Interlaken: Glockenmarsch gegen rechte Gewalt

Der Bund

Johannes Wartenweiler

… und plötzlich ist es ein Thema

Konsternation über den Mord an Marcel von Allmen treibt die Bevölkerung auf die Strasse. Für die Berner PolitikerInnen hingegen ist Rechtsextremismus noch immer kein Thema.

Der Glockenmarsch in Unterseen vom letzten Samstag war wohl die grösste politische Veranstaltung, die das zwischen Thuner- und Brienzersee gelegene «Bödeli» seit vielen Jahren erlebt hat. Der Mord an Marcel von Allmen im rechtsextremen Milieu Ende Januar hat viele BewohnerInnen von Unterseen und Interlaken aufgeschreckt. Jugendvereine, Kirchen und Schulen übernahmen die Organisation der Veranstaltung, an der sich über tausend Personen am späten Samstag bei strahlendem Sonnenschein auf dem Stadtplatz von Unterseen trafen und später unter dem unverbindlichen Motto «Gemeinsam gegen Gewalt» durch das Städtchen zogen. Vereinzelte Antifa-Leute aus Thun mit schwarz-roten Fahnen gingen beinahe unter in den vielen Jugendlichen und Eltern, die an der Kundgebung teilnahmen. Ein Gedenkmarsch für Marcel von Allmen war die Veranstaltung nicht, sondern vielmehr eine Demonstration, dass man dem Thema Rechtsextremimus etwas entgegensetzen will. Einzelne Polizisten regelten den Verkehr, die Feuerwehr sperrte die Strassen ab. Ansonsten hielten sich die bereitgestellten Polizeikräfte diskret im Hintergrund. Nach der von ausgiebigem Glockenläuten begleiteten Demonstration fand auf dem Stadtplatz eine Kundgebung statt. In seiner Rede analysierte Jürg Frischknecht die rechtsextreme Szene und forderte die Eltern auf, Jugendliche, die in diese Szene gerieten, nicht einfach fallen zu lassen: «Kämpfen Sie um diese Jugendlichen, machen Sie ihnen Angebote.» Doch wie soll man reagieren, wenn jemand in die rechtsextreme Szene gerät? Dass gute Absichten nicht ausreichen, zeigt auch das Beispiel einer betroffenen Mutter, die in Mels im Kanton St. Gallen ein Selbsthilfeprojekt lanciert hatte und dies inzwischen aufgegeben hat: «Einige Eltern haben einfach Angst vor ihren Kindern», wurde sie in «Le Temps» zitiert. Es gibt zwar in der Schweiz einige Anlaufstellen, die sich mit rechtsextremer Gewalt beschäftigen, wie die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus oder die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. Offizielle Institutionen haben sich jedoch bislang kaum damit auseinander gesetzt. Die Kampagne «Gemeinsam gegen Gewalt» der Schweizerischen Koordinationsstelle für Verbrechensprävention der Kantonalen Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Jugendkriminalität. Peter Giger, der Leiter der Fachstelle, erklärte dazu: «Es gibt zurzeit keine Kampagne gegen rechtsextreme Gewalt.» Doch soll noch diese Woche im Rahmen einer KKJPD-Konferenz über das Thema gesprochen werden. Der bernische Grosse Rat hingegen sieht keinen Handlungsbedarf und schmetterte am Dienstag dieser Woche mehrere Anträge von links ab. Der Fall von Allmen zeigt ausserdem sehr deutlich, dass dem Verrat und seiner Bestrafung in der rechten Szene eine besondere Bedeutung zukommt. Ein Ausstieg aus rechtsextremen Verstrickungen ist alles andere als einfach. In Schweden gibt es aus diesem Grund seit zehn Jahren die Ausstiegsorganisation «Exit», die Ausstiegswillige diskret berät und begleitet. In der Schweiz bestehen zurzeit keine derartigen Strukturen. Der Mord an Marcel von Allmen zeigt aber auch, wie die rechte Szene im Kanton Bern in den letzten Jahren gewachsen ist. Nur wenige Tage nachdem von Allmens Leiche im Thunersee gefunden worden war, erklärte Polizeikommandant Kurt Niederhauser, dass die Zahl der von der Polizei der rechtsextremen Szene zugeordneten Personen innert zwei Jahren von 80 auf 180 angestiegen sei. Er erwähnte, dass neben den bekannten Szenen in der Region Bern, im Seeland und im Oberaargau neu auch in der Region Thun rechtsextreme Aktivitäten festzustellen seien. Als Antwort darauf habe die Polizei den eigenen Staatsschutz ausgebaut und die Beamten an der «Front» sensibilisiert. Was vom polizeilichen Standpunkt aus vermutlich auch dringend nötig war. Denn einer der Mörder von Allmens musste sich bereits im Mai 2000 vor Gericht verantworten. Er wurde damals beschuldigt, mehrere Schüsse auf einen Polizisten, der ihn kontrollieren wollte, abgegeben zu haben. Schon damals schmückte er sich mit Nazi-Insignien. Was allerdings weder der Polizei noch dem Gericht besonderen Anlass zum Nachdenken gab. Deswegen dürfte auch keine Meldung an die Bundesbehörden erfolgt sein. So sagt Peter Bühler, zuständiger Sachbearbeiter im Bundesamt für Polizeiwesen (BAP): «Keiner der Beteiligten war bei uns als Rechtsextremer verzeichnet.» Auch der «Orden der arischen Ritterschaft», bei dem die Mörder von Allmens Mitglieder waren, sei bislang nie in rechtsextremen Zusammenhängen aufgetaucht.

Gemäss ersten Ermittlungen war der «Orden» aber nicht vollständig isoliert. Zwar habe es keine persönlichen Kontakte zu anderen rechtsextremen Kreisen gegeben, erklärte die Kantonspolizei Bern in einer Medienmitteilung, aber die Gruppe habe sich Unterlagen von der aus den USA operierenden NSDAP/AO sowie von der klandestin agierenden Skingruppe «Blood & Honour» beschafft.