Mit Schusswaffen gegen den Staat

Tages-Anzeiger.

In Österreich sind radikale Führer eines Fantasie-Gerichtshofs festgenommen worden. Dieser hatte seinen Sitz im Thurgau – auf dem Anwesen des Unternehmers Daniel Model.


Es ist eine der grössten Polizeiaktionen der letzten Zeit in Österreich: An die 300 Beamte durchsuchten Anfang Oktober in vier Bundesländern 19 Wohnungen und Häuser, beschlagnahmten Schuss- und Schlagwaffen sowie Pläne zum Bombenbauen. Sechs Personen wurden verhaftet.

Diesen Donnerstag fanden ebenfalls Razzien statt, weitere zwei Personen wurden in Untersuchungshaft gesetzt. Den Verhafteten wird die führende Mitgliedschaft in einer staatsfeindlichen Verbindung vorgeworfen, was mit Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren bedroht ist.

Recherchen von Redaktion Tamedia haben ergeben, dass zumindest vier der Verhafteten enge Verbindungen in die Schweiz haben. Sie haben Funktionen als Präsidenten oder Vizepräsidenten von Vereinen sogenannter Staatsverweigerer, die auf dem Anwesen des Thurgauer Unternehmers Daniel Model registriert sind. Model antwortet Redaktion Tamedia, dass er nichts von den Verhaftungen wisse. Zwei der betroffenen Personen seien ihm von früher bekannt.

Entwaffnung in Deutschland

Die Staatsverweigerer, die in Deutschland und in der Schweiz auch als «Reichsbürger» auftreten, erkennen weder staatliche Strukturen noch Justiz oder Gesetze an. Ihre Weltsicht hat viele Gemeinsamkeiten mit rechtsextremen Ideologien, aber auch mit russischen Sekten. Stark ist die Bewegung besonders in Deutschland, wo seit dem Mord an einem Polizisten vor zwei Jahren ein Programm zur Entwaffnung der Reichsbürger läuft. Mit mässigem Erfolg, wie die «Süddeutsche Zeitung» vor ein paar Tagen schrieb. Dabei traue das deutsche Bundeskriminalamt den Reichsbürgern «äusserste Gewalt bis hin zu terroristischen Aktionen zu».

In Österreich und der Schweiz versuchen Staatsverweigerer vor allem, die Arbeit von Justiz und Behörden durch Störaktionen zu behindern. Die Funde von Waffen und Bomben-Bauplänen bei den Razzien der vergangenen Tage zeigen jedoch, dass möglicherweise gewalttätige Aktionen geplant waren.

Besonders eifrig sind die Staatsverweigerer bei der Gründung eigener Gerichtshöfe, die ausserhalb ihrer Gemeinschaft von niemandem anerkannt werden. Eines dieser Pseudogerichte ist der International Common Law Court of Justice Vienna (ICCJV), der 2016 aus Österreich auf den sogenannten Modelhof im Thurgau übersiedelte.

Dem Gründer und Besitzer des Hofes, Daniel Model, ist die Weltsicht der Staatsverweigerer nicht fremd. Der Unternehmer gründete selbst einen «Staat» namens Avalon, als Alternative zu den Nationalstaaten, die aus seiner Sicht eine «Misstrauenskultur» aufbauten und sich selbst auflösen würden. Der palastartige Modelhof ist das Zentrum Avalons. Dass Model seinen Wohnsitz nach Liechtenstein verlegte, hat eher steuerliche Gründe.

2016 kamen in der Schweiz zum Gerichtshof ICCJV drei Unterorganisationen hinzu: der Verein International Intelligence Agency (IIA) als eine Art Geheimdienst, die International Sheriff Association (ISA) als Schutztruppe sowie ein Menschenrechtsverein mit dem Kürzel IRO. Zwei Präsidenten und zwei Vizepräsidenten dieser Vereine wurden bei den Razzien in Österreich festgenommen und sitzen in Untersuchungshaft. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.

Zwei der Verhafteten waren im Frühjahr 2017 wegen Nötigung und Amtsanmassung zu mehrmonatigen unbedingten Gefängnisstrafen verurteilt worden. Viele Beobachter werteten dies «als vorläufiges Ende dieser besonders radikalen Gruppierung», schreibt die «Wiener Zeitung». Doch die Staatsverweigerer organisierten sich neu und wurden offenbar noch radikaler. Die Staatsanwaltschaft Graz weiss von 150 Mitgliedern in mehreren europäischen Ländern, gegen 23 Personen wird ermittelt.

Waffengesetze werden ignoriert

Als besonders gefährlich gilt der Vizepräsident der Schweizer International Intelligence Agency, Alexander H., der auch den österreichischen Ableger der russischen Kampfsportschule Systema leitet. «H. verbindet die Technik des Kampfsporttrainers mit der Ideologie, dass er über allen Gesetzen steht», sagt der Tiroler Blogger und Beobachter der Staatsverweigerer-Szene Dietmar Mühlböck.

Wie alle Gesetze werden auch Waffengesetze von den Staatsverweigerern ignoriert. Zum Erledigen von «Gerichtsaufträgen» sollten die Sheriffs geladene Waffen tragen, hiess es auf der Website des ICCJV. Einer dieser Sheriffs liess sich mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr fotografieren. Er gehört nicht zu den sechs im Oktober verhafteten, steht aber ab 15. Oktober in einem anderen Staatsverweigerer-Prozess in Graz vor Gericht. Auf einem Foto von 2016 ist er in einer Uniform im Modelhof zu sehen. Daniel Model sagt, dass keine Schulungen der IIA im Modelhof stattgefunden hätten.

Gastrecht entzogen

Die Website des ICCJV ist mittlerweile offline, und dem Gerichtshof sei das Gastrecht entzogen worden, teilt Model mit. Hauptgrund dafür sei ein Streit unter den Initianten gewesen: «Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass persönliche Interessen wichtiger wurden als die übergeordnete Zielsetzung.»

Auch die Unterorganisationen des ICCJV hätten kein Gastrecht mehr, sagt Model. Allerdings sind Geheimdienst IIA, Sheriff-Organisation und Menschenrechtsverein laut Handelsregister immer noch an der Adresse des Modelhofs eingetragen.

Anzeige bisher nicht behandelt

Model ist überzeugt, dass das Bedürfnis nach einer «unabhängigen Rechtsprechung» wächst: Das Monopol des Staates führe zu immer höheren Kosten und längeren Fristen bis zu einem Urteil. Und das bei «völlig unsicherem Ausgang».

Vor zwei Jahren wurde Model von Blogger Mühlböck bei der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen wegen Nötigung angezeigt. Der ICCJV habe gegen ihn Klage erhoben und drohe mit Waffengewalt, so Mühlböck. Model stelle dem Fantasiegericht die Infrastruktur zur Verfügung und sei Gründungsmitglied.

Behandelt wurde die Anzeige bisher nicht. Man warte auf Rechtsauskunft des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, teilt die Staatsanwaltschaft mit. Es geht um die Frage, ob der ICCJV tatsächlich illegitim ist. Mühlböck sagt, er habe aus Den Haag sofort eine Antwort bekommen: Das Gericht der Staatsverweigerer sei nicht legitim.