Macher & Medien

SonntagsBlick

Aufklären statt totschweigen

Wie die Medien nach den Rechten schauen

Dürfen Neonazis auf die Titelseiten, vor Kameras und Mikrofone? «PolitischenExtremismus kann man nicht totschweigen», sagen Experten. Allerdings ist nichtalles erlaubt.

Von Susanne Mühlemann

Christoph Blocher fände es am besten, man würde die Neonazis gar nichtbeachten, zumindest so lange sie nicht straffällig werden. Ignorieren, sein lassen,dann hören sie von selber auf, so sagte Blocher diese Woche in Interviews.

Für den Kenner und Kritiker der extremen Rechten, Jürg Frischknecht, ist das falsch.Die Bewegung einfach totzuschweigen sei keine Lösung. «Bloss nicht», sagtFrischknecht. Aus Angst vor Wiederholungstätern fand man diese Haltung nachFriedhofschändungen oder anderen antisemitischen Attacken früher zum Teil injüdischen Kreisen. Die Einstellung ist überholt. «Um sich auseinander zu setzen,braucht es Anschauungsmaterial», sagt Frischknecht.

Davon gibt es seit dem Rütli-Aufmarsch der Skinheads am 1. August reichlich. Im«Talk täglich» mit Roger Schawinski präsentiert sich der geistige Vater derRechtsextremen, Roger Wüthrich, als Wolf im Schafspelz. Die «SonnntagsZeitung»gibt ihm auf der Frontseite Gelegenheit, einen abstrusen politischen Vorstoss zulancieren. BLICK wie SonntagsBlick entlarven Neonazi-Führer und berichten grossüber sie. Die «Rundschau» interviewt den Rädelsführer Pascal Lobsiger eins zueins.

Fragwürdig? Bilder und Medienauftritte von Rechtsextremen seien immerproblematisch, meint auch Experte Frischknecht: «Sie können identitätsstiftend fürdie Szene wirken, das ist nicht zu leugnen.» So ist er zum Beispiel sicher, dass «inmancher Skin-Bude die BLICK-Titel mit den Grossaufnahmen vom Rütli-Aufmarschhängen».

Die Gefahr des Pin-up-Effekts besteht laut Frischknecht bei allen Fotos, die gross inden Medien erscheinen, etwa mit dem Untertitel «solche Bilder wollen wir nie mehrsehen». Nicht, dass er für die Politik des «Tages-Anzeigers» – «zuerst das Themaverschlafen und dann die anderen belehren» – viel übrig hätte. Er findet es sogarwichtig, dass ein Rädelsführer wie Lobsiger auch zu Wort kommt: «Man soll ihninterviewen, es wird viel zu wenig mit Skins geredet!»

Dabei zähle allerdings die strikte journalistische Machart der Berichterstattung mehrals sonst: «Nicht nur schwatzen lassen, Mikrofon hinhalten und Seiten füllen,sondern gut vorbereitet Paroli bieten», sagt Frischknecht, selber Journalist undBuchautor.

Klassisches Negativbeispiel für Frischknecht ist der Medienrummel um denRechtsextremen Marcel Strebel. Mit Auftritten im «Ziischtigs Club» und aufunzähligen Zeitungsseiten habe man Strebel definitiv zu viel Aufmerksamkeit undunnötiges Gewicht gegeben, urteilt Frischknecht: «Ohne seine enormeMedienpräsenz wäre er in der Öffentlichkeit, vor allem aber in der Szene längstabgeschrieben gewesen.»

Der Fribourger Medienethiker Matthias Loretan sieht das Hauptproblem derBerichterstattung über den Rechtsextremismus darin, dass er nur «ereignisbezogenanfällt». Damit würden extreme Aktionen ja geradezu belohnt. Laut Loretan solltendie Medien kontinuierlicher schreiben und nicht nur, wenn etwas passiert:«Schliesslich müssten die Journalisten den Zeitpunkt für Reportagen bestimmenund nicht die andere Seite», so Loretan.

Man könne den Anfängen gar nicht früh genug wehren, sagt BLICK-ChefredaktorJürg Lehmann. Die These, dass die Neonazis verschwinden, wenn man sie nichtmehr beachtet, findet Lehmann naiv. Da fehle nur noch, dass behauptet wird, dieMedien hätten schuld an der Bewegung. «Wem kommt denn überhaupt das Rechtund die Kompetenz zu, die Grenzen der Berichterstattung zu definieren?», so derBLICK-Chef. Die Verantwortung trage er als Chefredaktor und seine Redaktion. Undda gebe es sehr wohl Grenzen. Ein BLICK-Interview mit Pascal Lobsiger etwa würdeLehmann nicht machen.

Medienethiker Loretan findet vor allem Live-Auftritte am Fernsehen problematisch,weil sie schlecht kontrollierbar sind und leicht zum Happening verkommen: «Da wirdLeuten, die sich nicht an die Spielregeln halten, ein hoch empfindliches Terraingeöffnet.»

Lobsigers Film-Auftritte in der «Rundschau» wurden strikt journalistischabgehandelt. Das Thema sorgte trotzdem «Rundschau»-intern für Diskussionen.«Selbstverständlich haben wir diskutiert, Gespräche mit politischen Extremisten sindimmer eine Gratwanderung», sagt der verantwortliche Rundschau-RedaktorHansjürg Zumstein. Eben darum habe man journalistische Distanz gewahrt, dieProblematik in Hintergrundberichte eingebettet und Fakten aufgezeigt.

Die Gefahr, dass die Neonazis gezielt mit den Medien spielen, ist für Zumstein nichtsehr gross. Die feindselige Haltung gegenüber Journalisten macht dieBerichterstattung zur Knacknuss. Zumstein: «Es schwierig, die meisten beantwortenkeine Fragen.» So verpflichten sich etwa die Hammerskin gemäss Statuten, keineÄusserung gegenüber Journalisten zu machen.

Intime Kenner der Szene sehen da allerdings eine Wende. Mit dem Aufstieg einerneuen Generation und von Figuren wie Lobsiger beobachten sie eine«Politisierung» der Bewegung. «Der Feind der Neonazis ist die Demokratie, und dasgibt eine neue Dimension», sagt der Filmemacher Daniel Schweizer (siehe Box).Und mit politischen Ansprüchen ist Medienscheu nicht vereinbar.


Im Innersten der Skin-Welt

Das Thema Neonazismus in Szene zu setzen ist heikel. So ist zum Beispiel derHollywood-Streifen «American History X» nicht nur ein Anti-Neonazi-Werk. Mit seinenästhetischen und extremen Gewaltdarstellungen ist «American History» auch zumKultfilm der rechtsextremen Szene geworden.

Dem Phänomen auf die Pelle gerückt ist der Genfer Filmemacher Daniel Schweizer.Für seine Dokumentation «Skin or die» hat sich Schweizer eineinhalb Jahre in derSzene bewegt und gefilmt. Den Wert seiner Reportage sehen Filmkritiker in derdrastischen Darstellung des real existierenden Rechtsextremismus – denSchwachpunkt darin, dass er die Skins mit der Kamera spielen liess.

Als sein Film vor zwei Jahren erschien, wurde ihm vorgeworfen, er übertreibe, dieKritik kam nicht zuletzt aus Polizeikreisen. Der Filmemacher ist drangeblieben. Erarbeitet derzeit an einer Dokumentation über die Geschichte der europaweitenSkinhead-Bewegung.