departementsinterne und interdepartementale Arbeitsgruppen gegen den

Der Bund

Rechtsextremismus leiten. Ausserdem werden seither Forderungen nach mehrÜberwachung auch von bisher liberalen Geistern goutiert. Die Stiftung «ArchivSchnüffelstaat Schweiz» (ASS) gehört inzwischen zu den wenigen, die staatlicheSchnüffelei nach wie vor ablehnen und Verbote für untaugliche Mittel gegenRechtsextremismus halten. Zu der von ihr organisierten Veranstaltung«Rechtsextremismus in der Schweiz: Öffentliche Auseinandersetzung statt geheimeÜberwachung»* kam am Montag dieser Woche ein äusserst gemischtes Publikumin den Berner Käfigturm: ReithallenaktivistInnen und Jusos, blutjunge Skinheads miteinem noch kopfbehaarten älteren Obermotz, VertreterInnen der EidgenössischenAntirassismuskommission, der Chef des Nachrichtendienstes der Stadtpolizei unddie Chefin des städtischen Jugendamtes (vormals Polizeispezialtruppe Enzian),Lehrerinnen und Sozialarbeiter.

Nur für Freiwillige
Für die Skinheads dürfte es ein hartes Programm gewesen sein. Sie mussten nichtnur einem linken Gewerkschafter und erklärten Antifaschisten aus Deutschlandzuhören, sondern auch noch einen «Verräter», einen schwedischen Ex-Neonazi, undeine Sozialarbeiterin ertragen, die ihnen klarmachten, dass von ihnen definitiv nurdiejenigen Hilfe erwarten könnten, die ein neues Leben anfangen wollen. ChristophEllinghaus arbeitet als Jugendbildungsreferent der Industriegewerkschaft Metall imostdeutschen Bundesland Thüringen, wo sich seit der Wiedervereinigung, befördertdurch die staatlichen Ausgrenzungsstrategien gegen MigrantInnen undAsylsuchende, ein rassistischer Konsens breit machen konnte. Inzwischen fändensich regelrechte «no go areas», in denen sich ausländisch aussehende Menschennicht mehr auf die Strasse trauen könnten, erklärte er in seinen Ausführungen. DieNPD und nationale Kameradschaften hätten massiven Zulauf. Rechtsextremismus,so Ellinghaus, komme aus der Mitte der Gesellschaft und nicht vom extremistischenRand, wie es die Staatsschützer und die offizielle Politik propagieren. Der von derdeutschen Regierung propagierte «Aufstand der Anständigen», der in demNPD-Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht kulminierte, ziele primärdarauf ab, schlechte Publicity für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu vermeiden.

Genauso unglaubwürdig seien die Aktivitäten des Staatsschutzapparates, dertraditionell gegen die Linke eingesetzt werde. Rechte und linke «Extremisten», sohatte sich der inzwischen entlassene Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes,Helmut Roewer, ausgelassen, seien «siamesische Zwillinge». Unter Beobachtungstünden – so weiss Ellinghaus – daher auch GewerkschafterInnen, wie der Chef derThüringer Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), und Kirchenleute,die sich in Bündnissen gegen rechts engagieren oder sich für die Rechte vonFlüchtlingen einsetzen.

Äusserst fragwürdig sei aber auch der Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene. Aneiner ganzen Serie von Beispielen machte Ellinghaus deutlich, dass V-Leute desVerfassungsschutzes häufig die Organisationen, über die sie Informationen liefernsollten, erst aufbauten und sie – wie der Thüringer Spitzel Thomas Dienel – ausihrem V-Mann-Honorar auch finanziell stützten. Die jetzt geforderte Absenkung derEinsatzschwelle für derartige Figuren könne ganz und gar nicht beruhigen.

Keine Glatzenpflege
Statt mehr Staatsschutzmassnahmen fordert Ellinghaus, die Rechte derNeonazi-Opfer, insbesondere der Flüchtlinge, zu stärken und Ansätze alternativerdemokratischer Kultur zu fördern. Das ginge nicht durch akzeptierende Sozialarbeit,die Skinheads von der Strasse hole und ihnen mehr Raum in Jugendclubs eröffne.

«Glatzenpflege», so Kent Lindahl, wolle das von ihm in Stockholm gegründeteProjekt Exit auch nicht. Seit 1998 hilft Exit AussteigerInnen aus der Neonazi-Szene.Exit tritt auch in Jugendclubs auf, aber nicht, um Neonazis den Rücken zu stärken,sondern um ihnen klarzumachen, was sie von einem Leben als Neonazi zu erwartenhaben. Lindahl selbst war lange als Neonazi aktiv. Wer sich entscheide, zu denNeonazis zu gehen, wähle ein Leben als AussenseiterIn, riskiere den Rauswurf beider Arbeit oder aus der Schule oder auch den Weg in den Knast. Exit, so betontLindahl mehrmals an diesem Abend, hilft nur denen, die wirklich aus der Szene rauswollen. Zu dieser Entscheidung könne man niemanden zwingen. Die Organisationhilft beim Ausstieg und wird für seine Arbeit vom schwedischen Kulturministeriumgefördert. In Kooperation mit den Behörden bemüht sich das Projekt, Sozialhilfe,Jobs, eine Ausbildungsstelle zu suchen oder vermittelt gar eine «geschützteIdentität», um zu verhindern, dass frühere Gesinnungsgenossen sich an demVerräter rächen. Früher oder später stehe auch die ideologischeAuseinandersetzung an.

Rund 100 Personen hat Exit seit 1998 betreut. Je älter die Leute seien, desto längerdauere der Ausstiegsprozess. Die Arbeit von Exit beginnt mit einem persönlichenTreffen, bei dem sich die Exit-MitarbeiterInnen ein Bild von der Person, ihrer sozialenSituation und ihrem Umfeld machen, aber auch die tatsächliche Motivation derBetroffenen überprüfen. Vielfach seien auch Therapien notwendig, ergänzt AnitaBjärgvide, die als Sozialarbeiterin für Exit arbeitet. Die Leute steckten voller Hass,viele von ihnen hätten seit frühester Jugend Gewalt erlebt und erhalten nun einezweite Chance.

Was er denn von einem Parteienverbot halte, wie es jetzt in Deutschland anstehe,wird Lindahl aus dem Publikum gefragt. Ein Verbot habe vielleicht nach den vielenNeonazi-Anschlägen eine Chance in der schwedischen Gesellschaft. Wenn maneine Organisation verboten habe, finde sich aber schnell eine neue, die danndasselbe Schicksal treffen müsse. Und weil man niemandem das Denken verbietenkönne, würde es so auch nicht gelingen, die Nazis aus der Welt zu schaffen.