieren von Einzelpersonen im Internet und bei ArbeitgeberInnen praktizieren sie nur zurückhaltend – häufig sei es nämlich nicht sinnvoll, wenn ein «Fascho» die Arbeitsstelle verliere und somit mehr Zeit für politische Aktivitäten habe, ist zu hören.

Dann gibt es Gruppen, die eher mobilisieren und Aktionen und Demonstrationen organisieren und auch gerne martialisch gekleidet auftreten.

Schliesslich gibt es Bündnisse verschiedener antifaschistischer Gruppen aus der Region, die grössere Veranstaltungen organisieren, wie etwa den Antifaschistischen Abendspaziergang, der seit dem Jahr 2000 praktisch jeden Frühling stattfindet, in seinen besten Zeiten bis zu 5000 Menschen zu mobilisieren vermochte und in Bern alljährlich zum sicherheitspolitischen Thema wird. Oder es werden mehrwöchige Sensibilisierungskampagnen veranstaltet, mit Konzerten, Vorträgen und Filmvorführungen.

An solchen Aktivitäten hat sich auch eine kleinere Gruppe beteiligt, die nun ins Visier der Freiburger Polizei geraten ist. Ihr hat die Mehrzahl der Hausdurchsuchungen und der Festnahmen gegolten.

Am Abend des «Elvis et moi»-Überfalls hatte die Polizei beim Bahnhof Freiburg nämlich Skimasken und Schlagstöcke gefunden und diese nach DNA-Spuren untersucht. In der DNA-Datenbank erzielten sie einen Treffer. Der nicht vorbestrafte Alexander war noch als Minderjähriger in eine Schlägerei verwickelt gewesen, weswegen er eine DNA-Probe hatte abgeben müssen. Alexander wurde freigesprochen, sein DNA-Profil ist aber in der Datenbank geblieben.

«Die Polizei muss Alexander observiert haben und einfach jene Personen verhaftet haben, die er an den allwöchentlichen Sitzungen der Gruppe getroffen hat», sagt Nicolas (Name geändert). Auch Nicolas wurde verhaftet, obwohl er über ein «gutes Alibi» verfüge: «Zu jener Zeit ging ich wegen einer Kreuzbandoperation an Krücken.» In der Gruppe sei «Elvis et moi» kein Thema gewesen und er wisse von weiteren Verhafteten mit Alibi: «Einer war zum Beispiel zu jener Zeit in Istanbul.» Nun habe die Polizei die Protokolle der Gruppe beschlagnahmt. Deren Inhalte seien zwar «strafrechtlich kaum relevant, vielleicht interessiert sich aber der Staatsschutz dafür».

Gings nur um DNA-Treffer?

Es fragt sich überhaupt, was die Polizei mit ihrer Strategie genau bezweckt. Einerseits sagt der Untersuchungsrichter, er gehe in erster Linie nicht von einer politisch motivierten Tat, sondern von einem Racheakt persönlicher Natur aus: Vor drei Jahren wurde ein Berner Antifaschist wegen Körperverletzung gegenüber einem Mitglied von Soleil Noir angezeigt und später verurteilt. Andererseits spricht die Polizei an derselben Pressekonferenz, mit Verweis auf das beschlagnahmte «Waffenarsenal», immer vom «linksextremen Milieu» und suggeriert, die Waffen könnten bei Demonstrationen gegen die Polizei eingesetzt werden.

Die «Pistole» auf dem Tisch bei der Pressekonferenz stellt sich auf Nachfrage als Air-Soft-Gun heraus, die Gasmaske als Militärgasmaske, die Pfeffersprays als legal erhältlich und die Feuerwerkskörper als herkömmliche Billigstprodukte von einem Kaliber, das man auch Kindern anvertrauen würde. Eine Guerilla hat die Polizei also nicht zerschlagen – es scheint derzeit eher so, als habe sie auf gut Glück gehandelt, darauf spekuliert, durch die den Verhafteten abgenommenen DNA-Proben weitere Treffer zu landen. Bisher hat sie aber keine solchen mitgeteilt.

Nach einer Woche in Untersuchungshaft wurde Alexander wieder entlassen. Zuvor führte die Polizei weitere Hausdurchsuchungen durch, die sie nicht kommentieren will. Immerhin musste sie eingestehen, dass sie aus Versehen auch das Büro einer Menschenrechtsgruppe durchsucht hatte.

Valentine Jaquier vertraut den Behörden dennoch: «Ich werde den Tätern im Gerichtssaal begegnen und erwarte, dass sie mir in die Augen schauen, sich entschuldigen und mir meinen Schaden begleichen.»

Ist die Schwarze Sonne rechtsextrem?

Der Präsident des Konzertveranstalters Soleil Noir, Lars Kophal, behauptet, seine Vereinigung sei «apolitisch» und ausschliesslich kulturell interessiert. Sie distanziere sich von jeder Ideologie, sei sie «vergangen, aktuell oder zukünftig».

Eine Behauptung, die sich leicht widerlegen lässt, nur schon wenn man die Selbstdarstellung auf der inzwischen gelöschten Homepage las: «Wir kotzen auf die wurzellose Modernität, den geistlosen Materialismus und den zerstörerischen Ultraliberalismus, die Arbeiterausbeutung durch das internationale Finanzkapital, die planetweite Globalisierungsvereinheitlichung, die grosse seichte Suppe des Multikulturalismus, die Amerikanisierung wie auch die Dritt-Weltisierung.» Das ist zwar keine tagespolitische, jedoch eine gesellschaftspolitische Einordnung. Soleil Noir lehnt sich damit an das Gedankengut der rassistisch inspirierten Nouvelle Droite an. Das pessimistische und europazentrierte Kulturverständnis wird politisch verstärkt durch lobende Erwähnungen des faschistischen Ideologen Julius Evola. Das allein belegt aber noch nicht, dass bei Soleil-Noir-Veranstaltungen rechtsextreme politische Inhalte verbreitet werden.

Eine unpolitische Haltung beansprucht auch die italienische Band Camerata Mediolanense für sich, die in Fribourg hätte auftreten sollen (vgl. Text oben). In der Kritik steht die Band nicht wegen ihrer Musik, sondern wegen ihrer Auftritte bei rechtsextremen Veranstaltungen beziehungsweise wegen ihrer sympathisierenden Interviews in Neonaziblättern, beispielsweise im Blatt der inzwischen verbotenen deutschen Sektion von Blood and Honour. Nach 2002 lassen sich solche Auftritte und Interviews allerdings nicht mehr nachweisen (seit 2003 aktualisiert die Gruppe auch ihre Homepage nicht mehr). In der Schweiz ist die Camerata Mediolanense im Juli 2001 an einem grösseren Konzert im Waadtländer Schloss La Sarraz aufgetreten, wo an Büchertischen Schriften an der Schnittstelle zwischen rassistisch inspirierter Nouvelle Droite und Rechtsextremismus angeboten wurden. Selbst dem La-Sarraz-Veranstalter Yann Courtiau war es nach dem Konzert nicht mehr geheuer, in einem Mail an Mitbeteiligte schrieb er: «Wenn die Gruppen in ihrer Kunst zweideutig sind, dann bleibt das Kunst, wenn sich aber das Publikum uniform kleidet, so verliert die Kunst ihre Funktion zugunsten der Propaganda.» Er kritisierte damit jene vielen KonzertbesucherInnen, deren Kleidung faschistische oder nazistische Vorbilder imitierten. Er umschrieb aber auch das gesellschaftspolitische Spannungsfeld, in dem sich die rechte Minderheit der Gothic/Dark-Wave-Szene bewegt. Und zu dieser Minderheit in der Szene gehört auch Soleil Noir.

Dieser Teil der Szene nimmt ästhetisierend Symbole und Ausdrucksformen aus dem grossen Fundus rückwärtsgewandter Ideologien (Konservative Revolution, Italienischer Faschismus, Rumänische Eiserne Garde) auf und behauptet, durch die Ästhetisierung ironisiere sie die gesellschaftspolitische Botschaft. Dies tut auch die Camerata Mediolanense. Mit den ungehobelten Tiraden und der Knüppeltaktmusik der Naziskinszene allerdings hat dies alles nichts zu tun. Hans Stutz