Der Mann, der Zürich keine Alternative lassen will

Womöglich ist der Mann ein Revolutionär. Mit ziemlich leiser Stimme zwar, aber deshalb ja nicht automatisch ungefährlich. Marc Jongen: 48 Jahre alt, Philosoph und intellektuelles Flaggschiff von Deutschlands neuer Rechtspartei, der AfD. In zwei Wochen will er nach Zürich kommen und dort reden – in der Gessnerallee. Nicht alle sind begeistert davon. Der Widerstand gegen seinen Theater-Auftritt ist gross, was Jongen selbst «ziemlich deprimierend» findet, wie er auf Anfrage mitteilt.

Widerstand. Jongen hat dafür ein anderes Wort: Er spricht von «Angstbeisserei». Und von einer «jakobinischen Mafia», die «im Namen der Demokratie die Debatte verweigert». Da ist der sonst gern unaufgeregte Jongen ziemlich erbost. Denn Hunderte Künstler und Journalisten haben in einem offenen Brief an das Theaterhaus dazu aufgerufen, ihm und der AfD «keine Bühne zu bieten».

Deutsche Kinder, geboren von «deutschstämmigen Frauen»

Unter den Protestlern sind viele Schweizer, aber – nicht zuletzt – auch Deutsche. Jongen findet das «bemerkenswert». Er spricht von «deutscher Arroganz» und «deutscher Bevormundung». Ja kann denn so einer der Chefideologe einer deutsch-nationalistischen Partei sein?

Das Grundsatzprogramm der AfD stammt massgeblich von Jongen. Darin wird «ein anderes Deutschland» gefordert, ohne Europäische Union, ohne Minarette, ohne «falsch verstandenen Feminismus». Dafür mit Aufrüstung der Bundeswehr als «Eckpfeiler deutscher Souveränität» und deutschen Kindern, geboren von «deutschstämmigen Frauen» als eine Art Wunderwaffe gegen den angeblich drohenden «ethnischkulturellen Wandel».

Im kommenden Herbst – nach den bevorstehenden Wahlen in Deutschland – will Jongen für die AfD in den Bundestag. Das wird wohl klappen, auch wenn die AfD derzeit an Zustimmung verliert. Bis dahin ist Politik für ihn nur eine Art Nebenbeschäftigung.

Lange Zeit war er Assistent des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk in Karlsruhe, der auch sein Doktorvater war. Heute arbeitet Jongen an der dortigen Kunsthochschule als Akademischer Mitarbeiter für Philosophie und Ästhetik. Allerdings nicht unumstritten.

Studenten, Kollegen und Professoren machten gegen ihn mobil. Ein Schweizer stand während dieser Auseinandersetzung in vorderster Front gegen Jongen: der Kunsthistoriker Beat Wyss, der in Karlsruhe Kunstwissenschaft und Medientheorie lehrt.

Wyss warf Jongen vor, ein «akademisches Feigenblatt für Rechtsradikale» zu sein. Der AfD-Mann mache politische Werbung für eine «Splitterpartei mit Verbindungen in die Neonazi-Szene». Der Protest dauerte lang, war heftig und hatte schliesslich Erfolg. Jongen wurde zwar nicht entlassen, aber empfindlich zurechtgestutzt. Als Beschneidung der Meinungsfreiheit und des Pluralismus wurde und wird das kritisiert.

Jongen selbst hat freilich mit der Meinungsfreiheit hin und wieder auch Probleme. Bei kritischer Berichterstattung reagiert er empfindlich. Die in jeder Hinsicht biedere «Schwäbische Zeitung» wird von ihm als – in Grossbuchstaben – «LINKE HETZPRESSE» gebrandmarkt. Einen Kolumnisten der in Hamburg erscheinenden «Zeit» bezichtigt er des «Denunziationsjournalismus». Und wenn sämtlichen Medien der Zugang zu einem AfD-Parteitag verboten wird, dann rechtfertigt er das mit angeblicher «Hetze und Diffamierung». Jongen wörtlich im Internet: «Warum sollen wir uns das antun?»

Dabei redet Jongen ausgesprochen gern mit Reportern und Journalisten. Und gibt Einblicke in sein Weltbild. Die Niederlage des weit rechts angesiedelten FPÖ-Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen in Österreich kommentierte er mit einer bizarren Mischung aus Fatalismus und Zuversicht: «Noch einmal hat das morsche System seine Ressourcen zusammengekratzt, bevor es umso eindrucksvoller einstürzen wird.»

Jongen, geboren in Südtirol, Studium in Österreich, ist noch nicht lange Deutscher. Seine Einbürgerung war erst 2011. Zwei Jahre später wurde er Mitglied der neu gegründeten AfD.

Er träumt von einer «neuen konservativen Revolution»

Er hält sich für liberal, sagt aber, «liberal zu sein, heisst heute, konservativ zu sein. Zuweilen sogar reaktionär». Und dann träumt er von einer «neuen konservativen Revolution», obwohl er natürlich weiss, wie eindeutig belastet dieser Begriff in Deutschland ist. Denn es gab schon einmal eine konservative Revolution. Ihre Verfechter waren die Wegbereiter des Nationalsozialismus.

Zu Hause ist Jongen im Bundesland Baden-Württemberg. Von der dortigen AfD wurde er gestern zu einem der beiden Vorsitzenden gewählt. Auf einem Parteitag in Sulz am Neckar attackierte er die Bundesregierung als «verkommene Eliten, die Deutschland an die Wand fahren». Das hat den Delegierten wohl gefallen.

Für den 17. März ist die Veranstaltung im Theaterhaus Gessnerallee geplant. Ein «Experiment» soll es werden mit der Fragestellung, inwieweit ein Dialog zwischen konservativen und progressiven Positionen möglich ist. So jedenfalls steht es in der offiziellen Ankündigung.

Aber es gab ja den Protest. Und deshalb wird es – eine Woche zuvor – am gleichen Ort erst noch eine weitere Veranstaltung geben. Dort, so der Plan, wird dann entschieden, ob das Podium mit Jongen stattfindet. Und wenn es nicht stattfindet? Dann, glaubt Jongen, wird ein neuer Ort gesucht. Die Veranstalter, sagt er im Gespräch, würden es «hoffentlich schaffen, dem freien Wort einen Raum zu geben».