Hakenkreuze gegen Kunstwerke

 Thurgauer Zeitung vom 09.04.2013

Vom Grossbrand verschont, jetzt von Menschenhand verwüstet: Die Werkstatt des St. Galler Steinbildhauers Peter Kamm auf dem ehemaligen Saurer-Areal in Arbon ist bis in den hintersten Winkel mit Nazisymbolen und anderen Farbschmierereien besudelt worden.

 Der Schock sitzt tief, und bislang sind erst Freunde und Bekannte im künstlerischen Umfeld informiert worden.

Eigentlich wollte Peter Kamm am vorletzten Märzsonntag in seiner Werkstatt auf dem früheren Saurer-Werkareal in Arbon seine Arbeit am Stein und an grossen Zeichnungen wieder aufnehmen; den Winter über hatte er in seinem Studio in St. Gallen gearbeitet. Kamm sollte zwei Eifelsandstein-Skulpturen fertigstellen, mit den für seine Arbeit typischen Löchern und Wulsten, Auswölbungen und Kratern – Werke für eine Alterssiedlung in Frauenfeld, wo er den künstlerischen Wettbewerb gewonnen hatte.

Doch jetzt kann er sich nicht vorstellen, an den verwüsteten Werkplatz zurückzukehren. Unbekannte waren vor ihm da gewesen; sie wuchteten mit einem Brecheisen die Ateliertür auf und machten sich in den Räumen breit. Was sie hinterliessen, ist widerlich. Es geht nicht um eingeschlagene Scheiben, durchwühlte Schubladen, umgeworfene Gestelle. In diesem Sinne wurde, abgesehen von Steineinschlägen am Nachbargebäude, nichts zerstört.

Vielmehr haben die Täter mit eigenen sowie den zur künstlerischen Arbeit vorhandenen Spraydosen und Farben die Räume und Gegenstände «markiert» – mit Dutzenden Hakenkreuzen sowie Nazi-Sprüchen wie «Sieg Heil», vereinzelt mit «Fuck», «Peace», «Kiffen» oder dem in Hooligan-Kreisen beliebten Polizei-Hass-Slogan «All Cops Are Bastards» (gängig in der Abkürzung A.C.A.B.).

Sogar Kühlschrank und Brille

Offensichtlich fanden sie Gefallen daran, die für sie befremdliche Welt bis in kleinste Teile zu besudeln: So finden sich Schmierereien auf Skizzen, Modellen, Ordnern, Schriftstücken, Büchern, Fotografien, Fellstühlen oder sogar im Kühlschrank. Selbst vor den Gläsern einer herumliegenden Brille machten sie nicht halt – ein beklemmendes Bild.

Wer tut so etwas? Aus welcher Motivation, in welchem Alter, auf welchen Drogen? Peter Kamm will sich das nicht ausmalen. Dass die «Handschrift» nicht auf erklärte Rechtsextreme schliessen lässt und die Polizei «keine Hinweise auf eine politisch motivierte Tat» sieht, ist ein schwacher Trost. Mögliche Feinde? Nein. Spuren auf eine gezielte Attacke gegen den Künstler, der sich politisch weit aus dem Fenster lehnt, sind nicht auszumachen; seine Person ist in keiner Weise Gegenstand der augenscheinlich unkundigen und unbeholfenen Täter.

Was ihm zu schaffen macht, ist weniger der Einbruch als die fast schon akribische Verwüstung – gleichsam «das Auskosten, Nachtreten, in den Eingeweiden herumwühlen». Wenn eine Tat noch nicht einmal mit «Geldbeschaffung» oder «spontanem Vandalismus» erklärt werden kann, wird die Sache unheimlich: Jemandem grundlos Schaden zufügen negiert alle Grundwerte menschlichen Zusammenlebens. Siehe in jüngster Zeit gehäufte Fälle wie der Stoss von vier Jugendlichen gegen einen Rentner auf dem Seequai in Rapperswil.

Der materielle Schaden lässt sich schwer beziffern – sicher einige tausend, unter Einbezug der zerstörten Kunstwerke eher einige zehntausend Franken. Warum aber hat die Polizei die Sachbeschädigung nicht gemeldet und auf einen Zeugenaufruf verzichtet? Wann hat man jemals von einem verwüsteten Atelier gelesen, und dazu noch mit Nazi-Schmierereien? Die Antworten der Kantonspolizei Thurgau sind lapidar: Man habe die Anzeige entgegengenommen und die Spuren gesichert, heisst es. Weil die «Tatzeit im Atelier sehr schwer einzugrenzen» sei und «zwischen Januar und März 2013» liege, habe man von einer Meldung an die Öffentlichkeit abgesehen.

Bücher- und Kunstfeindlichkeit

Über ein mögliches Täterprofil spekuliert die Polizei nicht. Auch in Kamms Umfeld ist man vorsichtig. «Die Symbole und Schriftzüge, ihr Inhalt und die orthographischen Fehler lassen nur auf die Ignoranz und Dummheit, wenn nicht gar Bücher- und Kunstfeindlichkeit der Täter schliessen», hat ihm eine befreundete Psychologin geschrieben. «Es klingt blöd, aber ich dachte an Jugendliche, die gern einmal ihre gesamte Umwelt als rechts auslegen, weil es einfach das beste Argument ist, anzuklagen.» Migrationshintergrund? Möglich – oder auch nicht. «Bildungsfern» aber dürfte hier bösartig genau zutreffen. Wie schätzt die Polizei die Chance ein, solche Täter ermitteln zu können, die sich allenfalls durch Prahlereien in sozialen Netzwerken verraten? «Die Chancen sind intakt», sagt Mediensprecherin Christa Altwegg. «Die Kantonspolizei Thurgau ermittelt in allen Bereichen und die Auswertung der Spuren ist im Gang.»

Keine Szene in der Region

Wer in der Region vom Vorfall und vor allem den Hakenkreuzen erfährt, ist schockiert. Man habe in den letzten Jahren keine rechtsextremen Schmierereien festgestellt, sagt Gabriele Eichenberger, Leiterin der Jugendarbeit Arbon, eine «Gang» mit Hang zu solcher Symbolik sei ihr unbekannt und der Vandalismus allgemein rückläufig. «Das hat nichts zu tun mit dem, was wir sonst von Jugendlichen kennen.» Zuletzt bemühten sich die Sozialpädagogen mit dem Projekt «Respektstadt» um einen respektvollen Umgang mit Mensch und Umwelt.

Die einstige Industriestadt sucht eine neue Identität, vieles ist im Umbruch. Das gilt speziell für das Saurer-Fabrikareal, wo der Steinbildhauer Peter Kamm 1992 ideale Arbeitsräume gefunden hat, zunächst in den sogenannten Kosthäusern, seit 1997 im Backsteingebäude im nördlichen Teil. Nach dem Auszug von Saurer hat sich die Situation zusehends verschlechtert. Obwohl in Sichtweite hinter dem Bahnhof, sind die alten Fabrikbauten ungeschütztes Territorium. Seit dem verheerenden Grossbrand vom Sommer 2012 zeichnet sich das Ende der Zwischennutzung sichtbarer ab als zuvor; längs der Bahnschienen hat der Bau der neuen Kantonsstrasse begonnen, Kamms Werkstatt ist mittlerweile eingeklemmt von einer Gerüstfirma und einem Allzweck-Baubetrieb.

Das Areal ist belebt, die Gebäude sind allesamt von 50 Mietern belegt, kleinere und grössere Firmen. Zuständig für den Unterhalt ist Remo Bosshard, früher angestellt von Saurer, heute von der HRS. «Beschädigungen in diesem Ausmass habe ich in den zwölf Jahren meiner Tätigkeit nie erlebt», sagt er. Mit den Punks, die vor einigen Jahren Scheiben eingeschlagen und Slogans gesprayt haben, sei der Fall mitnichten zu vergleichen. Beobachtungen, wonach Kontrollen fehlten und das Areal verwahrlose, weist Bosshard zurück: Nach wie vor patrouilliere die Securitas in jeder Nacht zweimal auf dem Gelände. Verschwunden indes ist der freundliche Besuch, wie ihn Kamm noch vor kurzem erlebte – meist von pensionierten Saurer-Arbeitern, die sich über den steinhauenden Nachfolger wunderten.

Bleiben ist nicht möglich

Nun sind die Tage des Ateliers gezählt. In der Baubaracke nebenan ist unlängst zum zweitenmal eingebrochen und eine Kreissäge gestohlen worden. Bosshard wird in jenem Abschnitt nun eine Überwachungskamera montieren. Wobei die Sicherheit Sache der Mieter sei, die fallweise Bewegungsmelder mit Lampen oder Kameras installiert haben.

Peter Kamm kann sich teure Überwachungsanlagen nicht leisten. Ein Sicherheitsmensch ist er ohnehin nicht, im Leben nicht und in der Kunst nicht. Seine Skulpturen sind gewollt der Witterung ausgesetzt; die Ostschweizer Öffentlichkeit kennt einige seiner Werke; auch wer keine Ausstellungen besucht, hat in St. Gallen (Drei Weieren), Bad Ragaz (Quellenhof) oder Ittingen (Kreuzgang) schon Kamm-Kunst angetroffen.

Dass er in seinen Arbeiten mit Bezug auf Politik, Philosophie und Punk Themen wie Erinnerung, Menschenwürde und Widerstand abklopft, macht die Nazi-Schmierereien nur noch zynischer. Seine Kontakte in die deutsche Kunstszene wirken wie der giftige Nachsatz zum gesprayten Hitler mit zwei tt: Bei den Verschandelungen an den farbschmierenden Starprovokateur Jonathan Meese zu denken ist jene berüchtigte «Deformation professionelle», die einem Theorie geschulten und an der Gegenwart brennend interessierten Künstler doch nicht weiterhilft. In einer solchen Situation.

«Es ist scheusslich, was soll ich tun, ich muss hier weg.» Mehr zu sagen gibt es derzeit nicht. Ausser noch: Die Skulpturen für Frauenfeld, die Kamm in diesen Tagen fertigstellen wollte, werden die Inschriften tragen «Erinnern wir uns» und «immer wieder».